Anhang.


Ich habe in den vorstehenden Lebenserinnerungen wiederholt Gelegenheit gefunden, über meine technischen Arbeiten, die im zweiten Bande der in den Jahren 1889 und 1891 bei Julius Springer erschienenen Sammlung meiner »wissenschaftlichen und technischen Arbeiten« beschrieben sind, einige erläuternde Bemerkungen zu machen. Auch meine frühesten wissenschaftlichen Arbeiten habe ich größtentheils besprochen, da sie auf meinen Lebensgang vielfach bestimmend eingewirkt haben und da sie der jüngeren Generation der Physiker wohl ziemlich unbekannt geblieben sind. Ich fühle aber das Bedürfniß, auch an meine späteren wissenschaftlichen Arbeiten, die in vielen Punkten aus den gewohnten Bahnen der herrschenden physikalischen Lehre heraustreten und daher keine allgemeine Anerkennung gefunden haben, an dieser Stelle einige kritische und die Tragweite ihrer Resultate erörternde Bemerkungen zu knüpfen.

In mehreren, in den Jahren 1860 bis 1866 ausgeführten und in Poggendorffs Annalen veröffentlichten Arbeiten habe ich die Frage der elektrischen Leitungsfähigkeit der Metalle untersucht und die erste und bis jetzt einzige Methode der Darstellung eines empirischen, reproducirbaren Widerstandsmaaßes aufgestellt. Ich wies nach, daß meine Methode gestattete, den Widerstand eines mit reinem Quecksilber erfüllten, angenähert prismatischen Raumes innerhalb eines Zehntausendstels seines Werthes genau zu bestimmen, und löste so die Frage der Darstellung einer absoluten, d.i. auf einer Definition beruhenden Widerstandseinheit in einer der Leistung unserer Meßinstrumente entsprechenden Genauigkeit. Dadurch[301] sind exacte und vergleichbare elektrische Messungen erst ermöglicht worden.

Im Laufe dieser Untersuchung fand ich den schon von anderer Seite aufgestellten Satz, daß Metalllegirungen stets einen größeren Widerstand zeigen, als der Summe der Einzelwiderstände der legirten Metalle entspricht, für feste Legirungen bestätigt, wies aber nach, daß derselbe für flüssige Metallmischungen nicht gilt, diese vielmehr den Widerstand der Einzelmetalle in flüssigem Zustande unverändert beibehalten. Ich zeigte, daß man dieses Verhalten der Metalle zur Bestimmung des specifischen Leitungswiderstandes schwer schmelzbarer Metalle in flüssigem Zustande benutzen könnte. Ferner entdeckte ich, daß der Widerstand der Metalle durch ihre Schmelzung beträchtlich erhöht wird, und daß dabei die latente Wärme der Flüssigkeit in höherem Maaße widerstandbildend ist als die freie Wärme des festen oder flüssigen Leiters. Ich fand hierbei, daß die Widerstandszunahme durch Schmelzung nicht discontinuirlich eintritt, sondern daß der Widerstand innerhalb eines gewissen Temperaturintervalles continuirlich ansteigt und sich ebenso der Widerstandscurve des geschmolzenen Metalles stetig anschließt. Daraus schloß ich, daß die physikalischen Vorgänge der Schmelzung und Erstarrung wesentlich in der Aufnahme und Abgabe latenter Wärme bestehen, die sich innerhalb eines bestimmten Temperaturintervalles während der Verflüssigung vollziehen.

In einer späteren Arbeit über die Abhängigkeit der elektrischen Leitungsfähigkeit der Kohle von der Temperatur habe ich die Behauptung Matthießens, daß die Leitungsfähigkeit der Kohle mit wachsender Temperatur zunähme, bestätigt und die Einwendungen von Beetz und Auerbach dagegen als irrthümlich nachgewiesen. Zur Erklärung dieses auffallenden Verhaltens der Kohle stellte ich die Hypothese auf, daß die verschiedenen Zustände der Kohle – Holzkohle, Graphit, Diamant – allotrope Zustände der in der Natur nicht vorkommenden »latente Wärme freien« Kohle wären und sich von einander wesentlich durch die Menge der aufgenommenen latenten Wärme unterschieden.[302]

