7. Reise nach Wien.

[200] Im Juli 1810 sollte die goldne Hochzeit meiner Schwiegereltern, die jetzt das Badehaus in Rodaun bei Wien gepachtet hatten, gefeiert werden. Natürlich wünschte ich meiner Frau das Glück, dabei zugegen sein und ihre Eltern und Geschwister wieder sehen zu können; ich selbst hätte auch gern das freundliche Wien noch einmal besucht. Aber wie war das in meiner Lage möglich zu machen? Mein gutes Glück, mein Fleiß und mein leichter Sinn kamen miteinander überein, diese Frage zu beantworten.

Im Sommer 1808 nämlich führte Heinroth den Buchhändler Justus Perthes aus Gotha zu mir, der mir den[200] Antrag machte, eine Anleitung zur medicinischen Bücherkenntniß für seinen Verlag auszuarbeiten, da Hecker ein solches Buch bei ihm herauszugeben beabsichtigt, aber, nachdem etwa zehn Bogen gedruckt waren, das Unternehmen aufgegeben hatte. Sogleich stand der Gedanke vor mir, daß dies eine zwar mühselige, aber schnell zu liefernde Arbeit sei, die so viel einbringen müßte, um die gewünschte Reise ausführen zu können. Ich versprach, mir die Sache zu überlegen, und schrieb nach einiger Zeit an Perthes, daß ich Heckers Werk, wie dieser es angefangen, nicht fortsetzen könne, wohl aber ein eigenes nach einem Plane, den ich vorlegte zu liefern bereit sei. Perthes war damit zufrieden, und bestimmte ein anständiges Honorar. – Der Mechanismus meiner Arbeit bestand darin, daß ich zuvörderst die literarischen Zeitschriften durchging und den Titel jedes darin angezeigten medicinischen Buchs mit dazu gehörigen Notizen auf ein eigenes Blatt schrieb; so dienten mir für den Zeitraum von 1679-83 die nouvelles découvertes von de Blegny, von 1731-45 das commercium literarium von Trew, von 1744-74 Hallers Recensionen in den Göttinger gelehrten Anzeigen, 1757-90 die Commentarii de rebus in medicina gestis; 1790-1808 die Salzburger medicinische Zeitung; außerdem die unter dem Titel medicinischer oder chirurgischer Bibliotheken von Vogel, Richter, Murray, Tode, Blumenbach herausgegebenen Journale, die Gazette salutaire, das Giornale per servire alla storia etc., Duncans medical commentaries, das Repertorium der Literatur von Ersch und ähnliche Werke. Nachdem so das Material zusammengetragen war, galt es, die Bücher in eine systematische Ordnung zu bringen, was denn allein der einigermaßen unterhaltende Theil der Arbeit war, und hierauf wurden die Werke über gesammte medicinische Literatur von Haller, Kühn und Ludwig, so wie der Katalog der ehemaligen Kappschen Bibliothek durchgesehen und die dabei bemerkten Lücken ausgefüllt. Im Jahre 1809 gab ich den dritten Band de Arzneimittellehre heraus, schrieb die Physiologie, den ersten Band der Encyklopädie der Heilwissenschaft, den Organismus[201] menschlicher Wissenschaft und Kunst, bearbeitete den siebenten Theil von Bells Chirurgie, las meine Collegia, besorgte meine kleine Praxis, und trieb noch Allotria, wie beim Säcularfeste der Universität: man kann sich denken, wie wenig Zeit mir für dieses Werk über Literatur übrig blieb, und wie sehr ich mich anstrengen mußte, um es zur rechten Zeit beendigen zu können; ich arbeitete mit leidenschaftlicher Hitze, ich möchte sagen: mit Wuth; um nach dem Mittagsessen eine Viertelstunde ruhen zu können, mußte ich meine Schreibereien zudecken, denn ihr Anblick regte mich auf. Am 23. Mai 1810 war das Buch fertig1, und am 27. trat ich mit Frau und Kindern die Reise an. Viele meiner Bekannten fanden es unglaublich, daß ich um der Pietät und des Vergnügens willen mit meiner Familie auf ein halbes Jahr nach Wien reiste, meine Collegia aussetzen, meine Praxis versäumen und meinen Erwerb vernachlässigen sollte, und glaubten an meine Rückkehr nicht eher, als bis sie mich wirklich wieder in Leipzig sahen.

