Die Schlacht von Deutsch-Wagram

am 5. und 6. Juli 1809

[295] Nach den großen Unfällen in Bayern, dem Verluste von Wien und dem Fehlgehen so mancher Aufstandsversuche, von denen man die größte Erwartung gehegt, mußte die österreichische Sache und mit ihr die deutsche diesmal wiederum verloren scheinen; und urplötzlich, ein paar Tage später, da niemand dies mehr hoffen durfte, stand sie in dem herrlichsten Siegesglanze! Die geschlagenen, ermüdeten, mit allen Nachteilen eines schleunigen Rückzuges ringenden Truppen hatten den stolzen Gegner bei seinem weiteren Vordringen über die Donau streitfertig aufgenommen, in zweitägiger Schlacht am 21. und 22. Mai bekämpft und überwältigt und über den Fluß zurückgeworfen. Die Schlacht von Aspern erklang weithin durch Deutschland und erregte mächtig die Gemüter. Napoleon war seit seinem Auftreten noch in keiner Schlacht überwunden worden; dies war die erste, die er verlor und vollständig verlor, im offnen Kriegsfelde, eine große Hauptschlacht. Der Erzherzog Karl zuerst entrang dem gewaltigsten Schlachtengewinner der neuern Zeit einen solchen Sieg; und wenn auch späterhin Napoleon wiederholte und größere Niederlagen erleiden mußte, so überließ er doch niemals wieder nur einem Gegner so ungeteilt den Siegeskranz.

In Berlin, in Schlesien, wo wir durchreisten, war die Begeisterung allgemein; der Zauber der Unbesiegbarkeit, durch die jüngsten Glücksfälle erst recht befestigt, war von Napoleon gewichen, man sah die Möglichkeit durch die Tat;[295] im vollen Siegeslaufe hatte der Widerstand ihn gehemmt; er war geschlagen, sein Heer zerrüttet; auch er konnte zugrunde gehen, wie er bisher die andern zugrunde gerichtet hatte. Ja, wenn man die Landkarte betrachtete, wie tief im feindlichen Lande und wie entfernt und fast geschieden von Frankreich er die mißlichste Lage überstehen sollte, so konnte die Hoffnung schimmern, es wende sich mit ihm schon jetzt zum Untergange, und er habe die Worte an seine Soldaten im Beginne des Krieges: dies solle sein letzter Feldzug in Deutschland sein, sich selber zum Verhängnisse gesprochen. Wirklich war Tirol noch im vollen Aufstande, Norddeutschland jeder neuen Bewegung offen, England tätig, Preußen zum Ausbruche geneigt, der Rheinbund selbst nicht sicher, seine Fürsten konnten von Napoleon abfallen, gegen ihn die Volkskräfte sich überall erheben. Man hielt alle günstigen Aussichten, mit denen man sich vor Eröffnung dieses Krieges geschmeichelt, abermals, und mehr als vorher, der Erfüllung nahe.

Unter solchen Vorstellungen, Glückwünschen und Verheißungen setzten wir eilig unsre Reise fort. Zwei unsrer Reisegenossen mußten aber in Schlesien noch zurückbleiben, und wir kamen nur unser vier nach Mähren, mit dessen Boden wir nun unwiderruflich eine neue Lebensbahn betreten hatten. Herrlich sprach uns das Land mit ernsten und heitern, von mächtigen Verhältnissen und großem Zusammenhange zeugenden Eindrücken an. Sonderbar dünkte uns die Stimmung der Menschen, weder lebhaft aufgeregt durch den Sieg, wie wir sie zu finden dachten, noch eigentlich anteillos, wie dieser Mangel an Begeisterung zu fürchten gab. Ein gelassenes Zutrauen schien über Glück und Unglück hinaus sich einer guten Sache versichert zu halten und für diese pflichtmäßig und treu zu handeln, ohne damit einen ungewöhnlichen Aufwand geistiger Bewegung zu verbinden. Althergebrachtes weitschichtiges Regierungswesen und das Verhältnis einer größtenteils slawischen Bevölkerung zu diesem schienen uns, bei näherer Betrachtung,[296] den anfangs befremdlichen Eindruck hinlänglich zu erklären. Auch waren, wo nicht alle verfügbaren, doch die höheren und tüchtigeren Kräfte des Landes schon vorwärts in Tätigkeit; die Besitzer der Herrschaften und Güter, die junge Mannschaft aus den Dörfern und Städten, die kaiserlichen Beamten selbst, alles war zur allgemeinen Verteidigung bei Linientruppen oder Landwehr eingerückt, und nur hin und wieder sah man einige schwache Abteilungen neu ausgehobener Truppen, welche gleichfalls zu dem Heere stoßen sollten und vorher nur notdürftig abgerichtet wurden.

