1. Amtsverhältnisse.

[374] Es war ein Uebelstand, daß Baer seit 1821 ordentlicher Professor und Mitglied der medicinischen Facultät, dabei noch Prosector war; ich hatte zwar, wie schon (S. 291) gesagt, ihn von Anfang an nicht als einen mir untergeordneten Beamten, sondern als Collegen behandelt und es war in dieser Hinsicht nie eine Irrung unter uns eingetreten, aber schon das nominelle Verhältniß erschien anstößig. Baer legte also 1826, mit mir einverstanden, das Prosectorat nieder, und da dieses 1827 interimistisch, dann definitiv meinem Sohne übertragen wurde, fand ich es nicht mehr passend, die Direction der anatomischen Anstalt zu führen, die denn auch das Ministerium auf meinen Antrag dem Professor von Baer übertrug.

Ehe dieses geschah, hatte ich mit meinem Sohne noch ein schweres anatomisches Geschäft. Ein Hauptmann von Droste hatte vor mehreren Jahren, als er den baldigen Tod seiner Gemahlin befürchtete, bei mir anfragen lassen, ob ich es übernehmen wollte, ihren Leichnam einzubalsamiren. Jetzt aber war er selbst, gegen siebzig Jahre alt, gestorben und seine Gemahlin übertrug mir nun am 11. August 1827 diese Procedur an seinem Leichname, da sie denselben in einem Glaskasten in ihrem Wohnzimmer aufgestellt sehen wollte. Es war ein wohlgenährter Körper von ungewöhnlicher Größe, und man hatte ihn nach[374] dem Tode zwanzig Stunden lang bei der starken Sommerhitze im Bette liegen lassen, ehe er mir und meinem Sohne in der anatomischen Anstalt übergeben wurde. Nachdem wir ihn exenterirt hatten, spritzten wir eine Kalilauge in die aufsteigende Aorta, die arteri anonyma und die beiden Hüftarterien so lange, bis alles Blut verflüssigt und durch die entsprechenden Venen ausgetrieben worden war, so daß das nunmehr eingespritzte Wasser, welches die Kalilauge selbst hinwegnahm, ungefärbt abfloß. Nachdem diese Operation mit dem vollkommensten Erfolge vor sich gegangen war, spritzten wir eine feine rothe Wachsmasse in beide Carotiden und hatten die Freude, zu sehen, wie das Gesicht seine Falten verlor und die Wangen sich rundeten, den Schein lebendigen Turgors, ja selbst einen leisen Schimmer von Röthe gewannen. Wir wünschten uns Glück und legten den Leichnam in eine Lauge von Aetzsublimat, und da er nicht auf dem Boden der Wanne blieb, was uns freilich etwas stutzig machte, so hielten wir ihn durch aufgelegte große Steine darnieder. Am folgenden Morgen sahen wir zu unserem Schrecken, daß er die Steine abgeworfen hatte und oben schwamm: es war offenbar, daß die Fäulniß mit aller Macht hereinbrach. Wir nahmen durch Trepanöffnungen das Gehirn, in welchem wir die feinsten Haargefäße mit unserer Injectionsmasse gefüllt fanden und, so weit es möglich war, das Rückenmark heraus, exstirpirten die Augen, legten den Leichnam in eine frisch bereitete, stärkere Lauge von Aetzsublimat und beschwerten ihn mit mehreren Centnern schweren Steinen. Demungeachtet schwamm er bald wieder oben und die Fäulniß schritt fort. Wir machten nun an der Rückseite des Rumpfes und der Gliedmaßen tiefe Einschnitte, spritzten von der Sublimatlösung so viel als möglich zwischen die Muskelmasse, machten immer frische und stärkere Lauge, hingen leinene Beutelchen mit Sublimat in Substanz darein, so daß fast der ganze Vorrath davon in den Königsberger Drogueriehandlungen und Apotheken darauf ging: Alles vergeblich; der Leichnam warf die größten Steine herab und schwamm oben auf. Wir bändigten ihn nicht eher, als bis wir ihn durch eine an der Decke[375] angebrachte Rolle an einem Seile in die Höhe zogen, so in ein über sieben Fuß hohes Faß, mit Sublimatlauge gefüllt, versenkten und mittels eines eingepaßten Deckels darnieder hielten. Die Dauerhaftigkeit, welche er in dieser dreiwöchentlichen Clausur erlangte, stimmte jedoch nicht zu dem, was sich indeß im Hause des Verstorbenen ereignete: die Wittwe nämlich hatte ihr Herz einem jungen Manne zugewendet, und da sie schon zu alt war, um das Gluck der Liebe lange hinausschieben zu können, verlobte sie sich mit ihm, ehe sie noch einen Monat in dem traurigen Wittwenstande zugebracht hatte. Der zum Erben eingesetzte Bräutigam meldete mir schon am 8. September, daß sie gestorben sei und er sie ihrem Wunsche gemäß sammt ihrem Gemahle, dessen Einbalsamirung nun unterbleiben müsse, beerdigen lassen wolle. Ich erwiderte, daß die Einbalsamirung bereits vollbracht sei; der Leichnam wurde vollständig mumificirt herausgehoben, angekleidet und in den Sarg gelegt; die Augenhöhlen wurden mit Baumwolle gefüllt, die Augenlider, Lippen und Wangen durch Drücken und Streichen in die normalen Formen gebracht: unser Werk war auf das Beste gelungen und machte uns nach der vielen Mühe und Sorge nicht wenig Freude. Allein der Erbe war sehr verdrießlich darüber, daß er die Kosten der Einbalsamirung tragen mußte und machte seiner übeln Laune Luft, indem er es sehr unrecht fand, daß wir die Mumie zur Schau ausgestellt hatten, auch behauptete, sie sehe dem alten Herrn nicht ähnlich, was in sofern richtig war, als sie nicht mehr die durch Alter und Krankheit gezogenen Furchen zeigte. Unser Kunstwerk wurde wirklich begraben!