Um recht gemächlich und genußreich reisen zu können, hatte ich einen Lohnwagen bis Wien gemiethet, und mein Vorhaben ging auch ganz in Erfüllung. Wie ich die Stadt im Rücken hatte, athmete ich freier auf: ich mußte aus dem Wagen springen und eine Strecke jubelnd darneben gehen. Nach dem Mittagsessen in Frohburg ließ es uns im Gasthause keine Ruhe: ich ging mit Frau und Kindern eine Strecke voraus bis zu einer Anhöhe, welche die Gegend beherrscht und wo wir uns lagerten. Abends bei guter Zeit in Penig angelangt, bestiegen wir einen Berg am schönen Muldenthale, lagerten uns und sangen im Chore. Und mit gleicher Freudigkeit und Dankbarkeit für unser Glück machten wir die ganze Reise.

In Prag war uns das Wichtigste, in der St. Heinrichskirche an dem Taufsteine, wo meine Tochter getauft, und an dem Altare, wo meine Frau als Wöchnerin eingesegnet worden[202] war, unser Gebet zu verrichten. Hatte ich hier mit Inbrunst gebetet, so war der Dank nicht minder innig, den wir hierauf der braven Familie des Seilermeisters Wagner darbrachten, die meiner Frau so liebreich beigestanden hatte.

Uebrigens erlebte ich als Schriftsteller ein Paar unerwartete und zum Theil lächerliche Scenen. Zuerst auf der Mauth bewies sich der mein Gepäck untersuchende Beamte sehr freundlich, bedauerte, daß ich erklärt hatte, Bücher bei mir zu haben, musterte sie, und schob mir eines heimlich zu, mit der Aeußerung, das sei verboten, ich solle es verbergen: es war mein unschuldiger Organismus menschlicher Wissenschaft und Kunst. – Sodann kam ich, nachdem ich das Militärhospital und das allgemeine Krankenhaus besehen und die dabei angestellten Aerzte zum Theil kennen gelernt hatte, zum Professor der Chirurgie Fritz; da ich sehr heiser war, so verstand er meine Anrede nicht, sondern hielt mich für einen Patienten, der seine Hülfe suchte, bat mich nieder zu sitzen, und wollte mir in den Mund sehen; als ich mich nun verständlich machte, gerieth der junge, phantasiereiche Mann in die lebhafteste Ekstase: so sehr hatte meine Physiologie, die aufgeschlagen auf seinem Arbeitstische lag, seinen Beifall gefunden. Ich war aber noch viel mehr überrascht, so aufgenommen zu werden, als er es war, in dem heisern Patienten einen ihm bekannten Schriftsteller zu erkennen, denn in meiner Naivetät war es mir nicht im Entferntesten eingefallen, daß ich auf dieser Reise auf Freunde meiner literarischen Thätigkeit stoßen könnte. Uebrigens wurde mir Fritz mit seiner Kunstliebe durch mannichfaltige Mittheilungen sehr interessant, indem er sich besonders hütete, der heilenden Natur durch Afterkunst in den Weg zu treten, aber ihr darum nicht alle Unterstützung entzog.

Hatte ich in Prag eine vorwaltend militärische Stimmung, feindselige Gesinnung gegen Frankreich und Erbitterung über die Erfolglosigkeit der österreichischen Siege gefunden, so war auch in Mähren und Oesterreich der letzte Krieg der gewöhnliche Gegen stand der Unterhaltung, und es zeigte sich, welch lebhaften Antheil das Volk daran genommen, und mit welch freudiger Ungeduld ihn[203] Bürger und Bauern erwartet hatten; auf dem Schlachtfelde von Znaim erzählte man mir mit bittrem Unmuthe, wie in dem zweitägigen Kampfe die Angriffe der Franzosen fortwährend zurückgeschlagen worden wären, bis der Waffenstillstand den Vortheilen des österreichischen Heers ein Ende gemacht hätte. Um des grellen Contrastes gegen die herrschende vaterländische Gesinnung willen interessirte mich die Erzählung eines reichen Gastwirths in Iglau, wie er mit den Franzosen sehr zufrieden gewesen sei, da sie das, was sie seinen Landsleuten geraubt, um ein Spottgeld an ihn verkauft hätten; es war ein robuster Mann, und er rühmte sich, daß er einen Räuber, der ihn hatte angreifen wollen, mit gebundenen Armen einige Meilen laufen lassen, ihm dann hundert Stockschläge auf Schenkel und Schienbeine gegeben und ihn endlich gebunden in einen tiefen Graben geworfen habe, wobei er noch bemerkte, er würde ihn ganz anders zugedeckt haben, wenn nicht so viele Menschen zugegen gewesen wären.