Diese Hypothese fand weitere Bestätigung und Entwickelung durch eine Untersuchung der von Willougby Smith entdeckten Eigenschaft des Selens, bei Belichtung elektrisch besser zu leiten als im Dunkeln. Ich fand, daß neben dem Selen, welches durch geringe Temperaturerhöhung aus dem amorphen, nicht leitenden, in den sogenannten krystallinischen, die Elektricität leitenden Zustand übergeführt ist, noch eine dritte Modifikation desselben besteht, die dadurch hervorgebracht wird, daß man das amorphe Selen längere Zeit bis nahe an seinen Schmelzpunkt, also bis etwa 200° C. erhitzt. Diese beiden Modifikationen des die Elektricität leitenden Selens unterscheiden sich wesentlich dadurch von einander, daß die erstere elektrolytisch, d.h. wie die elektrolytischen, flüssigen Leiter bei höherer Temperatur besser, die zweite, lange hoch erhitzte dagegen metallisch, d.h. wie die Metalle beihöherer Temperatur schlechter leitet. In diesem Verhalten des amorphen, aus dem geschmolzenen Zustande schnell abgekühlten Selens – beim Erwärmen bis über 80° C. zwar einen großen Theil seiner beim schnellen Erstarren zurückbehaltenen, latenten Schmelzwärme zu verlieren und elektrolytisch leitend zu werden, bei andauernder höherer Erhitzung in der Nähe seines Schmelzpunktes aber weitere latente Wärme abzugeben und dann noch viel besser und zwar metallisch leitend zu werden – fand ich eine Bestätigung meiner schon bei früheren Untersuchungen aufgestellten Hypothese, daß einmal der elektrische Leitungswiderstand eines Körpers ein Aequivalent der im freien sowohl wie im gebundenen Zustande in ihm aufgespeicherten Wärmemenge sei, daß ferner die gebundene Wärme einen größeren widerstandbildenden Einfluß habe als die freie, und daß Körper ohne allotropisch gebundene Wärme metallisch und zwar so leiten, daß der Widerstand mit der Temperatur, vom absoluten Nullpunkt ab gerechnet, gleichmäßig zunimmt, während der widerstandbildende Einfluß der allotropisch gebundenen Wärme mit steigender Temperatur abnimmt.

Es müssen nach dieser Theorie alle einfachen Körper, die keine allotrope Modifikation ihres ursprünglichen, metallischen Urzustandes unter Aufnahme latenter Wärme sind, metallisch leiten, und[303] es ist wahrscheinlich, daß der sogenannte active Zustand der Körper nichts anderes als dieser latente Wärme freie, von mir der metallische benannte ist, der bei den Halb- und Nicht-Metallen nur in chemischen Verbindungen bestehen kann, ohne sofort unter Wärmebindung in eine allotrope Modifikation überzugehen. Nach dieser Hypothese muß man sich also vorstellen, daß die Moleküle aller nicht metallischen, festen Körper verschiedene Ruhelagen an nehmen können, deren Bestand bestimmten Arbeitsgrößen entspricht, die zu ihrer Constituirung verbraucht worden sind. In chemische Verbindung können nur metallisch constituirte Körper treten. Es bildet die latente Wärme daher ein Hinderniß der chemischen Verbindung, und wenn eine solche dessenungeachtet eintritt, so muß Wärme dabei frei werden. Umgekehrt muß ein chemisch frei werdender Körper metallisch constituirt sein, befindet sich also im Augenblicke des Freiwerdens im activen Zustande. Sich selbst überlassen, nimmt er unter Wärmeverbrauch latente Wärme auf, wenn er ein Halb- oder Nicht-Metall ist, wodurch seine elektrische Leitungsfähigkeit dann theilweise oder gänzlich aufgehoben wird. Erhöhte Temperatur macht die Molekularanordnung, welche der Wärmeaufnahme entspricht, weniger stabil, erhöht daher die elektrische Leitungsfähigkeit und gleichzeitig die chemische Affinität. Da bei der Legirung von Metallen Wärme gebunden wird, so nimmt bei solchen Legirungen der Leitungswiderstand nicht proportional der absoluten Temperatur zu, wie bei den einfachen, reinen Metallen, sondern es bildet die gebundene Verbindungswärme der Legirung ein störendes Element, welches den Widerstand erhöht und dabei die Proportionalität desselben mit der absoluten Temperatur aufhebt.

Es gelang mir die von mir entdeckte, metallisch leitende Modifikation II des krystallinischen Selens auch technisch zur Construction eines Selen-Photometers zu verwenden.

In einer älteren Arbeit habe ich den Nachweis geliefert, daß das Dielektrikum sich durch wiederholte Ladung und Entladung erwärmt, und damit eine experimentelle Bestätigung der Faradayschen Molekularinduction gefunden.[304]

Im Jahre 1875 bot sich mir eine Gelegenheit, die schon im Jahre 1845 vorgeschlagene Methode der Messung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Elektricität in suspendirten Drähten in modificirter Form zur Anwendung zu bringen. Die Versuche, welche mit einer 12,68 Kilometer langen, eisernen Doppelleitung angestellt wurden, ergaben eine Fortpflanzungsgeschwindigkeit von 32600 geographischen Meilen, ein Resultat, welches sich unter Berücksichtigung der Verzögerung durch die Flaschenladung der Leitungen und durch Selbstinduction dem Kirchhoffschen Rechnungsresultate befriedigend anschließt. Ich neigte mich vor der Ausführung dieser, von Dr. Frölich sehr sorgfältig durchgeführten Versuche der Ansicht zu, daß die wirkliche Geschwindigkeit der Elektricität in Leitern unmeßbar groß wäre, da ein Versuch, den ich mit einem über hundert Fuß langen, mit Wasser gefüllten Kautschukrohre anstellte, keine merkbare Verschiedenheit der Stellung der Funkenmarken erkennen ließ. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Elektricität konnte also nicht wesentlich von dem specifischen Widerstande des durchlaufenen Leiters abhängen, und ich hielt es daher für wahrscheinlich, daß die von Wheatstone, Fizeau und Gounelle und Anderen gefundenen, so sehr verschiedenen Werthe nur Ausdrücke für die Verzögerung durch die Flaschenladung der benutzten Leiter gewesen wären. Dieses Bedenken wurde durch die beschriebenen Versuche beseitigt, zu deren Weiterführung ich leider keine Zeit und Gelegenheit mehr gefunden habe.

