Trakehner und Percheron

[28] In unserem Vaterlande wird der Pferdezucht erst seit Anfang des vorigen Jahrhunderts die gebührende Aufmerksamkeit zu theil. Bis dahin begnügte man sich, Pferde zu erzielen, ohne auf deren Veredelung besondere Rücksicht zu nehmen.


Rennpferd. 1/24 natürl. Größe.
Rennpferd. 1/24 natürl. Größe.

Ende des siebenzehnten Jahrhunderts stand die Pferdezucht in Deutschland wahrscheinlich überall auf tieferer Stufe als im Mittelalter, welches, wie bekannt, mit dem Morgenlande ungleich regere Verbindung unterhielt als die spätere Zeit. Von einer Landespferdezucht war nicht die Rede. In Preußen war es erst Friedrich Wilhelm I., welcher die Pferdezucht in richtige Bahnen lenkte. Zunächst um seinen eigenen Marstall mit guten Pferden zu versorgen, errichtete derselbe das Gestüt Trakehnen und legte damit den Grund zu einer [28] vernunftgemäßen Veredelung des bis dahin arg vernachlässigten altpreußischen Pferdes. Durch vielfache Kreuzungen mit arabischen und englischen Vollblutpferden erzielte man nach und nach den Trakehner, ein dem Renner sehr nahestehendes, jedoch kräftigeres, im hohen Grade leistungsfähiges Thier, welches man gegenwärtig wohl das deutsche Pferd nennen darf, zumal Trakehnen und seine Zweiganstalten den wesentlichsten Einfluß auf die Zucht und Veredelung aller altpreußischen Pferde geübt haben und noch fortwährend ausüben.

Nächst Preußen züchtet man gegenwärtig hauptsächlich noch in Würtemberg, Hannover, Mecklenburg und Holstein gute und schöne Pferde zu allgemeinem Gebrauche, während man in Westfalen und den Rheinländern schweren und plumpen Thieren vielfach begegnet.

Insbesondere ist es der Percheron, ein riesiges und sehr kräftiges Thier, genannt nach seiner ursprünglichen Heimat, der alten französischen Provinz Perche, welcher neuerdings mehr und mehr Verbreitung findet, da er sich zum Bewegen schwerer Lasten vorzüglich eignet.


Trakehner. 1/25 natürl. Größe.
Trakehner. 1/25 natürl. Größe.

Heutzutage ist das zahme Pferd fast über den ganzen Erdball verbreitet. Es fehlt nur in den kältesten Landstrichen und auf mehreren Inseln, wo der Mensch seiner noch nicht bedarf. In trockenen Gegenden gedeiht es entschieden besser als in feuchten, sumpfigen, obwohl es schlechtere Gräser verzehrt als andere Hausthiere. Man züchtet es in wilden, halbwilden und zahmen Gestüten. In den wilden Gestüten Rußlands werden die Herden das ganze Jahr hindurch sich selbst überlassen. Die dort geborenen Pferde sind sehr dauerhaft, kräftig und genügsam, erlangen aber niemals die Schönheit der unter Aufsicht des Menschen geborenen und erzogenen. Halbwilde Gestüte sind solche, in denen sich die Pferdeherden vom Frühjahr bis zum Herbste in den Wäldern [29] und auf großen Weideplätzen herumtreiben, im Winter aber in Ställen gehalten und beaufsichtigt werden; zahme Gestüte endlich jene, wo die Pferdezucht unter strengster Aufsicht des Menschen getrieben wird. Die größten Gestüte befinden sich in Rußland, Polen und Ungarn. In Rußland soll Graf Orloff in einem einzigen seiner Gestüte an achttausend theils zahme, theils halbwilde Pferde besitzen.


Percheron. 1/20 natürl. Größe.
Percheron. 1/20 natürl. Größe.

Das größte Gestüt des österreichischen Kaiserreichs befindet sich in Niederungarn und zählt an dreitausend Pferde.