Nach meiner Ankunft in Wien ging es natürlich zuerst nach Rodaun, um meinen Schwiegereltern im dasigen Badehause ihre Tochter und ihre beiden Enkel zuzuführen, wodurch die Familie vollständig vereint wurde, da der Sohn vom Hause, mein Schwager, nachdem er seit 1794 alle Feldzüge, zuletzt als Rittmeister, mitgemacht hatte, seit einigen Jahren bei der deutschen Garde in Wien stand. Außer der braven Familie, die nach vielfachem Ungemach sich jetzt so glücklich fühlte, fanden wir hier mehrere Badegäste, die eine sehr angenehme Gesellschaft bildeten, und unter welchen besonders Fräulein Müllbauer durch ihre Geistesbildung hervorragte und unsere warme Freundin wurde. Rodaun selbst, am Fuße eines Bergzuges gelegen, der zu den Wien nach Südwesten in einem Halbkreise umgürtenden und vom Leopoldsberge bis zur Briel sich erstreckenden Bergen gehört, bot durch seine herrliche Lage viel Annehmlichkeiten dar. Indessen verließ ich es bald, da ich mir einbildete, ich müsse auch in Wien recht fleißig sein und die dasigen Anstalten zu meiner Belehrung benutzen. Ich miethete mir also ein Zimmer an der Glacis in der Nähe der Alstergasse,[204] und fing an, das allgemeine Krankenhaus, den Narrenthurm und die Josephinische Akademie zu besuchen, den Ordinationen daselbst beizuwohnen und dann in meiner Wohnung das Erlernte aufzuzeichnen. Das war eine Art Studentenleben, aber ohne seine heitre Seite. Ich war schon zu sehr an das Familienleben gewöhnt, als daß mir in den unbeschäftigten Stunden die einsame Wohnung nicht hätte Grauen erregen sollen. Eine Zeitlang quälte ich mich mit dem Versuche, meinen Vorsatz durchzuführen, bis ich einsah, daß er meiner Natur widerstrebte und das mir auferlegte Joch abwarf, worin denn auch Hänsel mich bestärkte, indem er mir um diese Zeit Folgendes schrieb: »Weil ich empfinde, was Du empfindest, fühle ich einen Mißklang in mir, wenn ich Deine Briefe kälter und ruhiger finde, als sie in diesen für Dich so belohnenden Augenblicken sein sollten. Wahrlich, giebt es eine Poesie des Lebens, so muß sie sich jetzt in Dir, mein Burdach! aussprechen. Und wie? Nicht in inhaltsleeren Aufwallungen, in Gefühlen, die ihren Gegenstand noch nicht kennen, nur ahnen; nein! in lebendiger Kraft, aufgeklärt durch das Streben des Geistes, befruchtet durch ein nimmer laß gewordenes Handeln, mit einem Worte, wie sie erscheint in einem Genius, der die Bürde, den Schmerz des Lebens gefühlt hat, und durch irdische Qual zu einem reinen Sein durchgedrungen ist.«

Ich lebte nun in der Regel in Rodaun, genoß die Schönheiten der Natur, den Reiz des Familienlebens und die Freuden der Geselligkeit, wobei die wissenschaftliche Beschäftigung für den Augenblick etwas Untergeordnetes war.