Wir eilten weiterzukommen, voll Sorgen und Unruhe, daß wir etwas Bedeutendes versäumen könnten, da schon die bis dahin dauernde Waffenstille ein Wunder dünkte, dessen Fortsetzung mit jedem Tage sich weniger glauben ließ. Marwitz war des Eintritts in das Regiment Klenau Chevauxlégers, wo sein Bruder diente, so gut wie gewiß; die andern hatten ihr Absehen gleichfalls auf die Reiterei gestellt; ich aber dachte bei dem Fußvolk einzutreten und wollte ein ganz frisches Verhältnis nur durch mich selber finden, daher ich auch alle Empfehlungsbriefe und sonstige Anknüpfungen verschmäht hatte. Wir schieden froh und leicht, und ich zuerst fuhr mit Kurierpferden dem Großen Hauptquartiere zu.

Einem Feldwebel, der auf der Landstraße gleichen Weges dahinschritt, war mein Fuhrwerk eine gute Gelegenheit, um schneller fortzukommen, und mir sein Gespräch ganz erwünscht, um von manchen Dingen, die mir jetzt wichtig werden mußten, nähere Kundschaft einzuziehen. Aller Eindruck, den ich bisher von preußischem oder französischem Soldatenwesen gehabt, mußte hier gänzlich schwinden und ein durchaus verschiedener nahm die Stelle ein. Hier waren alle Bestandteile und Verhältnisse anders gestellt, wie schon dem flüchtigsten Blick auffallen mußte, und eine zwar in Worten schwer auszudrückende, aber für die Anschauung unverkennbare Eigenart trat deutlich hervor, die auch in[297] der Folge sich nur bestätigte und mit dem Namen ein österreichischer oder vielmehr, wie aus früherer Gewöhnung noch üblich war zu sagen, ein kaiserlicher Soldat die ursprünglichste, selbständigste und, man möchte sagen, unveränderlichste Gestalt eines Kriegswesens bezeichnete, das auf der starken Verknüpfung der verschiedenartigsten Völkerschaften und auf der ununterbrochenen Überlieferung von Jahrhunderten ruht.

Mit der frühsten Morgenhelle des 21. Juni traf ich in Deutsch-Wagram ein, und bevor ich dem Halbschlummer mich völlig entwunden, der in der Nachtfrische über mich gekommen war, fuhr der Postillon bis vor die Wohnung des Erzherzogs, wo die aufgepflanzte Fahne und eine Grenadierwache mir sogleich in die Augen fielen. Man glaubte, ich sei ein Kurier, und wollte den Erzherzog eiligst wecken, welches ich nur mit Mühe hindern konnte, indem ich wiederholt versicherte, daß ich keine Botschaft zu überbringen hätte, sondern nur in meinen persönlichen Angelegenheiten käme. Man verstand wenigstens, daß der Generalissimus nicht dürfe gestört werden, und ließ es damit gut sein. Ich aber fand mich in einer sonderbaren Lage. Sämtliche Gebäude des großen Dorfes waren mit Einlagerung überfüllt, die nächsten alle mit hohen Offizieren oder Kanzleien besetzt, wie sich an den vielen Schildwachen abnehmen ließ, die fast vor jeder Türe ausgestellt waren; ein Wirtshaus gab es unter solchen Umständen überhaupt nicht mehr. Da der ganze Ort noch in großer Stille lag, auch einstweilen sich niemand um mich bekümmerte, so suchte ich auf gut Glück in dem nächsten Hause, wo schon einige Bewegung zu blikken war, ein vorläufiges Unterkommen. Ich fand Stabsfuriere dort, die mich gastlich aufnahmen und mir sogar Teil an ihrem Frühstück anboten. Hier konnte ich mich den neuen Eindrücken und Betrachtungen, die sich aufdrängten, bequem überlassen und mir den ferneren Verlauf meines Abenteuers in Gedanken festzustellen suchen. Einige Offiziere kamen, und nachdem sich leicht ein Gespräch angeknüpft,[298] sahen sie mich fast schon wie einen der Ihrigen an und gaben mir guten Rat, den ich aber nicht recht verstehen konnte, auch widersprachen sich ihre Meinungen teilweise. Ich setzte mein Anliegen, jedoch in Kürze, schriftlich auf und ließ dies Blatt durch dienstwillige Hand höheren Ortes abgeben.