Auf ein mir ganz abgelegenes Gebiet der Forschung wurde ich durch eine Beobachtung der Thätigkeit des Vesuvs im Mai 1878 geführt. Es fiel mir auf, daß aus der hellglühenden Oeffnung an der Spitze des Aschenkegels, der im Inneren des großen, dunkeln Kraters entstanden war, mit großer Regelmäßigkeit in Zeitintervallen von mehreren Sekunden explosionsartige Auswürfe hervorbrachen. Genauere Beobachtung ergab, daß jeder Explosion ein Einsaugen von Luft folgte, welches so kräftig war, daß die Oeffnung oft sogar ausgeworfene Schlacken oder Steine, die in ihrer Nähe wieder niederfielen, mit einsog. Es mußten brennbare Gase sein, die sich aus dem Erdinneren fortwährend entwickelten, sich[305] dann im oberen Kratergange mit atmosphärischer Luft mischten, welche durch die von der vorhergehenden Explosion verursachte Luftverdünnung eingesogen war, und darauf explodirten, um von neuem einen luftverdünnten Raum herzustellen. Diese Beobachtung führte mich zu einer Betrachtung des Vorganges der Bildung der Erde und ihres jetzigen Zustandes vom physikalisch-mechanischen Standpunkte aus, deren Resultat von den herrschenden Ansichten wesentlich abwich.

Es stehen sich in der Geologie bisher zwei Ansichten schroff und unvermittelt gegenüber, die der Fachgeologen und die der Mathematiker. Die Ersteren halten meist an der alten, schon historisch zu nennenden Ansicht fest, daß einst die Erde feuerflüssig gewesen sei, während Luft und Wasser die ebenfalls noch glühende Atmosphäre bildeten, die dann bei fortschreitender Erkaltung und nach Bildung einer festen Erdkruste die Meere abschied, welche nun ihrerseits mit Hülfe häufiger partieller Hebungen und Senkungen der Erdkruste die mächtigen Sedimentschichten ablagerten, die jetzt fast die ganze Erdoberfläche bedecken. Diese Hebungen und Senkungen sollten durch innere vulkanische Kräfte hervorgerufen sein, die sich noch heute in den Vulkanen sichtbar machten. Englische Physiker, unter ihnen Sir William Thomson, jetzt Lord Kelvin, sind dieser Grundlage der Erdbildungstheorie mit gewichtigen Gründen entgegen. getreten. Lord Kelvin hat es für nothwendig erklärt, daß der ganze Erdkörper fester als glasharter Stahl sein müsse, da die Rechnung ergebe, daß seine Oberfläche sonst die durch Anziehung von Mond und Sonne erzeugte Fluthbewegung mitmachen würde, mithin eine besondere Meeresfluth dann nicht eintreten könnte. J. Thomson hat diese Rechnung durch eine physikalische Betrachtung unterstützt, die dahin geht, daß die Schmelztemperatur von Körpern, die sich beim Erstarren ausdehnen, durch Druck erniedrigt, von Körpern, die sich beim Erstarren zusammenziehen, dagegen durch Druck erhöht wird. Da sich nun Silikate, wie er meint, beim Erstarren um 20% zusammenziehen, so würde der mit der Tiefe steigende Druck die Gesteinsmasse trotz der erhöhten Temperatur nicht schmelzen lassen, sondern noch starrer machen.[306]

Es ist merkwürdig, daß diese sich schroff gegenüberstehenden Ansichten über die Beschaffenheit des Erdinneren ohne alle Kämpfe seit langen Jahren neben einander stehen geblieben sind, obschon es sich dabei um das Fundament der ganzen praktischen Geologie handelt. Die Geologen halten, wie schon gesagt, meist fest an der auf dem flüssigen oder gasförmigen Erdkerne schwimmenden Erdkruste und die Mathematiker an Lord Kelvins Theorie des starren Kernes, ohne sich viel um die Schwierigkeiten der Erklärung der factischen Oberflächenformation zu kümmern!