Unter den Männern, deren freundschaftlichen Umgang ich zu genießen das Glück hatte, nahm der Graf Karl von Harrach den ersten Platz ein. Er hatte Jurisprudenz und außerdem auch Medicin studirt, und war als Regierungsrath in Prag angestellt worden, hatte aber diese Laufbahn aufgegeben, um sich der medicinischen Praxis zu widmen, und sich dazu unter Frank sowie in Frankreich und England ausgebildet. Während sein älterer Bruder als Majoratsherr seinen großen[205] Reichthum immer vermehrte – der jüngere Bruder war der Vater der nachmaligen Fürstin Liegnitz – blieb er als Comthur des deutschen Ordens unverheirathet, und verwendete seine mäßigen Einkünfte von 6000 Gulden, um seinem Sinne für Literatur und Wohlthätigkeit zu genügen. Er war kaiserlicher Kammerherr, doch weiß ich nicht, ob er als solcher jemals fungirt hat; dagegen war seine medicinische Doctorwürde kein leerer Titel. Er behandelte aber nur Arme, besonders solche, die von den Aerzten aufgegeben oder vernachlässigt wurden, Krüppel, Gelähmte, Epileptische u.s.w. Die Wirkung der von ihm gegebenen Arzneimittel unterstützte er durch seine Wohlthaten: dem Einen erleichterte er die Last der Sorgen durch Geldgeschenke; dem Andern schaffte er eine gesündere Wohnung; dem Dritten ließ er Wein aus dem eigenen Keller reichen u.s.w. Ich traf ihn oft von einer Schaar chronischer Kranker oder dankbarer Genesener umringt, und sah, mit welch liebenswürdiger Einfachheit er gegen die armen Leute sich benahm; eines Tages meldete man ihm, daß ein ehemaliger Domestik von ihm Schaden genommen habe, und er schickte ihm sogleich seine Equipage. Im Kriege von 1809 widmete er sich anfänglich der Heilung der erkrankten französischen Soldaten mit aller möglicher Hingebung; als aber unter den Oesterreichern, die als Kriegsgefangene nach Wien gebracht worden waren, Krankheiten ausbrachen, lebte er ganz unter ihnen, und kam nicht eher aus dem Krankenhause, als bis er selbst am Typhus erkrankte. Er ließ sich von einem jungen Arzte behandeln und verweigerte jede Consultation; als er nun zu sterben glaubte, besorgte er, daß sein Tod dem jungen Manne zur Last gelegt werden könne; und um ihn für den dadurch möglichen Verlust an Praxis zu entschädigen, vermachte er ihm eine beträchtliche Summe, die er ihm aber auch nach seiner Genesung auszahlte, da es ihm widersinnig dünkte, daß er nur die mißlungene, nicht auch die gelungene Kur so belohnen sollte. – Bei einem hellen Verstande, einer umfassenden Bildung und einer großen Menschenfreundlichkeit betrachtete er das Leben aus einem höhern Standpuncte, und ließ sich über die Widersprüche desselben gern[206] in sarkastischer Laune aus. Erhaben über seinen Stand, scherzte er oft über die Vorurtheile der großen Welt und über seine eigene Erziehung, die er nur eine Verziehung nannte. Philosophie und Naturwissenschaften machten neben praktischer Medicin seine Hauptstudien aus, und man fand bei ihm immer die neuesten Werke aus allen Zweigen der Wissenschaft, indem er von allen wenigstens Notiz nehmen wollte. Um allen diesen Aufwand bestreiten zu können, mußte er sehr frugal leben; er äußerte einigemal wie im Scherze und in Beziehung auf sich selbst, es sollten für ehrenwerthe Leute, die das Ihrige ausgegeben hätten, eigene Spitale existiren. Eine seiner Sonderbarkeiten war, daß er nie aus der Stadt kam. Die Gräfin Dietrichstein, deren Einladungen, sie in ihrem Sommeraufenthalte nahe bei Wien zu besuchen, er immer ausgeschlagen hatte, ließ ihm eines Tages sagen, sie sei gestorben und er möge zu ihrer Section kommen, denn dieser Einladung könne er gewiß nicht widerstreben. – Seine Freundschaft gehört zu den theuersten Gütern, die mein günstiges Geschick mir zugewendet hat.

Andre werthe Freunde, mit denen ich manchen heitern Tag oder Abend auf dem Lande oder in der Stadt verlebte, waren die Professoren an der Josephinischen Akademie, der Geburtshelfer Wilhelm Schmitt, der Chirurg Zang, dessen Eigenthümlichkeiten damals noch nicht bis zur Bizarrerie gesteigert waren, und Isfordink, mit welchem ich in ein um so innigeres und angenehmeres Freundschaftsverhältniß trat, da sich unsre beiderseitigen Frauen recht herzlich einander anschlossen. Wenn ich zur Stadt kam, benutzte ich das ein für allemal gemachte gastfreundliche Anerbieten des Dr. Friedrich, welcher als Nachfolger seines berühmten Lehrers, Adam Schmidt, einer sehr besuchten Augenheilanstalt vorstand, eine bedeutende Praxis hatte, und seine Mußestunden vornehmlich dem Genusse der Poesie widmete; ich war bei ihm ganz heimisch, und verlebte frohe Tage in seinem Hause.

