Onager (Equus Onager)

[35] Der Onager, »Gurkur, Gaur, Kerdét, Ischaki« und wie er bei den verschiedenen Völkern sonst noch genannt wird (Equus Onager, E. und Asinus hemippus, indicus und Hamar) ist merklich kleiner als der Dschiggetai, aber doch höher und feiner von Gliedern als der gemeine Esel. Der Kopf ist verhältnismäßig noch höher und größer als beim Kulan; die dicken Lippen sind bis an den Rand mit steifen, borstigen Haaren dicht bekleidet, die Ohren ziemlich lang, jedoch kürzer als bei dem Esel. Ein schönes Weiß mit silberartigem Glanze, die vorherrschende Färbung, geht auf der Oberseite des Kopfes, an den Seitenflächen des Halses und des Rumpfes, sowie an den Hüften in Blaßisabell über. Am Seitenbuge zieht sich ein weißer Streifen von Handbreite herab; ein zweiter Streifen verläuft längs des ganzen Rückens und an der Hinterseite der Keulen; in seiner Mitte liegt der kaffeebraun gefärbte Riemen. Die Behaarung ist noch seidenartiger und weicher als beim Pferde. Das Winterhaar kann man mit Kamelwolle vergleichen, das Sommerhaar ist äußerst glatt und zart. Die aufrechtstehende Mähne besteht aus weichen, wollartigen, etwa 10 Centim. langen Haaren; der Quast am Schwanze wird eine gute Spanne lang.

In der Lebensweise erinnert der Onager an den Kulan. Ein Haupthengst führt die Herden, welche aus Stuten und Füllen beiderlei Geschlechts bestehen; doch scheint es, daß die Hengste weniger eifersüchtig sind als bei den verwandten Arten, wenigstens sollen zur Wanderzeit oft mehrere sich vereinigen. Zu Beißereien zwischen den Hengsten kommt es dann freilich immer noch. Hinsichtlich der Beweglichkeit steht der Onager durchaus nicht hinter dem Dschiggetai zurück. Schon Xenophon berichtet, daß das Thier im Laufe die besten Pferde bei weitem überbiete, und auch die neueren Schriftsteller lassen dieser Schnelligkeit Gerechtigkeit widerfahren. Der Reisende Porter spricht mit Bewunderung von unserem Wildpferde. In der Provinz Fars nahm sein vorzüglicher Windhund die Verfolgung eines Wildes auf, welches seine Begleiter als Antilope erkennen wollten. Man verfolgte das Thier augenblicklich im vollen Galopp und bekam es, Dank [35] der Geschicklichkeit des Hundes, auch wirklich wieder zu Gesicht. Da sah man zu nicht geringer Verwunderung, daß die vermeintliche Antilope ein Wildpferd war. »Ich beschloß«, sagt der Reisende, »diesem prachtvollen Geschöpfe mit einem außerordentlich geschwinden Araber nachzureiten; allein alle Bemühungen des edlen Rosses waren vergeblich, bis das Wild plötzlich still stand und mir Gelegenheit gab, es in der Nähe zu betrachten. Mit einemmale aber floh es wieder mit Gedankenschnelle dahin, Luftsprünge machend, ausschlagend und auf der Flucht scherzend, als ob es nicht im geringsten ermüdet und die Hatze ihm nur eine Lust wäre.«

Die Sinne des Onager, zumal Gehör, Gesicht und Geruch, sind so fein, daß ihm in freier Steppe gar nicht beizukommen ist. Außerordentlich genügsam, kommt er höchstens einen Tag um den anderen zur Tränke, weshalb der Anstand auf ihn meist vergeblich ist. Salzhaltige Pflanzen sind ihm die angenehmste Nahrung, neben diesen die bittermilchigen, wie Löwenzahn, die Saudistel und dergleichen; aber auch Kleearten, Luzerne und allerlei Schotenpflanzen werden nicht verschmäht. Zuwider sind ihm dagegen alle wohlriechenden, balsamischen Pflanzen, Sumpfkräuter, Ranunkeln und alle stacheligen Gewächse, auch die Distel. Salziges Wasser liebt er mehr als frisches, jedoch muß es rein sein; denn trübes trinkt er nie.

Ueber die Zeit der Paarung und des Wurfes ist nichts bekannt geworden; es läßt sich jedoch annehmen, daß letzterer in die Frühlingszeit fallen muß.

Das Wildpret des Onager wird hochgeschätzt von allen Völkern, welche innerhalb seines Verbreitungsgebietes leben. Sogar die Araber, welche in Bezug auf Speisen sehr heiklich sind und von einen zahmen Esel niemals essen würden, betrachten es als rein. Wahrscheinlich war es bei den Hebräern nicht anders. Daß die Römer nach jungen Onagern lüstern waren, wissen wir. Plinius erzählt uns, daß die besten Onager in Phrygien und Lykaonien gefunden würden. »Die Füllen dieser Thiere sind als Leckerbissen unter dem Namen Lalisiones bekannt. Mäcen war der erste, welcher bei seinen Gastereien Maulthierfüllen statt jenes ausländischen Wildprets einführte.« Die Perser benutzen außer dem Fleische die Galle des Wildesels als Augenmittel. Man jagt dem edlen Thiere eifrig nach. Die Perser reiten gemeinschaftlich zur Jagd aus, stellen sich in Entfernungen von acht bis zehn Kilometern auf den bekannten Wechseln des Wildesels auf und lösen sich in der Verfolgung desselben ab, bis er ermattet ihnen zur Beute wird. Auch tieft man Gruben aus, bedeckt sie leicht mit Zweigen und Gras und füllt sie unten bis zu einer gewissen Höhe mit Heu an, damit die hereinfallenden Thiere sich nicht verletzen; dann treibt man die Wildpferde nach den Thälern hin, in welchen man die Gruben angelegt hat, und verkauft die gefangenen jungen Füllen behufs der Zucht an die Stutereien der Vornehmen des Landes zu theueren Preisen. Aus diesen Gefangenen zieht man die schönsten und flinksten Reitesel, deren man sich in Persien und Arabien bedient, und zahlt gern bis hundert Dukaten für das Stück. Sie behalten alle guten Eigenschaften ihrer wilden Stammeltern: die schöne Bildung, den muntern Anstand und die Schnelligkeit im Laufe, ihre Genügsamkeit und die Ausdauer. Niebuhr gibt an, daß man unter den arabischen Reiteseln viele finde, welche in der Färbung genau mit dem Onager übereinkommen; ich dagegen habe auf allen meinen Reisen in Nordostafrika keinen Esel gesehen, welcher jene Angaben bestätigt hätte.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 35-36.
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