Baer hatte die ihm angetragene Professur der Anatomie in Dorpat abgelehnt und den Dr. Rathke dazu vorgeschlagen, was aber unberücksichtigt blieb, da man einen Inländer für diese Stelle zu finden hoffte. Im Frühjahre 1828 war aber auch die Professur der Physiologie daselbst erledigt und die Universität erkundigte sich in dieser Beziehung durch Erdmann bei mir nach Rathke. Ich schilderte diesen wie ich ihn kannte dem Dorpater Conseil, damit es ihn berufe, zugleich aber auch dem Ministerium in Berlin, um ihm eine Stellung auf einer[376] preußischen Universität zuzuwenden. Letzteres gelang nicht, da gerade keine Vacanz war, und Rathke ging 1829 nach Dorpat.

Inzwischen erhielt Baer 1828 einen Ruf an die Petersburger Akademie der Wissenschaften. Er schwankte in seinem deßhalb zu fassenden Entschlusse; er wollte in Königsberg bleiben, wenn man ihm einige Wünsche gewährte, namentlich einen Zeichner und Kupferstecher für zootomische Gegenstände anstellte, und ging mit dem Vorsatze, diese seine Forderungen dem Ministerium vorzulegen, im September nach Berlin, kehrte jedoch zurück, ohne sich bestimmt erklärt zu haben. So blieb es denn nun auch bis gegen Ende 1829: Baer ging dann nach Petersburg ab, wobei es ungewiß blieb, ob er bloß die dasigen Verhältnisse näher kennen lernen, oder sein Amt daselbst sogleich antreten wollte. Ich glaubte Letzteres und trug auf Rathke's Berufung an; das Ministerium hatte die erstere Meinung und hoffte, da es Baers Werth wohl schätzte und allen seinen Wünschen möglichst zu entsprechen bereit war, ihn an Preußen binden zu können. Beides war irrig: Baer trat wirklich im Anfange des Jahres 1830 sein Amt als Akademiker in Petersburg an und reiste im Sommer in Aufträgen der Akademie nach Leipzig; auf der Rückreise durch Berlin aber entschloß er sich, seine Professur in Königsberg wieder anzunehmen. Hier hielt er aber auch nicht lange aus, sondern wurde im Sommer 1834 auf sein Gesuch in die Petersburger Akademie wieder aufgenommen und Rathke nahm seinen Lehrstuhl in Königsberg ein.

Quelle:
Burdach, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie. Leipzig 1848, S. 374-377.
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