Die Pferdezucht ist, entsprechend ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung, zu einer Wissenschaft geworden, welcher sich mehr und mehr tüchtige Kräfte zuwenden. Erste und hauptsächlichste Bedingung zum Gelingen der Bestrebungen ist sachverständige und geschickte Auswahl der Elternthiere, unter steter Rücksicht auf den besonderen Zweck, welchen man in der Nachkommenschaft verwirklicht sehen will. Denn Vorzüge wie Fehler oder Gebrechen der Eltern vererben sich auf die Kinder, und die wesentlichsten Erfolge der Züchtung beruhen vorzugsweise auf dieser erst spät erkannten Thatsache. Zwar fehlt uns, laut Schwarznecker, noch genügender Aufschluß, wie diese Vererbung zu Stande kommt; denn es ist weder nachgewiesen, inwieweit die Eigenschaften [30] des Vaters und der Mutter überhaupt sich vererben, noch wie die Vererbung unter bestimmten Verhältnissen sich geltend macht: indessen nimmt man als feststehend an, daß die Eigenschaft eines Schlages um so eher sich forterbt, je länger der betreffende Stamm sie schon besaß. Nicht allzuselten tritt auch ein Rückschlag ein, indem die Eigenschaften der Eltern nicht unmittelbar auf die Kinder, sondern vielleicht erst auf die Enkel übergehen. Nächst der Vererbung beruhen die Erfolge der Züchtung in der naturgemäßen Aufzucht der Füllen; denn die von den Eltern ererbten Eigenschaften entwickeln sich nur unter den für diese Anlage günstigen Verhältnissen.

Die Paarungszeit des Pferdes fällt zwischen Ende März und Anfang Juni. Dreijährige Stuten sind fortpflanzungsfähig; den Hengst läßt man nicht gern vor dem vierten Jahre zur Paarung. Von seinem siebenten Jahre an genügt er für funfzig bis hundert Stuten. Letztere werfen elf Monate nach der Begattung ein einziges Füllen, welches sehend und behaart geboren wird und wenige Minuten nach der Geburt stehen und gehen kann. Man läßt es etwa fünf Monate saugen, sich tummeln und spielen und entwöhnt es von der Mutter, nachdem man ihm gelehrt hat, nach und nach allein zu fressen. Im ersten Jahre trägt es einen wolligen Pelz, eine kurze, aufrechtstehende, gekräuselte Mähne und ähnlichen Schweif, im zweiten Jahre werden die Haare glänzender, Mähne und Schweif länger und schlichter. Das spätere Alter erkennt man ziemlich richtig an den Schneidezähnen. Acht bis vierzehn Tage nach der Geburt erscheinen oben und unten die beiden mittelsten, die sogenannten Zangen; zwei oder drei Wochen später bricht zu jeder Seite der Zangen wieder ein Zahn aus, und nun sind die sogenannten Mittelzähne vollständig. Nach fünf bis sechs Monaten treten die äußeren Schneidezähne hervor, und damit sind die Milch- oder Füllenzähne, kurze, glatte, glänzende, milchweiße Gebilde, vollendet. Nach dem Ausfallen der Füllenzähne erhält das Roß die Pferdezähne. Im Alter von dritthalb Jahren werden die Zangen ausgestoßen und durch neue Zähne ersetzt; ein Jahr später wechseln die Mittelzähne, im nächsten Jahre die sogenannten Eckzähne oder besser die äußeren Schneidezähne. Mit ihnen brechen die wirklichen Eckzähne oder Haken durch, zum Zeichen, daß die Ausbildung des Thieres beendet ist. Vom fünften Jahre absieht der Beurtheiler des Alters bei Pferden nach den Gruben, Kunden oder Bohnen in den Zähnen, linsengroßen, schwarzbraunen Höhlungen auf der Schneide der Zähne. Diese verwischen sich an der untern Kinnlade im Alter von fünf bis sechs Jahren, an den Mittelzähnen im siebenten, an den Eckzähnen im achten Jahre des Alters; dann kommen in gleicher Zeitfolge die Oberzähne daran, bis im elften bis zwölften Jahre sämmtliche Gruben verschwunden sind. Mit zunehmendem Alter verändert sich auch allmählich die Gestalt der Zähne: sie werden um so schmäler, je älter sie sind. Bei manchen Pferden verwischen sich die Kunden niemals.

Das Pferd wechselt nur die kleinen, kurzen Haare und zwar hauptsächlich im Frühjahre. Das längere Winterhaar fällt um diese Zeit so schnell aus, daß es schon in Zeit eines Monats der Hauptsache nach beendet ist. Nach und nach werden die Haare ersetzt, und von Anfang September oder Oktober an beginnen sie sich wieder merklich zu verlängern. Die Haare in der Mähne und im Schwanze bleiben unverändert.