Unter den damaligen ärztlichen Notabilitäten Wiens machten sich die beiden klinischen Lehrer, Hildebrand und Kern,[207] besonders bemerklich; ich machte die Bekanntschaft von Beiden, und wohnte ihren klinischen Vorträgen bei, fand mich aber durch sie wenig befriedigt. Hildenbrand war aus Krakau berufen worden, um einen gewissen Beutl zu ersetzen, der, früher in Olmütz, Nachfolger von Frank geworden war, sich aber als untüchtig erwiesen hatte; er bewies eine große Sicherheit in seinem Verfahren, aber der damit verbundenen Ruhe fehlte der Ausdruck geistiger Lebendigkeit, so daß sie in eine gewisse Schläfrigkeit überging, die sich über das ganze Auditorium verbreitete. Größere wissenschaftliche Regsamkeit und gespanntere Aufmerksamkeit herrschte im Hörsaale von Kern, der in seinen Lehren origineller war, indem er gegen die bisherige Künstelei in der Chirurgie eiferte und den Grundsatz hatte, die Wirksamkeit der Natur im Heilungsprocesse nicht zu stören, vielmehr ihn nur durch Wasser, als den indifferentesten Körper, zu unterstützen. So sah ich in seiner Klinik nicht nur die bloß mit kaltem Wasser befeuchteten syphilitischen Geschwüre bei Quecksilbereinreibungen am Schenkel heilen, sondern auch bei zwei Menschen die beim Steinschnitte gemachten Wunden unter Umschlägen von kaltem Wasser ohne weitern Verband verheilen. Wie interessant es mir aber auch war, Augenzeuge davon zu sein, wie weit die Zuversicht zur Heilkraft der Natur gehen darf, so war mir doch Kerns Eitelkeit zuwider, indem er die trivialsten Dinge mit breiter Ruhmredigkeit vortrug und den starken Weihrauchdampf seiner Zuhörer mit Wohlgefallen einathmete. – Von den übrigen Aerzten im allgemeinen Krankenhause lernte ich nur den Dr. Eysel kennen, der mit seinem Vorgänger, Nord, viel Aehnlichkeit hatte.

Ich hörte, daß ein Dr. Zschepold im Fürstlich Lichtensteinschen Palais ein magnetisches Baquet zur Heilung von allerhand Uebeln anwende, ohne etwas Näheres darüber erfahren zu können. Meine Neugierde machte mich zum Zeugen und zugleich zum Gegenstande einer lächerlichen Scene. Ich begab mich zu dem genannten Doctor, und erfuhr von ihm, daß er einen gewissen Chirurgen, gewöhnlich durch Manipulation, sonst aber auch aus der Ferne durch Fixiren mit den[208] Gedanken und durch die Kraft des Willens in somnambulen Zustand versetzen könne, in welchem derselbe jedoch erkläre, er gebe sich ungern und nur um des Geldes willen (5 Gulden) dazu her. Ich war bereit, die 5 Gulden daran zu setzen, und erhielt ein Billet: »an Herrn Chyrurg Langguth auf der Wiesen im Einhorn.« Ich fand die Wiesen, das Einhorn und den Chyrurgen, einen ziemlich vierschrötigen Menschen; er fragte nach »der Herrschaft,« die ihn sehen wollte, und stellte sich zur bestimmten Stunde mit einem Dr. Lettel bei Zschepold ein. Das Baquet, ein hölzernes Gerüste, auf gläsernen, in eisernen Gefäßen stehenden Säulen ruhend, hatte in seinem mit Eisenblech beschlagenen und mit einer gleichen Thüre versehenen Innern sechs Sitze, von welchen drei hohe eiserne Lehnen, gleich Großvaterstühlen, hatten, über denen von der Decke eiserne Schilder und unter diesen eiserne Ketten herabhingen. Wir setzten uns auf das Baquet, gaben einander die Hände, und ließen nach Vorschrift das magnetische Fluidum von der Linken zur Rechten strömen, indem Jeder mit dem Daumen seiner rechten Hand auf die Spitze des Daumens der linken Hand seines Nachbars zur Rechten tupfte. Nach ungefähr zehn Minuten setzte sich Langguth bequem, machte unvollständige Versuche zu gähnen, schloß die Augenlider und ließ darunter die Augäpfel recht geschickt herum rollen; zugleich gerieth er in Schweiß. Zschepold vollendete nun die Krisis, indem er in der Nähe einige Striche vom Kopfe zur Brust, und durch abwechselndes Beugen und schnelles Ausstrecken der Finger Sparsionen gegen den Kopf machte. Ich setzte mich mit dem Somnambulen in Rapport, und nun begann folgendes Gespräch:

Ich. Wie fühlen Sie sich jetzt?

Er. Ich habe anfangs eine Beklemmung in der Herzgrube, mein Puls ist beschleunigt und zusammengezogen.

Ich. Wie ist jetzt das Verhältniß der Nervenknoten zum Gehirne bei Ihnen?

Er. Reizbarer. Es geht mehr Blut nach dem Gehirne, und mein Gesicht ist daher auch röther.

Ich. Wie verhält sich Ihr jetziger Zustand zum Schlafe?

[209] Er. Der Schlaf ist bloß körperliche Ruhe.

Ich. Was geschieht für eine Veränderung in Ihren Nerven, wenn Sie einen äußen Eindruck percipiren?

Er. Es ist dies wie ein Antupfen.

Ich. Was spricht jetzt aus Ihnen? Geist, Seele oder körperliches Gemeingefühl?2

Er. Der Geist.

Ich. Kann der Geist selbstständig existiren ohne Körper?

Er. Der Körper existirt nicht ohne Geist, und der Geist nicht ohne Körper.

Ich. Die Seele erlischt bei dem Tode?

Er. Nein, die Seele ist eigentlich das unsterbliche Wesen.

Zschepold, der sich bisher sehr zufrieden bewiesen hatte, wurde etwas verlegen, wiederholte die Frage, indem er sie etwas anders stellte, und als der Somnambule auf seiner ketzerischen Behauptung beharrte, meinte er, Einige nähmen Geist und Seele auch in umgekehrter Bedeutung wie Andre.

Ich. Wie ist mein Gesundheitszustand?

Er. Melancholisches Temperament, etwas schwache Brust, reizbare Nerven, Anlage zu Gallenstoff. Sie haben in der Jugend viel gesessen, und müssen sich deshalb mehr Commotion machen.

Ich wußte nun mehr als genug. Zschepold fragte noch allerhand, unter Andrem: »wird meine Reise glücklich sein? Wird nicht etwa meine Gesundheit Schiffbruch leiden?« Antwort: »Ach! Sie haben ja einen guten Wagen.« Nach Aufhebung des somnambulen Zustandes und Empfang des Honorars machte sich Langguth schnell davon; meine Langmuth hielt aber noch eine Weile aus, als Zschepold mir erzählte, daß er nach der Anweisung von Somnambulen mit vieler Mühe das Baquet errichtet habe, daß die Somnambulen das circulirende magnetische Feuer sähen u.s.w. Den meisten Spaß hatte mir der Ausspruch über meinen Gesundheitszustand gemacht.
[210]

Ein fröhlicher Abend brachte mir ein andres Beispiel meiner Gutmüthigkeit zum Bewußtsein. Ungeachtet ich nämlich mich immer modern kleidete, war es mir doch nicht in den Sinn gekommen, den Zopf abzulegen, da ich einen sehr armen Friseur hatte, den abzudanken ich für ein Vergehen gehalten hätte, und den ich ohne Zopf doch gar nicht brauchen konnte. Als mich nach meiner Ankunft in Wien ein junger Arzt im Krankenhause gesehen, hatte er auf die Frage eines Andern nach meinem Aussehen geantwortet: »er hat einen Zopf.« Nun hatte ich in Gesellschaft meiner Frau, meiner Schwägerin und des Fräuleins Müllbauer einen herrlichen Tag auf einer Bergwanderung über Hitzing, Kahlenberg und Leopoldsberg zugebracht, und wir saßen Abends im Kloster Neuburg im Keller. Da that der alte Oesterreicher seine Wirkung, und die Frauen brachten in ihrem Muthwillen die Rede auf meinen Zopf: sie führten mir zu Gemüthe, daß ich meine Berühmtheit nicht im Zopfe suchen dürfe, und da es mir nun klar wurde, daß ich ihn wirklich entbehren könne, so gelobte ich feierlich an, daß er am folgenden Tage fallen solle. Die Frauen waren übrigens gleich mir sehr munter, so daß sie, als wir in Wien aus dem Wagen stiegen, den Fiacre fragten, wo er zu finden sei, denn er habe sie so vortrefflich gefahren, daß sie künftig keinen andern Fiacre haben wollten.

