Rebhuhntaube (Starnoenas cyanocephala)

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Eine der eigenthümlichsten Arten der Gruppe und Vertreterin einer gleichnamigen Sippe (Starnoenas) ist die Rebhuhntaube (Starnoenas cyanocephala, Columba cyanocephala, Turtur jamaicensis). Sie ist gedrungen gebaut, der Schnabel kräftig, hoch und breit, an der Kuppe gewölbt, der Fuß wahrhaft huhnfußartig, lang und dickläufig, mit kurzen, fleischigen Zehen, [654] welche große, stark gebogene Krallen tragen; die Flügel sind kurz, die Handschwingen schmal, säbelförmig gebogen und zugespitzt, unter ihnen die dritte und vierte die längsten, die Armschwingen stumpf, obgleich nicht sehr breit; der zwölffederige Schwanz ist mäßig lang und zugerundet, das Gefieder reichlich und etwas derb, ein zügelartiger Streifen nackt, aber mit kleinen, eiförmigen Warzen bekleidet. Die allgemeine Färbung, ein schönes Chokoladebraun, geht auf der Unterseite in Rothbraun über und erscheint auf der Brust weinroth überflogen; der Oberkopf und einige schuppenartige Halsfedern seitlich unter der Kehle sind schieferblau, das Gesicht, der Nacken und die Kehle schwarz, der Zügel und ein Band, welches den Gurgelfleck umschließt, reinweiß, die Schwingen dunkelbraun, vorn rothbraun gesäumt, unten aschgrau schimmernd; die Mittelschwanzdeckfedern chokoladebraun, die seitlichen schwarzbraun.


Rebhuhntaube (Starnoenas cyanocephala). 1/3 natürl. Größe.
Rebhuhntaube (Starnoenas cyanocephala). 1/3 natürl. Größe.

Das Auge ist dunkelbraun, der Schnabel korallroth an der Wurzel, graublau an der Spitze, der Fuß blaß röthlichweiß, auf den Schildern der Fußwurzel schön karminroth, auf den Zehen dunkel bläulichroth, auf der Haut an der Einlenkung der Zehen himmelblau. Beim jungen Vogel sind die blauen Scheitelfedern schwärzlich gerandet, die der Halsseiten, die oberen Flügel- und die unteren Schwanzdeckfedern ockerfarben gesäumt, er Schnabel und die Haut an seiner Wurzel dunkelbraun, die Schilder des Laufes braunroth, die der Zehen türkisblau. Die Länge beträgt einunddreißig, die Flügelbreite vierundvierzig, die Fittig-und Schwanzlänge je dreizehn Centimeter.

Als die Heimat dieses prachtvollen Vogels muß man die Insel Cuba ansehen; von hier aus verbreitet sie sich nordwärts bis Florida, südwärts bis Venezuela, scheint auch, laut Burmeister, die oberen Gegenden Brasiliens am Amazonenstrome zu berühren, kommt aber weiter im Süden nicht mehr vor. Auf Jamaika lebt sie ebenfalls; den übrigen Antillen aber scheint sie zu fehlen. Audubon traf im Mai mehrere von ihnen in Florida an, sah auch ein paar jung aufgezogene, wahrscheinlich aus dem Neste genommene, konnte jedoch über das Freileben nichts feststellen; erst [655] Ricord und nach ihm der treffliche Gundlach berichten ausführlicher über die schöne, bereits den älteren Vogelkundigen wohlbekannte Art.