Leider ist das edle Roß vielen Krankheiten unterworfen. Die wichtigsten sind der Spat, eine Geschwulst und spätere Verhärtung des Sprunggelenkes, die Druse, eine Anschwellung der Drüsen unter den Kinnladen, die Räude, ein trockener oder nasser Ausschlag, wobei die Haare ausgehen, der Rotz, eine starke Entzündung in der Nasenscheidewand, welche furchtbar ansteckt, sich selbst auf Menschen überträgt, der rasende Koller, eine Gehirnentzündung, oder der Dummkoller, ein ähnliches Leiden, der graue und der schwarze Star und andere. In den Gedärmen und in der Nase wohnen die Larven von Biesfliegen, in den Nieren »Pallisaden«, in den Augen Fadenwürmer, auf der Haut Lausfliegen und Milben.

Das Pferd kann ein Alter von vierzig Jahren erreichen, wird aber meist so schlecht behandelt, daß es oft schon mit zwanzig Jahren greisenhaft ist. Das Pferd, welches der österreichische Feldmarschall Lacy im Türkenkriege ritt, wurde auf Befehl des Kaisers sorgfältig gepflegt und erreichte [31] ein Alter von sechsundvierzig Jahren. Der Bischof von Metz besaß ein Pferd, welches funfzig Jahre alt und noch bis zu den letzten Tagen zu leichter Arbeit verwendet wurde. In England soll ein Pferd sogar das Alter von zweiundsechzig Jahren erreicht haben.

Ueber die Eigenschaften, Gewohnheiten, Sitten und Eigenthümlichkeiten der Pferde, kurz, über das geistige Wesen will ich Scheitlin reden lassen. »Das Pferd«, sagt er, »hat Unterscheidungskraft für Nahrung, Wohnung, Raum, Zeit, Licht, Farbe, Gestaltung, für seine Familie, für Nachbarn, Freunde, Feinde, Mitthiere, Menschen und Sachen. Es hat Wahrnehmungsgabe, innere Vorstellungskraft, Gedächtnis, Erinnerungsvermögen, Einbildungskraft, mannigfache Empfindungsfähigkeiten für eine große Anzahl von Zuständen des Leibes und der Seele. Es fühlt sich in allen Verhältnissen angenehm oder unangenehm, ist der Zufriedenheit mit seinem gegebenen Verhältnisse oder aber des Verlangens nach einem anderen, ja selbst der Leidenschaften, gemüthlicher Liebe und gemüthlichen Hasses fähig. Sein Verstand ist groß und wird leicht in Geschicklichkeit umgewandelt; denn das Pferd ist außerordentlich gelehrsam.

Viele Thiere sehen und hören besser als das Pferd. Dieses riecht und schmeckt auch nicht besonders fein, und sein Gefühl ist nur an den Lippen gesteigert. Dafür ist seine Wahrnehmungsgabe für nahe Gegen stände ganz außerordentlich, so daß es alle Gegenstände um sich her genau kennen lernt, womit dann erst noch ein vortreffliches Gedächtnis verbunden ist. Wir kennen die Erzeugnisse seiner Wahrnehmungsgabe, seinen Ort-, Stall-, Steg- und Wegsinn, seine Sicherheit, einen Pfad, wenn es ihn auch nur einmal gemacht hat, wieder zu erkennen. Es kennt den Weg viel besser als sein Führer. Seiner Kenntnis gewiß, widersetzt es sich an einem Scheidewege fast starrsinnig dem Unrechtführer. Reiter und Kutscher können ruhig schlafen und im tiefsten Dunkel dem Pferde die Wahl des Weges überlassen. Diese Wahl ist schon vielen betrunkenen Fuhrleuten aufs beste zu statten gekommen und hat schon tausenden Leben und Habe gerettet. Wie schnell erkennt es den Gasthof wieder, in welchem es einmal eingekehrt ist, aber auch wie hartnäckig glaubt es wieder einkehren zu dürfen! Es ist, als ob es meine, der Führer, der Reiter kenne den Gasthof nicht so gut als es ihn kenne, als ob es ihn zurechtweisen müsse. Ist es einmal beim Gasthof vorüber, so läuft es wieder ganz willig. Es scheint nun sich selbst zu berichtigen und zu denken, sein Führer habe nicht Unrecht; denn er wolle nun einmal da nicht einkehren. Doch erkennt es den Gasthof als solchen nicht am Schilde. Willig läuft es bei denen vorbei, in welchen es noch nie gewesen. Seinen ehemaligen Herrn und Knecht erkennt es nach vielen Jahren noch sogleich wieder, läuft auf ihn zu, wiehert ihn an, leckt ihn und bezeigt eine gar innige Freude; es weiß nur nicht recht, wie es seine Freude äußern soll. Es merkt augenblicklich, ob ein anderer Mensch als der gewöhnliche auf seinem Rücken sitzt. Bisweilen schaut es rückwärts, sich darüber völlig ins reine zu setzen. Vollkommen erkennt es den Sinn der Worte des Wärters, und vollkommen gehorcht es denselben. Es tritt aus dem Stalle zum Brunnen, zum Wagen, läßt sich das Geschirr an- und auflegen, läuft dem Knechte wie ein Hund nach, geht von selbst wieder in den Stall. Einen neuen Knecht oder ein neues Nebenpferd schaut es sinnvoll an, in ganz anderer Weise als die Kuh das neue Thor. Alles neue erregt es stark, ein neuer Wagen, eine neue Kutsche ist ihm wichtig. Wo etwas neues, auffallendes durch Größe, Form und Farbe zu sehen ist, trabt es herzu, schaut und schnauft es an.

