Löwenäffchen (Hapale leonina)

[230] Als Urbild dieser Gruppe gilt das Löwenäffchen (Hapale leonina, Simia leonina, Midas, Leontopithecus leoninus, Leontopithecus fuscus), welches Alexander von Humboldt entdeckte. Die Leibeslänge des Thierchens beträgt 20 bis 22 Centim., die Schwanzlänge ebenso viel. Ein schwer zu beschreibendes Olivenbräunlich ist die vorherrschende Färbung des Pelzes, welcher auf dem Rücken weißlichgelb gefleckt und gestrichelt erscheint. Die lange Mähne ist ockergelb, der Schwanz oberseits schwarz, unterseits leberbraun. Alle nackten Theile, also das Gesicht mit Ausnahme der weißlichen Mundränder und Hände und Füße, sehen ebenfalls schwarz aus.

Humboldt erhielt das Löwenäffchen in den Waldungen von Mocoa und erfuhr von den kupferfarbigen Einwohnern, daß es die milderen, kühleren Berggegenden meide und nur die heiße aber fruchtbare Ebene bewohne, welche den östlichen Abfall der Cordilleren begrenzt und von den Flüssen Putumayo und Caqueta durchströmt wird. »Es ist«, sagt Humboldt, »eines der schönsten, feingebildetsten Thiere, welche ich je gesehen habe, lebhaft, fröhlich, spiellustig, aber wie fast alles Kleine in der Thier schöpfung, hämisch und jähzornig. Reizt man es, so schwillt ihm der Hals ersichtlich, die lockeren Haare desselben sträuben sich, und die Aehnlichkeit zwischen ihm und einem afrikanischen Löwen wird dann auffallend. Leider habe ich nur zwei Stück dieser Art selbst beobachten können, die ersten, welche man lebendig über den Rücken der Andeskette in die westlichen Länder gebracht hatte. Man bewahrte sie ihrer Wildheit wegen in einem großen Käfige, und hier waren sie in so ununterbrochener Bewegung, daß ich lange Zeit brauchte, bevor ich ihre bezeichnenden Merkmale auffassen konnte. Ihre bald zwitschernde bald pfeifende Stimme gleicht der anderer Affen dieser Gruppe. Man hat mir versichert, daß in den Hütten der Indianer von Mocoa der zahme Löwenaffe sich fortpflanzt, während dies andere Affenarten in den Tropenländern ebenso selten wie in Europa thun.«

»Am oberen Amazonenstrome«, schildert Bates, Vorstehendes vervollständigend, »sah ich einst ein zahmes Löwenäffchen, welches Jedermann zugethan zu sein schien und sein größtes Vergnügen darin fand, eintretenden Leuten auf den Leib zu springen und an ihnen emporzuklettern. Als ich seine Bekanntschaft machte, rannte es durch den ganzen Raum gerade auf den Stuhl zu, [230] auf welchem ich saß, kletterte zu meiner Schulter empor, drehte sich, hier angekommen, rund herum, sah mir in das Gesicht, dabei die kleinen Zähne zeigend und zwitschernd, als wollte es mich nach meinem Befinden fragen. Gegen seinen Gebieter bekundete es größere Anhänglichkeit als gegen Fremde; wenigstens kletterte es im Laufe einer Stunde wohl ein Dutzend Mal an ihm auf und ab, auf dem Kopfe meist noch eine sorgfältige Umschau nach gewissen Thierchen haltend.« Geoffroy bemerkt, daß auch dieses Aeffchen gemalte Gegenstände zu unterscheiden wisse, vor dem Bilde einer Katze sich fürchte, nach der Abbildung eines Käfers oder einer Heuschrecke aber greife, in der Absicht, sie wegzunehmen. In Europa gehört ein lebendes Löwenäffchen übrigens zu den allergrößten Seltenheiten.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. CCXXX230-CCXXXI231.
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