Tschego (Anthropopithecus Tschego)

[79] Der Tschego (Anthropopithecus Tschego, Troglodytes Tschego), welchen ich Anthropopithecus angustimanus genannt haben würde, ist, wie das höchstens fünfjährige Weibchen des Dresdener Gartens vermuthen läßt, merklich größer als der Schimpanse, vielleicht nur wenig kleiner als der Gorilla. Die dem lebenden und widerstrebenden Thiere entnommenen Verhältnismaße sind folgende. Es beträgt die Höhe des aufrecht stehenden Thieres 110, die Länge von der Oberlippe bis zum Gesäß 94, die des Rückens 53, des Armes bis zur Handwurzel 51,5, des Oberarmes 32, des Unterarmes 29,5, der Hand bis zur Einlenkung der Finger 12, bis zur Spitze des Mittelfingers 26, des Handtellers, bei 7,5 Centim. Breite, 12,5, des Mittelfingers 13, des Daumens und Kleinfingers je 9, des Zeige- und Ringfingers je 12, des Oberschenkels 27, des Unterschenkels 27, des Fußes längs der Sohle, bei 8 Centim. Breite, 22, des Sohlentellers 16,5, der Daumenzehe 10, der zweiten und dritten je 12, der vierten 8, der letzten 5, die Stirnbreite 10, die Ohrhöhe 7, die Ohrbreite 4,5, der Umfang der Brust 70, der Dünnung 55 Centim.


Tschego, von vorn.
Tschego, von vorn.

Der namentlich im Verhältnisse zum Schimpanse kleine Kopf ruht auf kurzem Halse, zwischen sehr breiten Schultern, welche so hoch gezogen sind, daß die wegen der nackten Kehle leicht erkennbaren Schlüsselbeine in ihrer Richtung der senkrechten sehr nahe kommen; der Leib ist schlank, nach den Hüften zu bedeutend verschmächtigt, der Brustkorb ebenmäßig gerundet, nicht aber wie bei dem Gorilla und Schimpanse von vorn nach hinten zusammengedrückt, der Bauch eingezogen, wenigstens nicht vorgewölbt, der Leib überhaupt durchaus anders, weil verhältnismäßig länger, in der Schultergegend viel breiter, in der Hüftengegend weit schmäler als beim Schimpanse gebaut. Die vergleichsweise langen Arme sind sehr kräftig, die Hände ungemein schlank und schmal, bei gleicher Länge mit einer großen Manneshand nur so breit wie diese ohne den letzten Finger; der weit zurückstehende Daumen ist lang, aber merklich [80] schwächer als die übrigen, unter sich ziemlich gleichmäßig entwickelten, kräftigen, jedoch nicht dicken, wie bei Mensch und Schimpanse nur durch kurze Bindehäute vereinigten Finger, unter denen die beiden mittelsten durch ihre Stärke hervortreten; die Nägel ähneln bis auf dem etwas mehr gewölbten des Kleinfingers denen der Menschenhand, sind aber ebenfalls kleiner als hier. Die kräftigen Beine scheinen verhältnismäßig länger zu sein als bei irgend einem anderen bekannten Menschenaffen; die wohlgestalteten Füße, welche schwache Knöchel, aber eine ziemlich entwickelte Ferse zeigen, sind sehr gestreckt, die mittleren Zehen fast bis zum Ursprunge des ersten Gelenkes frei, und von der langen und starken Daumenzehe weit getrennt. Am Kopfe, welcher sich außer seiner geringen Größe auch durch Schmalheit auszeichnet, fallen namentlich die sehr stark vortretenden, mit dicker, runzeliger Haut überdeckten Augenbrauenwülste und die ziemlich großen, abstehenden, ein kleines Läppchen tragenden Ohren auf. Erstere verleihen, weil sie die kleinen, lebhaften, braunen, rundsternigen, von vielen Falten umgebenen Augen zurücktreten lassen, dem Gesichte einen Ausdruck eigenthümlicher Wildheit; letztere ähneln denen des Schimpanse, weichen also mehr von denen des Menschen ab als die des Gorilla.