Ich habe nun versucht, diesen Widerspruch zu lösen, indem ich den Nachweis führte, daß den physikalischen Grundlagen der Thomsonschen Berechnung thatsächliche Bedenken entgegenständen. Diese bestehen namentlich darin, daß die Bischofsche Angabe, daß Silikate beim Uebergange aus dem flüssigen in den starren Zustand um etwa 20%, schwerer würden, unrichtig ist – wie schon aus der bekannten Thatsache folgt, daß feste Silikate stets auf den geschmolzenen schwimmen, wenn sie die Temperatur dieser nahezu angenommen haben. Ferner wies ich darauf hin, daß die Rechnung Lord Kelvins die Zeit nicht berücksichtigt, welche die zähflüssige Erdmasse braucht, um die Form anzunehmen, die ihr in jedem Augenblicke durch die deformirenden Tendenzen der Anziehung von Sonne und Mond vorgeschrieben wird. Da es sich bei diesen Formänderungen um Massenverschiebungen handelt, die sich über den ganzen Erdkörper von Molekül zu Molekül fortlaufend erstrecken und daher einer beträchtlichen Zeit zu ihrer Ausführung bedürfen, so kann sich keine allgemeine Fluthwelle bilden, die gleichmäßig mit der Erdrotation fortschreitet, und kann eine solche überhaupt nur in sehr geringem Maaße zur Erscheinung kommen. Eine Widerlegung haben diese Gründe gegen die mathematische Nothwendigkeit eines festen Erdinneren bisher nicht gefunden, und man ist daher berechtigt, den Betrachtungen über die Gestaltung der Erdoberfläche den zähflüssigen oder gasförmigen Zustand des Erdinneren zu Grunde zu legen.

Bei der Oberflächengestaltung der Erde interessiren auch den Nicht-Geologen namentlich die localen Hebungen, die Bildung[307] des fast die ganze Erdoberfläche hoch bedeckenden geschichteten Diluviums, die Erdbeben und Vulkane. Ich habe versucht, diesen Thatsachen eine auf physikalisch-mechanischer Grundlage ruhende Erklärung zu geben, die meinem Causalitätsbedürfniß Genüge leistet, die aber den herkömmlichen geologischen Anschauungen vielfach widerspricht und daher auch ziemlich unberücksichtigt geblieben ist. Von diesen herkömmlichen Anschauungen muß ich schon die allen übrigen zu Grunde liegende, daß es eine Erdbildungsperiode gegeben habe, in der die Erde feuerflüssig und von einer Atmosphäre umgeben gewesen wäre, welche die permanenten Gase und alles Wasser in Form glühender Dämpfe enthalten habe, für unhaltbar erklären. Welche Gründe mich dazu veranlassen, wird klar, wenn wir einen Schritt weiter zurückgehen zu einer Periode, in der die Erdmasse sich zusammenballte. Damals mußten die Elemente derselben gleichmäßig gemischt sein und verdichteten sich so durch gegenseitige Anziehung in gasförmigem Zustande zum Magma. Eine Absonderung der flüchtigeren Körper konnte erst an der Erstarrungsgrenze eintreten, wo der gasförmige Zustand in den flüssigen und festen überging. Nach Maaßgabe des Fortschrittes dieser Erstarrungszone konnte dann erst eine Ausscheidung der flüchtigeren Körper im gasförmigen Zustande stattfinden. Diese Ausscheidung aus dem feuerflüssigen Inneren konnte aber nur sehr langsam geschehen, da geringeres specifisches Gewicht die einzige vorhandene Kraft war, welche Zusammenballungen specifisch leichterer Massen der Peripherie zutreiben konnte. Wie groß ein solcher Dichtigkeitsunterschied im Erdinneren ist, kann nicht bestimmt werden, da unsere Kenntniß des Verhaltens der Körper bei so hohen Temperaturen und Drucken, wie sie im Erdinneren herrschen, noch zu gering ist. Es erscheint aber klar, daß die Absonderung unserer Atmosphäre und unserer Meere aus der Erdmasse das Werk vieler geologischer Perioden war und bis heute nicht vollendet ist, wie die noch thätigen Geyser und heißen Quellen lehren. Man wird genöthigt sein, eine »Geyserperiode« als besondere geologische Periode anzunehmen, welche der Bildung der festen Erdkruste folgte, und in welcher Vulkane und Geyser an unzähligen Stellen der erstarrten[308] Erdoberfläche die specifisch leichteren Massen, namentlich Wasser und Luft, auswarfen und mit Hülfe der wechselnden Strömungen des durch sie gebildeten Meeres die geschichteten Sedimente auf ihr ablagerten. Auch die Annahme der Hebung der Berge durch innere Druckkräfte verträgt sich nicht mit der Annahme eines feuerflüssigen oder gasförmigen Erdinneren, auf welchem die feste Erdrinde schwimmt. Es können nur tangentiale Kräfte sein, welche die Gebirge gehoben haben und noch jetzt Stellen der Erdoberfläche heben. Durch fortschreitende Abkühlung des Erdinneren sind diese tangentialen Kräfte gegeben, da das Gewölbe, welches die feste Erdhülle bildet, durch die Gravitation in sich selbst zusammengedrückt werden muß, wenn das geschwundene flüssige Erdinnere es nicht mehr ausreichend stützt. Die Erscheinung der vulkanischen Ausbrüche nöthigt nicht zur Annahme eines inneren Druckes, der stärker ist, wie er dem Gewichte der festen Erdkruste entspricht. Wenn man erwägt, daß die jüngeren Erstarrungsschichten festen Gesteins bei ihrer fortschreitenden Abkühlung Sprünge bekommen müssen, welche wir auf der Erdoberfläche als Erdbeben empfinden, so ist klar, daß solche Sprünge auch die angrenzende, in früheren geologischen Perioden schon vielfach zerrissene, abgekühlte Erdrinde mit ergreifen und dadurch direkte Verbindungen des flüssigen Erdinneren mit der Erdoberfläche bewirken können. In diese Sprünge muß dann die noch flüssige Erdmasse eindringen, und da sie heiß und dadurch leichter ist, als das auflagernde Gestein, so muß sie hervorquellen und einen Berg bilden, der so hoch ist, wie es der Differenz der specifischen Gewichte entspricht. Da mit der Verminderung des Druckes, unter dem die in den entstandenen Spalten aufsteigende heiße Flüssigkeit steht, die im Magma enthaltenen Gase und Dämpfe sich entbinden müssen, so wird der Gasblasengehalt das specifische Gewicht der flüssigen Gesteinssäule noch weiterhin beträchtlich vermindern, und es erklärt sich dadurch die Höhe, bis zu welcher in den Vulkanen das flüssige Erdinnere gehoben wird, ohne daß es nothwendig ist, eine räthselhafte, das hydraulische Gleichgewicht überwiegende Druckkraft im Erdinneren anzunehmen.[309]