Seine Wahrnehmungsgabe, sein Gedächtnis und seine Gutmüthigkeit machen es möglich, ihm alle Künste des Elefanten, Esels und Hundes beizubringen. Es muß Räthsel lösen, Fragen beantworten, durch Bewegen mit dem Kopfe Ja und Nein sagen, durch Schläge mit dem Fuße Zahlengrößen der Uhr etc. bezeichnen. Es sieht auf die Bewegung der Hände und Füße des Lehrers, versteht die Bedeutung der Schwingung der Peitsche und diejenige der Worte, so daß es schon ein kleines Wörterbuch in der Seele hat. Aufs Wort stellt es sich krank, steht es dumm mit ausgebreiteten Beinen und hängt es den Kopf, schwankt es traurig und matt, sinkt langsam, plumpt auf die Erde, liegt wie todt, läßt auf sich sitzen, die Beine auseinander legen, [32] am Schwanze zerren, die Finger in die so sehr empfindlichen Ohren stecken etc., aber aufs hingeworfene Wort, es durch den Henker abholen zu lassen, springt es wieder auf und rüstet sich wieder munter und froh: es hat den Befehl völlig verstanden. Daß ihm der Spaß, den es oft wiederholen muß, gefalle, nimmt man nicht wahr; ihm kann nur Laufen und Springen behagen. Wie lange wird man es lehren müssen, bis es durch zwei große Reifen springt, welche, ziemlich weit von einander entfernt, mit weißem Papier scheibenartig sich ihm wie eine weiße Mauer darstellen? Daß der Mensch lernen kann und will, nimmt uns nicht wunder, sondern, daß das Pferd lernen kann. Man muß wirklich nicht fragen: Was kann es lernen? sondern: was kann es nicht lernen?

Wer einem Pferde etwas menschliches lehren will, muß es, anfangs wenigstens, rein menschlich, d.h. nicht durch Prügel, noch Drohungen, noch Hunger lehren wollen, sondern nur das gute Wort brauchen und es geradeso behandeln, wie ein guter, verständiger Mensch einen guten, verständigen Menschen behandelt. Was auf den Menschen wirkt, wirkt auch auf das Pferd. Will es sich z.B. nicht beschlagen, den Fuß nicht aufheben lassen, so streichelt man es, streichelt seinen Fuß, gibt ihm gute Worte, verweist ihm seine Ungeduld, seinen Ungehorsam, hält ihm, um es zu zerstreuen, Hafer vor; frißt es, so probirt man, den Fuß aufzuheben; will es solches nicht geschehen lassen, so entzieht man ihm den Hafer; schaut es diesem nach, so hält man ihm denselben wieder vor, probirt es nochmals mit dem Fuße etc. So gewinnt man alle Pferde, welche früher nicht mißhandelt, nicht schlecht erzogen worden sind. Der Regel nach sind die Pferde völlig Kinder im guten und bösen.

Das Pferd hat neben seinem Ortsgedächtnis auch Zeitsinn. Es lernt im Takte gehen, trotten, galoppen und tanzen. Es kennt auch Zeitunterschiede im großen, es weiß, ob es Morgen, Mittag oder Abendzeit ist. Es ermangelt selbst des Tonsinnes nicht. Wie der Krieger, liebt es den Trompetenton. Es scharrt freudig mit dem Vorderfuße, wenn dieser Ton zum Laufen im Wettrennen und zur Schlacht ertönt; es kennt und versteht auch die Trommel und alle Töne, welche mit seinem Muthe und mit seiner Furcht in Verbindung stehen. Es kennt den Kanonendonner, hört ihn aber, wenn es in Schlachten zerschossene Gefährten gesehen, nicht gerne. Der Wolkendonner ist ihm ebenfalls nicht angenehm. Vielleicht wirkt das Gewitter nach theilig ein.