An 31. Juli wurde die goldne Hochzeit meiner Schwiegereltern gefeiert. Ich war dabei Festordner, Decorateur, Redner und Dichter. Die Feier war, wie mich dünkt, recht sinnig, und machte auf die anwesenden Gäste einen guten Eindruck; eine ausführliche Beschreibung davon gab ich auf Verlangen in den »vaterländischen Blättern für den österreichischen Kaiserstaat« vom 14. September 1810. Einige Tage darauf überbrachte ein Kammerherr dem Jubelpaare ein Paar goldne Medaillen vom Kaiser. Meine Schwiegereltern erhielten die Erlaubniß, dem Kaiser ihren Dank persönlich abstatten zu dürfen, mein Schwager begleitete sie, und ich schloß mich ihnen an. Am 23. August fuhren wir zusammen nach Laxenburg, wo wir Audienz erhalten sollten. Während der Kaiser in seinem Kabinet[211] mit dem Grafen Wrbna arbeitete, unterhielt uns in dem unmittelbar daran stoßenden Vorzimmer der Leibbüchsenspanner auf die freimüthigste Weise und ohne die Stimme zu dämpfen über die kaiserliche Familie; besonders sprach er seine Unzufriedenheit mit der Erziehung des Kronprinzen im Sinne eines Büchsenspanners auf das Lebhafteste aus, und meinte, wenn der künftige Regent, anstatt sich beim edeln Waidwerke Rüstigkeit zu erwerben, immer nur unter geistlichen Herren im Zimmer hockte, so sei das ganz verfehlt. – Der Kaiser empfing uns mit der ihm eigenen Leutseligkeit, wünschte den Eltern Glück, erkundigte sich nach einigen Umständen ihres Lebens, erinnerte sich, sie vormals auf dem Leopoldsberge gesehen zu haben, richtete einige Fragen an mich, und billigte es, daß ich zu diesem Feste gekommen sei. – An demselben Vormittage war Probe zu einem Turniere, welches dem bevorstehenden Geburtstage der Kaiserin zu Ehren gegeben werden sollte, und wir sahen von der Gallerie der Rennbahn zu. Die Ritter, in bürgerlicher Kleidung, mit Lanzen bewaffnet, waren der Kaiser, die Erzherzöge und einige junge Männer von hohem Adel. Sie ritten zuerst einzeln herein und in der Bahn herum; da außer uns fast gar keine Zuschauer zugegen waren, so bemerkte uns der Kaiser im Vorüberreiten und grüßte freundlich herauf. Sie bildeten dann vier Quadrillen; in der ersten war Erzherzog Karl der Führer, und es war komisch zu sehen, wie der neben ihm reitende Kaiser auf ihn genau Acht gab, um die Manoeuvres mit der Lanze im rechten Tempo zu machen. – Von der Ungezwungenheit am Hofe sah ich in Laxenburg noch ein andres Beispiel: auf einem Spaziergange im Parke begegnete mir die Kaiserin in Begleitung einiger Herren; Baron Stifft, der unter ihnen war, erkannte mich, da ich ihn in Wien besucht hatte, und verließ die Gesellschaft, um einige Worte mit mir zu wechseln.