»Die Rebhuhntaube«, sagt Ricord, »lebt sehr zurückgezogen in den Urwaldungen Cubas. Es ist äußerst schwierig, sie zu beobachten, sei es, weil die fortschreitende Urbarmachung des Waldes sie vertreibt, sei es, weil ihr zu jeder Zeit eifrig nachgestellt wird, da die Kreolen das ausgezeichnete Fleisch oder den aus ihrem Verkauf zu lösenden Gewinn wohl zu würdigen wissen und keine Gelegenheit vorübergehen lassen, sie zu vernichten. Um diesen Vogel zu jagen, muß man früh am Tage zur Stelle sein; denn mit Sonnenaufgang pflegt er sich in der Richtung nach Osten auf die höchsten Zweige der größten Bäume zu setzen. Der Thau, welcher auf den Antillen während der Nacht in großer Menge fällt, durchnäßt wie Regen das Gefieder und veranlaßt die Vögel, sich zu trocknen; deshalb sehen sie den ersten Strahlen der Sonne entgegen. Etwas später begegnet man der Rebhuhntaube in den niederen Dickichten der Wälder auf den belaubtesten Zweigen, welche sie aufsucht, um der Hitze des Tages zu entgehen, am häufigsten in der Nähe von Flüssen, zu denen sie kommt, um ihren Durst zu stillen. Dann ist sie weniger scheu als am Morgen, vielleicht, weil sie sich, gedeckt durch die Blätter, in Sicherheit glaubt, möglicherweise auch, weil die Hitze ihre Lebhaftigkeit vermindert. Aber wenn auch die Mittagszeit ein Anschleichen erleichtert, so ist es um so schwerer, sie wahrzunehmen; denn auch der Jäger ist weniger aufgelegt, sie zu verfolgen, weil die außerordentliche Glut der Tagesmitte ihn ebenso belästigt wie sein Wild. Besonders häufig trifft man sie zu gewissen Zeiten auf den Zuckererbsen an, deren Hülsen sie ausleert.« Gehaltvoller berichtet Gundlach. Diese Art ist ein echter Standvogel der Insel Cuba, ist in den großen Waldungen, besonders denen mit steinigem Boden, nicht selten, wird aber weder im Felde noch in den Savannen angetroffen. Sie geht, den Hals eingezogen, den Schwanz aufgerichtet, stets mit langsamen Schritten und sucht auf dem Boden Sämereien, Beeren und bisweilen kleine Schnecken, scharrt auch in den trockenen, auf der Erde liegenden Blättern. Wenn sie gesättigt ist, setzt sie sich auf einen wagerechten, blätterlosen Ast oder auf Schmarotzerpflanzen, um auszuruhen. Von Zeit zu Zeit läßt sie ihren Lockton hören, welcher aus zwei dumpfen Lauten »Hu – up« besteht, unter denen das »Hu« gedehnt, das »Up« dagegen sehr kurz ist. Außerdem vernimmt man ein leises Murmeln. Der Ruf täuscht über die Entfernung, in welcher sie sich befindet, so daß man sie bald näher, bald wiederum ferner vermuthet. Ihr Flug beginnt mit einem Geräusche, wie man es beim Aufstehen des Rebhuhnes vernimmt, und dies ist der Grund, weshalb sie den sehr unpassenden Namen Rebhuhntaube erhielt.

Im April und Mai findet man das einfach aus einigen Reisern erbaute Nest auf der Krone gewisser Schmarotzerpflanzen im schattigen, nicht mit Unterwuchs bestandenen Hochwalde, und in ihm zwei weiße Eier von fünfunddreißig Millimeter Längs- und fünfundzwanzig Millimeter Querdurchmesser.

Das weiße, vortreffliche Fleisch dieser Taube darf bei großen Gelagen der Tafel der Cubaner nicht fehlen. Sie wird daher stark verfolgt, von Jahr zu Jahr seltener und bereits gegenwärtig mit vier bis acht Mark unseres Geldes bezahlt. Um sie zu fangen, bedienen sich die Landleute eines Lockvogels, oder in Ermangelung desselben einer Lockpfeife, und zwar der entsprechend vorgerichteten Frucht eines Baumes. Das kreisrunde, etwa drei Meter im Durchmesser haltende, unten durch einen Reifen aus Schlingpflanzen beschwerte Decknetz wird mittels einer langen, über einen Baumast weg bis zum versteckten Vogelsteller laufenden Schnur über einem vollkommen freien, gut gereinigten Platze im Walde angebracht und so hoch über den Boden emporgezogen, daß die angelockten Vögel von allen Seiten her unter dasselbe laufen können, der Lockvogel in der Mitte des zu bedeckenden Raumes kurz angebunden und der Platz mit Mais gekörnt. Das Locken der angebundenen Rebhuhntaube oder der Ruf der Lockpfeife zieht die wilden Vögel herbei; der Vogelsteller läßt im rechten Augenblicke das Decknetz über sie fallen und verkauft sie sodann lebend an die Krämer der Ortschaften, welche sie bis zu geeigneter Verwendung in großen Käfigen aufbewahren und füttern. Solchen Kaufleuten danken wir die Rebhuhntauben, welche unsere Gebauer [656] zieren. Ich habe sie oft beobachtet, auch selbst gepflegt, mich aber nicht besonders mit ihnen befreunden können. Diejenigen, welche ich in Gefangenschaft sah oder selbst hielt, saßen mit aufgeblähtem Gefieder oft lange Zeit still auf einer und derselben Stelle, bewegten sich nur auf dem Boden, beschmutzten sich fortwährend und schienen der Reinigung ihres Gefieders durchaus nicht mit demselben Eifer obzuliegen wie andere Tauben. Einen Stimmlaut habe ich, so viel ich mich entsinne, niemals von einer meiner gefangenen vernommen; es ist jedoch möglich, daß auch sie sich hören ließen, ich dies aber, weil sie unter vielen anderen Tauben lebten, nicht wahrgenommen habe. Mit unserem Klima schienen sie sich nicht aussöhnen zu können: jeder kältere Sommertag stimmte sie unbehaglich, jeder Regenguß machte sie beinahe krank. Gleichwohl sollen auch sie sich in dem einen und anderen Thiergarten Europas fortgepflanzt haben.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 654-657.
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