Als die Sonne höher gestiegen und das ganze Hauptquartier lebhaft geworden war, begab ich mich wieder ins Freie. Ich sah mir Deutsch-Wagram und das anstoßende Lager an und wunderte mich nur, daß ein Fremder, unter Hunderttausenden hier vielleicht der einzige dunkelblau Gekleidete, überall so ungehindert umhergehen konnte; niemand fragte mich, wer ich sei oder was ich wolle, meinen Paß hatte seit Olmütz noch niemand wieder zu sehen begehrt. Ein wunderbares Gewirr bewegte sich vor meinen Augen. Die unabsehbaren Lagerreihen wimmelten von Kriegsvolk, und in Wagram flossen die Strömungen dieser mannigfachen Regsamkeit zusammen. Alle Truppengattungen und Grade, in den verschiedensten Geschäften und Kostümen, in Kitteln und im Glanze, zur Arbeit, zum Wachdienste, zur Erkundigung von Neuigkeiten und zum Genuß und Verkehr jeder Art, bewegten sich bunt durcheinander hin. Unter den Uniformen in Österreich sind die schönen ganz außerordentlich schön, die der Husaren, Ulanen und ungarischen Grenadiere gewährten den herrlichsten Anblick; neben diesen nahmen sich freilich manche andre, besonders auch die des deutschen Fußvolks, um so unansehnlicher aus, wiewohl das letztere, in größeren Massen zusammenstehend, doch auch einen vortrefflichen Eindruck machte. Merkwürdig erschien die Tracht der Generale, die durch hechtblaue Röcke und rote Hosen das Unscheinbare und Auffallende sonderbar vereinigten. In dem Ausdrucke der Gestalten und Gesichter waren ähnliche Gegensätze wahrzunehmen; zwanglose Beweglichkeit und pedantische Starrheit, muntre Laune und finstrer Ernst, behagliche Trockenheit und wilde Leidenschaft. Deutsche,[299] Franzosen, Wallonen, Slawen, Italiener, Magyaren erkannte man weniger im Einzelnen als vielmehr in dem Ganzen das Gemisch aller dieser. Daß die Verschiedenheit so vieler Völker, Sprachen, Gestalten und Sitten hier in der Gemeinschaft nicht verschwand, aber doch wie von einem höheren Zusammenhange gebunden erschien, war grade das Eigentümliche dieses kaiserlichen Heeres. Im allgemeinen konnte man glauben, noch dasselbe Soldatenwesen vor Augen zu haben, welches Schiller im Lager Wallensteins dargestellt hat, und in der Tat hätten sich nicht nur die ähnlichen Verhältnisse und Vorgänge, sondern großenteils auch noch dieselben Truppenstämme jener Zeit in den heutigen Regimentern nachweisen lassen. Aus den wunderlichen Szenen und altbewahrten Redensarten, welche hier im Vorbeigehen plötzlich die Aufmerksamkeit anregten, wehte mich unterweilen auch die Luft des »Abenteuerlichen Simplicissimus« noch an, jenes einst vielgelesenen Romans aus dem Dreißigjährigen Kriege; und als der Generalgewaltiger, reitend durch das Lager, mir gezeigt wurde, glaubte ich den Rumormeister jener wilden Zeit leibhaftig vor mir zu sehen!

War in dem Hauptquartiere die Bewegung freier, glänzender und nicht ohne die Zugaben vornehmer und reicher Lebensweise, so ging es dagegen im eigentlichen Lager ernsthafter und stiller zu. Jeder Raum war abgemessen, die Anordnung der Reihen und Gassen streng beobachtet. Überall war die wachsamste Aufsicht und Ordnung, kein wilder Lärm, kein Streit; die Truppen sah man beschäftigt, teils ihre Waffen und Geräte in Ordnung zu halten, teils andre Arbeiten zu verrichten, welche der Tag erforderte, am meisten aber mit Exerzieren. Vom frühen Morgen an wurden kleinere und größere Abteilungen eingeübt; denn die erlittenen starken Verluste waren durch junge Mannschaft ersetzt worden, welche nun eilig ausgebildet werden sollte. Diese fleißigen Übungen und die Pünktlichkeit, mit welcher die mannigfachen Dienstverrichtungen nach eingeteilter[300] Zeitfolge wechselten, gab der kriegerischen Bewegung einen Anschein ruhiger Friedensordnung. Dreimal täglich traten die Regimenter herkömmlich zum Gebet ins Gewehr; immer aufs neue berief der Trommelschlag die Feldwebel und Korporale zum Anhören der auszuteilenden Befehle; wurde Vergatterung geschlagen, so war im Augenblicke die unabsehbare Front schweigsam aufgestellt; die zahlreichen Lagerwachen hielten vorwärts ihre Postenkette besetzt, und nur mit einbrechender Dunkelheit unterbrach ihr wechselseitiger Zuruf die große Stille. Die Truppen lagen sämtlich unter freiem Himmel; aus der Mitte jedes Regiments erhob sich nur ein Zelt, welches als Feldkapelle für den Gottesdienst bestimmt war, zugleich aber dem Obersten einen bedeckten Raum darbot; alle übrigen Offiziere wie die Gemeinen begnügten sich mit Erdgruben, denen etwan ein Dach von Rasen und Laubgezweig das Ansehn von Hütten und einigen Schutz gegen das Wetter lieh. Betrachtete man dieses Kriegsvolk in seiner ausdruckvollen Kräftigkeit, gelassenen Bewegung, mäßigen Lebensart und unwandelbarem Gehorsam, so mußte man sich wohl bekennen, ein ausgeprägtes Bild des deutschen Charakters vor Augen zu haben; und wenn man sich gegenüber die französische Beweglichkeit, üppige Lust und entzündbare Leidenschaft dachte, so glaubte man jenen Kräften um so sichrer vertrauen zu dürfen, als sie diesmal von bester Feldherrnhand geführt wurden. Einige Züge, welche den österreichischen Soldaten ganz bezeichnen, mögen als jenen Tagen angehörig hier aufbewahrt stehn. Ein schwerverwundeter Reiter wurde während der Schlacht zurückgebracht und von begegnenden Kameraden teilnehmend angerufen, wie es ihm gehe. »O recht gut«, erwiderte er, »der Feind ist schon im vollen Zurückweichen gegen die Donau hin!« Einem Grenadier wurde das Gewehr in der Hand durch eine Kanonenkugel wie ein Waldhorn zusammengekrümmt, staunend betrachtete er den Schaden und sagte bedauernd: »Ein so gutes Gewehr!« Einen Trupp Grenadiere, die eben Sturm gelaufen[301] hatten, fragte ein heransprengender Offizier, wo ihr Bataillon sei. »Wir sind das Bataillon«, war die schlichte Antwort; die andern lagen dahingestreckt. Der einfache Gradsinn macht hier das Erhabene.