Es ist auffallend, daß die Fachgeologen diese die Grundlagen ihrer herkömmlichen Lehre in so wesentlichen Punkten modificirenden Anschauungen schon über ein Decennium ohne Widerlegung und Berücksichtigung gelassen haben.

In einem Aufsatze »Ueber das Leuchten der Flamme« beschrieb ich eine Reihe von Versuchen, die ich – zum Theil in den großen, mit regenerativer Heizung versehenen Glasöfen meines Bruders Friedrich in Dresden und gemeinschaftlich mit demselben – über die Frage des Leuchtens gasförmiger Körper anstellte. Es zeigte sich bei diesen Versuchen, daß permanente Gase, wenn sie durchaus staubfrei sind, selbst bei sehr hoher Erhitzung nicht leuchten. Da sie dabei ein kräftiges Wärmeausstrahlungsvermögen haben, so ist wohl anzunehmen, daß sie bei weiterer Steigerung der Hitze schließlich doch zu leuchten beginnen müssen, weil Licht- und Wärmestrahlen sich nur durch die größere Schwingungszahl der ersteren von einander unterscheiden und das Strahlungsvermögen überhaupt mit der Schwingungszahl abzunehmen scheint. Jedenfalls ist das Lichtausstrahlungsvermögen staubfreier, reiner Gase so außerordentlich klein, daß das Leuchten der Flamme specifisch verschieden vom Leuchten der durch den Verbrennungsproceß erhitzten Gase sein muß. Abgesehen vom Leuchten der durch die Verbrennung ausgeschiedenen oder als Verunreinigung im Gase suspendirten, festen Körpertheilchen kann das Flammenleuchten nur ein elektrischer Vorgang sein, der mit der chemischen Umlagerung der Moleküle der verbrannten Gase verknüpft ist. Das Flammenlicht wäre danach ebenso gut elektrisches Licht, wie das Licht der Ozonröhre oder auch der Geißlerschen Röhre.

Der interessante Kampf, in den mein verstorbener Bruder Wilhelm durch seine Schrift »On the conservation of the solar energy« sich mit den Astronomen verwickelte, führte auch mich der Sonne zu und veranlaßte mich zu der Arbeit »Ueber die Zulässigkeit der Annahme eines elektrischen Sonnenpotentials und dessen Bedeutung zur Erklärung terrestrischer Phänomene«. Da die uns bekannten Wege, elektrische Erscheinungen hervorzurufen, immer auf einer Trennung positiver und negativer Elektricität beruhen,[310] so muß man annehmen, daß dies auch für die Sonne gilt, daß daher ein elektrisches Sonnenpotential nur entstehen kann, wenn die eine Elektricität von der Sonne fortgeführt wird. Die von meinem Bruder aufgestellte Theorie, daß Sonnenmaterie in Folge der Rotation der Sonne von dieser fortgeschleudert und im Weltall verbreitet werde, macht daher die Annahme eines Sonnenpotentials zulässig. Den Einwand der Astronomen, daß der Weltraum nicht die geringste Menge Materie enthalten könne, weil dadurch die Umlaufzeit der Planeten vergrößert würde, suchte ich durch die Betrachtung zu entkräften, daß die von der Sonne fortgetriebene Masse selbst mit planetarischer Geschwindigkeit um die Sonne rotiren müßte, daß sie also den Lauf der Planeten nicht hemmen könnte. Auch der Ansicht meines Bruders, daß das Sonnenlicht von der beim Aufsteigen verbrennenden Sonnenmasse herrühre, trat ich bei, wenn ich auch seiner Ansicht, daß die auf einer flüssigen oder festen Sonnenoberfläche ruhende, brennbare Atmosphäre, welche im verbrannten Zustande fortgeschleudert, darauf durch das Sonnenlicht im Weltraume wieder dissociirt und in diesem Zustande von der Sonne wieder angezogen würde, die Ursache der Sonnenstrahlung wäre, nur in so weit beipflichten konnte, als ich die ganze gasförmige Sonnenmasse an der Verbrennung theilnehmen ließ und der weggeschleuderten Masse nur eine nebensächliche Bedeutung für die Wärmeökonomie der Sonne, dagegen aber eine entscheidende für die Frage einer elektrischen Ladung derselben beimessen konnte.