Napoleon hatte beim Abschiede von Wien durch Sprengung eines Theils der Wälle ein Andenken hinterlassen und dadurch die an dieser Stelle späterhin erfolgte Anlage des sogenannten Volksgartens vorbereitet; außerdem waren keine Veränderungen[212] sichtbar, auch sonst nicht merklich. Die Schrecken der angedrohten Beschießung der Stadt hatten bei einigen empfindlichen Personen Nervenleiden hervorgebracht; aber in Sitten und Gesinnungen war durch den Krieg nichts verändert worden. Die Wiener Bürger hatten sich unter dem Drucke der siegenden Feinde durchaus ehrenhaft benommen; auch die Vermählung Napoleons mit Marien Louisen hatte keine andere Stimmung hervorgerufen, und ich hörte noch sagen, es sei immer Schade, »daß das saubre Maderl an den rußigen Buben gekommen sei«. Nur eine Spur des Continentalsystems, das aber hier eine eigene Form annahm, erinnerte an Napoleons Herrschaft. Die österreichische Regierung hatte 1808 die Aerzte aufgefordert, ihre Erfahrungen über inländische Arzneimittel, welche die Stelle von ausländischen vertreten können, bekannt zu machen und dabei mehrere der letzteren, unter Andern auch Quassia, Senega, Serpentaria und Zitwersamen für ganz entbehrlich erklärt. Nur im Fortschreiten auf dieser Bahn konnte das Continentalsystem hier vollzogen werden, da Oesterreich bei seiner ausgebreiteten Industrie die englischen Fabrikwaaren entbehren konnte und ihre Einfuhr längst verboten war. So kam denn während meines Aufenthaltes in Wien eine monströse Verfügung heraus: Verbot des Kaffees. Von einem bestimmten Tage an sollte der öffentliche Verkauf desselben aufhören und der noch übrige Vorrath an die kaiserlichen Magazine abgeliefert werden; künftig solle man nur in den Apotheken, und zwar nur auf ärztliche Verordnung, Kaffee kaufen dürfen. Acht Tage lang vor dem bestimmten Termine sah man nun die Einwohner wenigstens auf einige Zeit sich damit versorgen: alle Commis in den Materialwaarenhandlungen hatten bis spät in die Nacht mit dem Verkaufe zu thun; da in den Läden der Platz nicht hinreichte, so standen die großen Kaffeefässer auf der Straße, aus denen, da das Wägen zu lange dauerte, der Kaffee nach dem Maaße verkauft wurde. Auf den Kaffeehäusern erhielt man aber unter dem Namen: Surrogat, den besten Kaffee.

Um mir die Thaten der deutschen Kämpfer von 1809 soviel[213] wie möglich zu vergegenwärtigen, machte ich unter Andern die Bekanntschaft von Hormayer. Zuerst suchte ich ihn auf seinem Sommersitze im Kloster Neuburg vergeblich, da er gerade auf die Berge gegangen und es, wie man mir sagte, in solchem Falle ganz ungewiß war, wann er zurückkehren werde. Ich sprach ihn nachher in einer bedeutungsvolleren Umgebung, – im kaiserlichen Archiv, wo er mir eine lebhafte Schilderung vom Kampfe in Tirol machte und es unter Andrem rühmte, daß der Aufstand in Deutsch-Tirol ein volles Jahr vorher vorbereitet worden war und kein Verräther sich gefunden hatte. – Auf einem andern Wege bekam ich mehrere Originalbriefe von Andreas Hofer in die Hände und nahm davon Facsimiles, die ich meinem Hänsel mitbrachte; leider besitze ich keine Abschrift davon.

Kurz vor meiner Abreise im October besuchte ich noch das Schlachtfeld von Aspern und Eßlingen, ließ mir von den Bewohnern der Umgegend, die beim Anfange der Schlacht noch einheimisch gewesen waren, beschreiben, wie sich ihnen die Ereignisse dargestellt hatten; suchte dann Bauern von Aspern auf, die in einem von meinem Schwager geführten Bataillon der Landwehr auf ihrem eigenen Grund und Boden gekämpft hatten und sammelte von den Ueberbleibseln französischer Montirungs- und Bewaffnungsstücke, die noch zwischen der Donau und den Dörfern in Menge zerstreut lagen, einige Reliquien für meinen Hänsel.

Fußnoten

1 Die Literatur der Heilwissenschaft. Von K.F. Burdach. Gotha bei Justus Perthes. I. Bd. XVI und 662 S. II. Bd. VIII und 972 S. 8.


2 Zschepold hatte mir gesagt, sein Somnambuler nehme gleich Andern außer der Seele einen unsterblichen Geist an.


Quelle:
Burdach, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie. Leipzig 1848, S. 215.
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