Tschego, von der Seite.
Tschego, von der Seite.

Die Nase ist sehr flachgedrückt, der Nasenrücken kurz, in der Mitte durch eine tiefe Längsfurche getheilt, die Nasenspitze flach gerundet, die Nasenscheidewand beträchtlich vorgezogen, jeder Nasenflügel wulstig verdickt, wodurch die erwähnte Wildheit des Gesichtausdruckes sich steigert. Von der Nasenwurzel bis zum Rande der Oberlippe bildet der Umriß des Gesichtes eine fast gerade Linie und mit dem von den Lippen aus merklich zurücktretenden Kinne einen stumpfen Winkel. Die wie das Gesicht vielfach gefalteten, sehr dünnen, weit gespaltenen Lippen sind überaus beweglich und lassen sich noch bedeutend weiter vorstrecken als die des Schimpanse. Zwischen den breiten, aber flachen Backen und dem Maule tieft sich eine Grube ein; eine andere [81] befindet sich am hinteren Mundwinkel. Gesicht, und der größte Theil des Vorderkopfes überhaupt, Ohrgegend, Kinn und Kehle, ein schmaler Hof um die Brustwarzen, Handteller und Fußsohlen, Finger und Zehen sowie die Mitte des Gesäßes sind nackt oder doch nur sehr spärlich, auch die Innenseite der Glieder, Brust, Bauch und Hinterrücken dürftig oder dünnbekleidet. Die im allgemeinen dunkel lederbraun gefärbte Haut geht auf der Gesichtsmitte, zwischen Augen, Jochbogen und Lippe, in tiefes Schwarz über, welches auch auf den Brauenbogen noch zur Geltung gelangt, hier jedoch nicht das sammetige Gepräge zeigt wie im Gesichte. Finger und Zehen, Handteller und Fußsohlen sehen blaugrau aus. Die Behaarung entwickelt sich im Gesichte zu einem an den Schläfenleisten beginnenden, über die hintere Wangengegend verlaufenden, auch die vordere Kehlgegend bekleidenden, schmalen Backenbarte, bildet auf der Mitte des Scheitels einen nach hinten sich verbreiternden Längsstreifen, verlängert sich nur auf Hinterkopf und Nacken, Oberrücken und Schultern ein wenig, richtet sich im allgemeinen von vorn nach hinten oder oben und unten, auf dem Unterarme jedoch umgekehrt von der Handwurzel nach dem Elnbogen, am Oberschenkel nach der Hinterseite, ist vollkommen schlicht, glatt, glänzend und, mit alleiniger Ausnahme einiger graulichen Härchen am Kinne und einiger weißlichen am Gesäße, schwarz gefärbt, besitzt aber einen schwachen blauen Schimmer und spielt daher etwas in letztere Färbung.

Wie weit der Verbreitungskreis des Tschego sich erstreckt, wissen wir nicht. Wahrscheinlich ist er mit einer der beiden, von Du-Chaillu aufgestellten, aber ungenügend beschriebenen Arten, dem Kulukamba oder dem Nschiëgo-Mbuwe gleichartig. Das vorstehend abgehandelte Weibchen stammte von der Loangoküste und war in Majumba erworben worden. Bei seiner Ankunft in Dresden mochte es etwa zwei Jahre alt sein, wuchs aber so rasch heran, daß es bald jeden gleichalterigen Schimpanse an Größe übertraf.

Eine eingehende Schilderung des Betragens dieses Tschego würde kaum mehr als eine Wiederholung der vorstehend vom Schimpanse gegebenen Mittheilungen sein. Begabungen und Eigenschaften, Sitten und Gewohnheiten, Wesen und Gebaren beider so nah verwandten Thiere schienen, so viel ich wahrnehmen konnte, in allen wesentlichen Zügen durchaus übereinzustimmen, etwaige Abweichungen nur die Folge der verschiedenen Erziehung zu sein.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. LXXIX79-LXXXII82.
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