Ritters schöne und immer noch nicht hinlänglich gewürdigte Arbeiten beseitigen alle Bedenken gegen den gasförmigen Zustand der Sonne, bei welchem eine besondere Sonnenatmosphäre gar nicht vorhanden sein kann. Wir müssen daher annehmen, daß die ganze Sonnenmasse in einem fortlaufenden Verbrennungsprocesse begriffen ist, der aber nur in der äußersten Schicht des Sonnenkörpers wirklich zu Stande kommen kann, in welcher das Sonnengas durch die Ausdehnung schon so weit abgekühlt ist, daß chemische Verbindungen eintreten können. Diese finden dann unter Flammenbildung und höherer Erhitzung an der ganzen Sonnenoberfläche[311] statt, während eine Fortschleuderung im Sinne meines Bruders nur in der äquatorialen Zone in sehr beschränktem Maaße eintreten kann. Dem allgemeinen Auftrieb der obersten Sonnenmaterie, in Folge ihrer Verbrennung und Erhitzung über die der Ausdehnung entsprechende diabatische Temperatur hinaus, muß ein allgemeiner Niedergang der verbrannten und durch Strahlung abgekühlten Masse folgen, der in unzähligen niedergehenden Strömen, welche der Sonnenoberfläche das schuppige Ansehen geben, erfolgt oder in mittleren Sonnenbreiten auch die Form kolossaler, niedergehender Wirbel annimmt, die dunkler sind als die übrige Sonnenfläche, da die niedersinkenden, verbrannten Gase zwar durch ihre Compression die Temperatur nahezu wiedererhalten, die sie beim Beginn des Auftriebes besaßen, aber dadurch auch zugleich wieder dissociirt und entsprechend abgekühlt werden. Aus diesem Grunde und wegen Abwesenheit der Flamme erscheinen diese niedergehenden Wirbel als dunkle Sonnenflecke. Freilich steht dieser Verbrennungstheorie noch der Umstand entgegen, daß die Existenz des Sauerstoffs in der Sonne bisher nur am Boden der Sonnenflecktrichter spektroskopisch nachgewiesen ist – doch spricht die größte Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Sonne wesentlich ebenso wie die Erde zusammengesetzt ist, daß ihr daher der Sauerstoff nicht fehlen kann.

Ich habe diese Sonnentheorie, welche die Entstehung und Erhaltung eines elektrischen Sonnenpotentials zuläßt, durch den Nachweis zu stützen versucht, daß das letztere viele bisher unerklärte terrestrische Phänomene erklären würde. Bei den kolossalen Dimensionen der Sonne in Vergleich mit denen der Erde wird das Sonnenpotential durch elektrische Vertheilung ein Erdpotential von beinahe halber Größe hervorrufen, wenn man annimmt, daß die auf der Erdoberfläche freiwerdende, der Sonnenelektricität gleichartige Elektricität durch Strahlung und Ausgleichung mit der Elektricität der nach Bruder Wilhelms Theorie von der Sonne in der Richtung des Sonnenäquators ausgehenden, entgegengesetzt elektrisirten Materie absorbirt wird. Daß diese hohe elektrische Spannung auf der Erdoberfläche nicht bemerkt wird, ist eine[312] Folge der Größe des Erdradius. Durch die Rotation der Erde wird nun auch die auf der Erdoberfläche durch die Sonnenelektricität gebundene Elektricität um die Erde herumgeführt, übt also die Wirkung eines sie umkreisenden elektrischen Stromes aus, der sie magnetisch macht. So wie der Erdmagnetismus finden auch die Erdströme und Polarlichter ihre Erklärung durch das elektrische Sonnenpotential, und auch die Rückwirkung von Vorgängen auf der Sonne, wie die Entstehung von Sonnenflecken und -Fackeln, auf irdische Vorgänge wird erklärlich, wenn wir uns diese Vorgänge mit Aenderungen des Sonnenpotentials verbunden denken. Ebenso finden die atmosphärische und die Gewitterelektricität durch das elektrische Sonnenpotential ihre Erklärung.

Unter dem Titel »Beiträge zur Theorie des Elektromagnetismus« habe ich der Berliner Akademie in den Jahren 1881 und 1884 zwei Abhandlungen mitgetheilt, in denen die Theorie des Magnetismus wesentlich erweitert und bis dahin dunkel gebliebene Theile derselben aufgeklärt wurden. Ich kam dazu durch Versuche mit in sich geschlossenen, röhrenförmigen Elektromagneten, die das gesuchte Resultat gaben, daß Eisen keine oder doch wenigstens keine beachtenswerthe Schirmwirkung gegen magnetische Fernwirkung ausübt, und daß das magnetische Maximum des Eisens unabhängig von der Richtung des Magnetismus ist, was zur Folge hat, daß der durch eine magnetisirende Kraft im Eisen hervorgerufene Magnetismus durch eine gleichzeitige Magnetisirung in einer anderen Richtung vermindert wird. Die in den Ringmagneten schon bei schwachen magnetisirenden Wirkungen eintretende Maximal-Magnetisirung zeigt, daß die verstärkende magnetisirende Wirkung, welche magnetisirte Eisenmolecüle auf ihre Nachbarn ausüben, die directe Magnetisirung bedeutend überwiegt. Dies führte mich zu der – wie ich später fand, schon vorher von Stefan angenommenen – Modifikation der Weberschen elektromagnetischen Theorie, nach welcher die angenommenen Elementar Solenoide Doppel-Solenoide sein müssen, die sich als solche frei im Raume bewegen und durch eine auf sie einwirkende magnetisirende Kraft gerichtet und dann scheerenförmig auseinander gedreht werden.[313]