Das Pferd ist der Furcht sehr zugänglich und nähert sich auch darin dem Menschen. Es erschrickt über einen ungewohnten Ton, ein ungewohntes Ding, eine flatternde Fahne, ein Hemd, welches zum Fenster herausweht. Sorgsam beschaut es den Boden, welcher Steine hat, sorglich tritt es in den Bach, den Fluß. Ein Pferd, welches in eine Hausgrube gefallen und wieder heraufgezogen worden war, war sehr erschrocken; ein anderes, welches in eine Kalkgrube gesprungen war, ließ sich willig binden und herausziehen: es wollte den Rettenden helfen. Auf schmalen Gebirgspfaden zittert es. Es weiß, daß es nur Fuß ist und sich an gar nichts anhalten kann. Den Blitz fürchtet es heftig. Im Gewitter schwitzt es vor Angst, erschlagen zu werden. Reißt eins aus, so kann das andere, unerschrockene es zurückhalten; gewöhnlich aber ergreift es der Schrecken ebenfalls und beide rennen in immer steigernder Furcht und Angst, rasen über und durch alles mögliche heim, in die Tenne, an eine Wand, wie toll. Wieviel Unglück veranlaßt und verursacht das sonst so verständige, gehorsame und gutwillige Thier, welches dem Herrn, dem Knechte, der Frau, dem Mädchen, jedem, der es gut behandelt, gehorcht!

Das Pferd kann sich verwundern, es kann stutzen, kann über unbedeutende Dinge wie ein Kind erschrecken, es kann sich enttäuschen lassen, und sein Kennen kann durch seinen Verstand zum Erkennen werden. Daraus erhellt, daß sein Verstand zerrüttet, daß es verrückt werden kann. Durch rohe Behandlung, durch Fluchen und Prügeln der Roßknechte ist schon manches Pferd schändlich verdorben, um allen seinen, geistigen und gemüthlichen Werth gebracht und völlig dumm und toll gemacht worden. Dagegen wird das Pferd durch edle Behandlung veredelt, hoch gehoben, durch sie zum halben Menschen gemacht.

[33] Die einzige wahre Lust des Pferdes ist zu rennen. Es ist von Natur ein Reisender; bar zur Lust rennen weidende Pferde in den russischen Steppen, reisen mit den Kutschen im Galopp viele Stunden, eine Tagereise weit, sicher, daß sie ihren langen Pfad wieder zurückfinden. Auf den Weiden tummeln sie sich munter, werfen vorn und hinten auf und treiben allerlei Muthwillen, rennen mit einander, beißen einander. Es gibt solche, welche immer andere necken. Junge necken sogar Menschen. Eine beachtenswerthe Erfahrung! Das Thier, welches sich am Menschen versucht, muß sich dem Menschen nahe fühlen, muß in ihm beinahe seines Gleichen sehen. Ein junges Pferd rannte in einem langen, schmalen Alpenthale einem Trüppchen Reisender nach, d.h. es ließ sie zuerst ungehindert vorbeigehen, dann galoppirte es ihnen nach bis auf einen einzigen Schritt vor sie hin, stand dann plötzlich still und sah sie an, dann rannte es wieder zurück, that als ob es weiden wollte, kam dann wieder herangesprengt, und so neckte es sie vier- oder fünfmal zu deren nicht geringer Furcht. Es trieb offenbar reinen Muthwillen, wie ihn ein Mensch treibt, welcher sich überlegen fühlt. Als die Reisenden endlich über eine als Hecke dienende Mauer gestiegen waren, rannte es an dieser mehrmals auf und ab, um eine Stelle zum Hinüberspringen zu finden, um sie noch weiter zu necken. Da es keine fand, sprengte es wieder lustig auf seine alte Weidestelle zurück.

