Polarluchs (Lynx canadensis)

[508] Die Art der Gruppe, welche der malerische Schriftsteller mit vorstehenden Worten uns vorstellt, ist der Polarluchs oder Pischu (Lynx canadensis, Felis canadensis, F. und Lynx borealis), eines der wichtigeren Pelzthiere Amerika's, unter den dortigen Luchsen der größte. Ein vollkommen ausgewachsenes Männchen erreicht eine Gesammtlänge von 1,15 Meter, wovon etwa 13 Centim. auf den Schwanz gerechnet werden müssen, bei einer Schulterhöhe von etwa 55 Centim., steht also unserem Luchse etwas nach. Der Pelz ist länger und dicker als bei dem europäischen Verwandten, der Bart wie der Ohrpinsel mehr entwickelt, das einzelne Haar weich und an der Spitze anders gefärbt als am Grunde. Ein bräunliches Silbergrau ist die vorherrschende Färbung, die Fleckenzeichnung macht auf dem Rücken fast gar nicht, an den Seiten nur wenig sich bemerklich. Letztere und die Läufe sind gewellt, jedoch so schwach, daß man die verschiedenen Farben nur in der Nähe wahrnehmen kann; bei einiger Entfernung verschmelzen sie dem Auge zu einem einzigen Farbentone. Auf den Außenseiten der Läufe tritt die bandartige Zeichnung etwas deutlicher hervor, wirkliche Flecken aber zeigen sich nur auf der Innenseite der Vorderläufe in der Gegend der Elnbogen. Die Färbung der Oberseite geht ohne merkliche Abstufung in die der fleckenlosen, schmutzig-, am Bauche dunkelgrauen Unterseite über. Die Nase ist fleischfarbig, die Lippe gelbbraun, der Lippenrand dunkelbraun, das Gesicht lichtgrau, die Stirn etwas dunkler, der Länge nach deutlich gestreift, das Ohr am Grunde graubräunlich, am Rande schwarzbraun, in der Mitte durch einen großen weißen Fleck gezeichnet, auf der Innenseite mit langen gelblichweißen Haaren besetzt, der Bart bis auf einen ziemlich großen schwarzen Fleck, welcher jederseits unterhalb der Kinnlade steht, lichtgrau, der Schwanz auf der Oberseite röthlich- und gelblichweiß gebändert, an der Spitze schwarz, auf der Unterseite gleichfarbig lichtgelb. Das einzelne Haar hat gelblichbraune [508] Färbung an der Wurzel, hierauf einen dunkleren und sodann einen graugelblichen Ring und entweder schwarze oder graue Spitzen. Von den Schnurrhaaren sind die meisten weiß, einige wenige aber schwarz. Im Sommer spielt die Färbung mehr ins Röthliche, im Winter mehr ins Silberweiße.

Das Verbreitungsgebiet des Polarluchses erstreckt sich über den Norden Amerikas, nach Süden hin bis zu den großen Seen, nach Osten bis hin zu dem Felsengebirge. Waldige Gegenden bilden seine Wohngebiete. Im allgemeinen stimmt seine Lebensweise mit der unseres Luchses überein; wenigstens vermag ich nicht, aus den mir bekannten Beschreibungen der amerikanischen Forscher etwas herauszufinden, was dem widersprechen sollte.


Polarluchs (Lynx canadensis). 1/8 natürl. Größe.
Polarluchs (Lynx canadensis). 1/8 natürl. Größe.

Nach der Schilderung von Richardson ist der Pischu erbärmlich feig und wagt sich nicht einmal an größere Säugethiere, sondern jagt bloß auf Hasen und kleine Nagethiere oder kleine Vögel. Vor dem Menschen und den Hunden flieht er stets; wird er gestellt, so sträubt er im Angriffe, wie alle Katzen, sein Haar, droht und faucht, läßt sich aber doch leicht besiegen, sogar mit einem Stocke erschlagen. Wegen dieser Ungefährlichkeit und Häufigkeit wird er sehr lebhaft gejagt. Audubon, welcher das Thier ausführlicher beschreibt, hält Richardsons Angaben theilweise für irrthümlich. Er schildert auch diesen Luchs als ein starkes, wehrhaftes Thier, welches sich seiner Haut zu wehren weiß. Ein Gefangener, welchen ich pflegte, bestätigt seine Ansicht; mit ihm war durchaus nicht zu scherzen. Ungeachtet aller Bemühungen von meiner Seite hat er nie sich erschließen können, ein freundschaftliches Verhältnis mit mir einzugehen. Er war ernst-ruhig, aber unfreundlich, fast mürrisch, jede seiner Bewegungen ist kräftig, jedoch leicht und gewandt. Bei Tage lag er stundenlang regungslos auf seinem Baumaste, [509] nachts wanderte er gemachsam im Käfige auf und nieder. Niemals sah man ihn ohne Noth umherspringen, wie die meisten übrigen Katzen dies thun; er war träger als seine sämmtlichen Verwandten.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. DVIII508-DX510.
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