Nimmt man an, daß das ganze Weltall mit solchen Doppel-Solenoiden, die man sich nach der Theorie von Pater Secchi und Edlund als Aetherwirbel vorstellen könnte, angefüllt wäre, und daß sich Eisen und die übrigen magnetischen Körper von den unmagnetischen dadurch unterscheiden, daß in jenen die in der Volumeneinheit präexistirenden Aetherwirbel in größerer Zahl vorhanden sind wie in letzteren und im leeren Raume, so kann man auch die magnetische Fernwirkung nach Faradays Vorgang als eine von Molekül zu Molekül oder von Raumelement zu Raumelement fortschreitende Wirkung ansehen und ist dann berechtigt, die Gesetze für molekulare Uebertragung von Wärme, Elektricität und elektrostatische Vertheilung auch auf den Magnetismus anzuwenden.

Diese Theorie bedingt ihrerseits die Annahme, daß der Magnetismus, wie der elektrische Strom und die elektrische Vertheilung, nur in geschlossenen Kreisen existiren kann, in denen das magnetische Moment dem Widerstande des Kreises umgekehrt proportional ist. Es führt diese Betrachtung daher zur Einführung der Begriffe »magnetischer Vertheilungswiderstand« und »magnetische Leitungsfähigkeit« des Raumes und der magnetischen Körper. Es kann hiernach in einer Eisenstange durch einen sie umkreisenden elektrischen Strom nur so viel Magnetismus erzeugt werden, als durch den die Eisenstange umgebenden Raum von einem zum anderen Pole fortgeleitet oder gebunden werden kann. Meine Versuche haben diese Anschauung bestätigt, und es hat sich bei ihnen ergeben, daß die magnetische Leitungsfähigkeit des weichen Eisens annähernd 500 Mal so groß ist wie die der nichtmagnetischen Materie und des leeren Raumes.

Es kann hiernach bei der Construction elektromagnetischer Maschinen zur Ermittelung der zweckmäßigsten Dimensionen das Ohmsche Gesetz zur Anwendung gebracht werden, was dem Elektrotechniker in vielen Fällen von Nutzen sein wird. Der von mir, soviel ich weiß, zuerst eingeführte Begriff der magnetischen Leitungsfähigkeit ist inzwischen in technischen Arbeiten vielfach benutzt und weiter entwickelt – freilich ohne auf meinen Vorgang Bezug zu nehmen.[314]