Seine Rennlust in Verbindung mit seinem Adel oder seinem Stolze leisten im römischen Korso beinahe unglaubliches. Auf ein gegebenes Zeichen sind die Pferde bereit, den Wettkampf zu beginnen: sie wiehern hell auf, sie stampfen vor Ungeduld. Dann stürzen sie sich auf die Bahn, und eins will das andere übereilen. Niemand sitzt auf ihnen, niemand sagt ihnen, um was es sich handele, niemand feuert sie an; sie merken es von sich aus. Jedes feuert sich selbst an und wird von jedem angefeuert. Und das, welches zuerst am Ziele ist, lobt sich selbst und wird von den Menschen gelobt. Es ist dafür empfindlich; doch wird Neid oder Haß gegen den Sieger bei ihm nicht wahrgenommen. Voll Ehrgefühl schadet es sich bisweilen selbst, weil es immer voran will und sich zu Tode liefe, wenn man es nicht zurückhielte. Manche muß man voranlassen; viele laufen nur, wenn andere vor ihnen sind, wollen aber dann doch nicht hinter diesen zurückbleiben; manche laufen nur mit Bekannten, mit Kameraden. Welches Ehrgefühl entwickelt sich in dem englischen Wettrenner! Wie schmeichelt sich das Pferd des Generals! Es merkt seine Vortrefflichkeit und daß es ein Königsroß sei, welchem die Ehre gebühre, und daß man es verehre.

Der ganze Hengst ist ein furchtbares Thier. Seine Stärke ist ungeheuer, sein Muth über alle Begriffe, sein Auge sprüht Feuer. Die Stute ist viel sanfter, gutmüthiger, willfähriger, gehorsamer, lenksamer; darum wird sie auch den Hengsten oft vorgezogen. Der Trieb zur Begattung ist bei den Pferden heftiger als bei anderen Thieren; aus solcher Kraft entspringen eben große, stolze Kräfte. Der Walach hat zwar durch Verschneidung viel verloren, ist aber durch sie nicht, wie der Stier, zum matten Ochsen, sondern nur ein milderes, gehorsameres Wesen geworden, hat bloß aufgehört, eine lodernde, verzehrende Flamme zu sein.

Das Pferd ist aller Erregung fähig. Es liebt und haßt, ist neidisch und rachsüchtig, launisch etc. Mit manchen Pferden verträgt es sich sehr gut, mit anderen schwer oder gar nicht, und diese oder jene nimmt es nie zu Gunsten an. Es kennt den Blick des Menschen wohl und hält ihn aus; man nimmt jedoch wahr, daß der Blick des Menschen, wenn er scharf ist, einwirkt. Man erzählt vom Pferde Wunderdinge des Verstandes, Gemüthes und seiner tiefen, inneren Natur. Bedenklich stellten sich Pferde über den Leichnam ihres Herrn, neigten sich über ihn hin, beschauten sein Angesicht lange, schnopperten es an, wollten nicht von ihm weg, wollten ihm im Tode noch treu bleiben. Andere bissen in der Schlacht Pferd und Mann ihres Gegners, als ob auch sie gegen einander kämpfen müßten. Ein Pferd ergriff seinen betrunkenen Reiter, um ihm wieder hinaufzuhelfen; ein anderes wandte und drehte sich, um es dem im Steigbügel Hängengebliebenen zu ermöglichen, daß er seinen Fuß herausziehen könne. Durch den Umgang mit guten Menschen wird das Pferd immer menschlicher, durch den mit bösen immer thierischer, viehischer.

[34] Kein Pferd ist dem andern gleich. Bissig und böse, falsch und tückisch ist das eine, zutraulich und sanft das andere. Entweder hat die Natur oder die Erziehung oder beides sie so verschieden gemacht. Ein Pferd, welches beschlagen werden sollte, stieß mit dem Kopfe den Schmied plötzlich um, und stampfte mit seinen Füßen so auf ihm herum, daß er bluttriefend hervorgezogen werden mußte.

Wunden fürchtet das Pferd nicht; Operationen unterwirft es sich mit viel Verstand und Willen. Muthvoll hält es in der Schlacht aus, und hat sogar Lust im Streite: es wiehert hell auf. Sein Wiehern ist eigenthümlich genug: es lacht der Gefahr. Wird es verwundet, so stöhnt es nur. Es stirbt in seinen Wunden heldenartig, still und ruhig; es merkt den Tod.

Wie verschieden ist das Schicksal der Pferde! Das Loos der meisten ist, jung geliebt und mit Hafer genährt, alt ein Karrengaul und mit Riedgras und mit Prügeln gefüttert und verachtet zu werden. Vielen Rossen ist schon eine Thräne nachgeweint und mit Recht ein marmornes Denkmal gebaut worden. Sie haben ihre Jugendzeit zum Muthwillen, ihre Jünglingszeit zum Stolziren, ihre Manneszeit zum Arbeiten, ihr Alter, in welchem sie träger, matter werden; sie blühen, reifen und verwelken!«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 28-35.
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