Der in meiner Arbeit über das Sonnenpotential beschriebene Versuch, einige meteorologische Erscheinungen auf Störungen des indifferenten Gleichgewichts der Atmosphäre zurückzuführen, hatte mich überzeugt, daß in der Meteorologie die Forderungen des mechanischen Gleichgewichts und der Grundsatz der Erhaltung der Kraft bisher nicht die nöthige Beachtung fänden. Die neuere Meteorologie hat bei dem Bestreben, aus ihrem umfangreichen Beobachtungsmateriale alle Bewegungserscheinungen der Atmosphäre abzuleiten, die Ursachen dieser Bewegungen zu sehr aus dem Auge verloren. Man war im allgemeinen zufrieden, die Luftbewegungen auf die erschienenen Maxima und Minima des Luftdruckes und deren Wanderungen zurückführen zu können, und begnügte sich zur Erklärung der Ursachen dieser Maxima und Minima auf locale Temperatureinflüsse und die Erdrotation hinzuweisen. In meinem Aufsatze »Ueber die Erhaltung der Kraft im Luftmeer der Erde« habe ich zunächst den Grundsatz aufgestellt und vertheidigt, daß alle Luftbewegung ausschließlich der ungleichen Erwärmung der Luft durch die Sonnenstrahlung zuzuschreiben ist, und daß die Erdrotation keine neue Luftbewegung schaffen, sondern nur die Bewegungsrichtung der durch Sonnenarbeit erzeugten ändern kann. Eine directe Folge dieses Grundsatzes ist die, daß die Summe der in der Rotation des Luftmeeres um die Erdaxe aufgespeicherten lebendigen Kraft unverändert diejenige sein muß, welche dasselbe haben würde, wenn keine meridionale Luftbewegung durch Sonnenarbeit erzeugt wäre und die Luft überall die Rotationsgeschwindigkeit des Theiles der Erdoberfläche hätte, auf welchem sie ruht. In Folge des beschleunigenden äquatorialen Auftriebes der in den Passatwinden dem Aequator zuströmenden überhitzten Luft findet nun in den höheren Regionen der Atmosphäre ein Rückstrom nach den Polen statt, der aber nur zum kleinen Theile polare Breiten erreichen kann, da durch Verengung des oberen und gleichzeitige Erweiterung des unteren Strombettes – in Folge der Abnahme der Breitenlängen mit Annäherung an die Pole – fortlaufend ein partieller Uebergang der polar gerichteten oberen in die äquatorial gerichtete untere Strömung eintreten muß. Es[315] ist dabei das Beharrungsvermögen der polar gerichteten oberen Luftströmung, welches die Luft in der unteren zum Aequator zurückführt. Durch diese, seit ungezählten Jahrtausenden fortgesetzte, kreisende Strömung ist die Luft der höheren Breiten mit denen der niederen innig gemischt, und das ganze Luftmeer muß daher mit der mittleren östlichen Geschwindigkeit der Erdoberfläche rotiren. Dadurch erklärt sich die westliche Richtung der Passate und die mittlere östliche Richtung der Luftströme in den mittleren und polaren Breiten. Die Maxima und Minima sind im wesentlichen begleitende Erscheinungen des Wechsels der Temperatur und der Bewegungsgeschwindigkeit des oberen, äquatorialen Luftstromes, und beruhen stets auf Störungen des indifferenten Gleichgewichtes der überlagernden Luftschichten. Wenn in den höchsten Regionen des Luftmeeres ein Luftstrom hereinbricht, welcher eine höhere oder niedrigere Temperatur hat, als es seiner Höhenlage in der adiabatischen Temperaturcurve entspricht, so wird dadurch das indifferente Gleichgewicht der ganzen Luftsäule gestört, und es muß die Ausgleichung durch auf- oder niedergehende Luftbewegung erfolgen, je nachdem die hereingebrochenen höheren Luftströme zu warm oder zu kalt, also auch zu leicht oder zu schwer für das indifferente Gleichgewicht sind. Diese auf- oder niedergehende Luftbewegung muß solange andauern, bis das indifferente Gleichgewicht der Luftsäule wieder hergestellt ist, und hat dann zur Folge, daß der Luftdruck auf dem Erdboden so groß wird, wie er sein würde, wenn die Temperatur der ganzen Luftsäule sich um soviel geändert hätte, als der die Störung verursachende äquatoriale Luftstrom von der seinem Orte und seiner Höhenlage entsprechenden adiabatischen Temperatur abweicht. Da der Wärmeverbrauch bei der arbeitenden Ausdehnung einer Luftmenge unabhängig von ihrer Anfangstemperatur ist, so muß die in der heißen Zone an verschiedenen Orten aufsteigende Luft die Temperaturdifferenz beibehalten, die sie vor dem Aufsteigen besaß. Es folgt daraus, daß relativ warme und kalte Luftströme mit verschiedener Geschwindigkeit in den höheren und höchsten Luftschichten polwärts fließen und dadurch das indifferente Gleichgewicht[316] der Atmosphäre auf ihrem ganzen Wege stören. Langsam fließende, zu kalte Ströme werden ihren Ueberdruck ohne Hervorrufung größerer Störungen an die durch sie überlasteten niederen Luftschichten durch Compression derselben abgeben und dadurch steigenden Barometerdruck bei ruhiger Atmosphäre herbeiführen. Relativ leichte, heiße und daher beim Auftriebe stark beschleunigte Luftströme werden dagegen die Oberfläche der durch sie nicht hinlänglich belasteten Luftschichten, über die sie fortstreichen, in wellenförmige Bewegung versetzen und mit sich fortreißen, werden also aufwärts gerichtete Luftbewegung mit sinkendem Barometerdruck veranlassen, die so lange fortdauert, bis das indifferente Gleichgewicht in der ganzen Luftsäule wieder hergestellt ist. Es genügen hiernach Temperaturschwankungen von 10 bis 20° C. in den obersten Luftschichten, um die auf der Erdoberfläche beobachteten Barometerschwankungen, also auch die Maxima und Minima des Luftdruckes hervorzubringen.

Diese Theorie hat vielen Beifall gefunden, ist aber von den Anhängern der herrschenden Anschauung nur in einzelnen Punkten gebilligt oder wird von ihnen auch gänzlich ignorirt. Ich habe Veranlassung gehabt, sie wiederholt zu vertheidigen und weiter zu entwickeln; die betreffenden Aufsätze sind betitelt »Zur Frage der Luftströmung« (1887), »Ueber das allgemeine Windsystem der Erde« (1890) und »Zur Frage der Ursachen der atmosphärischen Ströme« (1891). Ich bin überzeugt, daß meine Theorie allmählich allgemeine Annahme finden wird, da sie auf thatsächlicher Grundlage ruht. Es liegt aber in der Natur unseres Unterrichtssystems, daß neue Grundanschauungen, welche der bisherigen Lehre widersprechen, nur langsam zur Herrschaft gelangen. Sie müssen erst in die Lehrbücher aufgenommen sein, und das kann erst geschehen, wenn die neue Theorie in allen Richtungen ausgearbeitet ist und die Trümmer der früher herrschenden beseitigt sind.[317]

Quelle:
Siemens, Werner von: Lebenserinnerungen. Berlin 1892, S. 299-318.
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Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

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Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

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