An diesem und dem nächsten Tage war ich auch von der Gegend der eigentlichen Heeresstellung einen bestimmten Begriff zu erlangen bemüht. Die Österreicher standen seit dem Siege von Aspern noch fast auf derselben Stelle, nur hatten sie ihre Linie mehr rückwärts gezogen und in größeren Bogen ausgedehnt. Aspern und Eßling lagen weitab vor der Fronte, beide Dörfer jetzt außerordentlich verschanzt und mit Geschütz und Truppen wohlbesetzt. Die Donau strömte zwischen ihnen und dem Feinde, der hauptsächlich auf der Insel Lobenau, gewöhnlich Lobau genannt, sich festgesetzt und durch große Schanzarbeiten gedeckt hatte. Weiter oberhalb, bei Nußdorf und höher hinauf, war das österreichische Heer mit dem rechten Flügel unmittelbar an die Donau gelehnt, entfernte sich dann schräg von dieser gegen Stammersdorf und Wagram hin und dehnte seinen linken Flügel, der am fernsten von der Donau war, in das Marchfeld bis nach Markgrafen-Neusiedel aus. Deutsch-Wagram lag fast im Mittelpunkte der Stellung; links von diesem Ort erhebt sich der Boden und bildet ostwärts eine Hochfläche, die gegen Süden terrassenförmig abfällt; etwa hundert Schritt vorwärts fließt in der tieferen Ebne ein mit Weiden bepflanzter Bach, der Rußbach, welcher von Wolkersdorf her durch Wagram, Baumersdorf und Markgrafen-Neusiedel sich in das Marchfeld hinzieht. In weiter Ferne, über die Ebne hinweg und jenseits der Donau, erblickte man am nebligen Horizont den Stephansturm von Wien; und es war ein eigentümlicher Reiz, die vom Feinde besetzte Hauptstadt täglich vor Augen zu haben und nicht anders erreichen zu können! Die österreichische Hauptstellung war nicht verschanzt, durch ihre natürliche Beschaffenheit aber vorteilhaft genug, und besonders bot sie, im Fall es hier zu einer neuen Schlacht[302] kommen sollte, der Reiterei in dem weiten Marchfelde den freisten Spielraum. Dagegen waren längs der Donau, besonders bei Aspern und Eßling, wo die besten Übergangspunkte zu sein schienen, starke und weitläufige Verschanzungen angelegt. Sich gegenseitig in ihren guten Stellungen beobachtend und festhaltend, ohne viel unternehmen zu können, hatten beide Teile das unnütze Schießen größtenteils eingestellt. Bei der Fortdauer dieser stillen Spannung mußte, so schien es, der Vorteil sich mehr und mehr auf die Seite der Österreicher wenden. Napoleon stand im feindlichen Lande, mitten in einer unruhigen Bevölkerung, die Donau war gesperrt, man fürchtete in Wien schon Mangel an Lebensmitteln, Tirol war im Aufstande, Steiermark nicht sicher, die Bewaffnung in Ungarn gewann täglich an Stärke und Ausbildung. Durch Entsendungen nach der obern Donau suchten die Österreicher dem Feinde seine Verbindungen im Rücken noch mehr zu erschweren, die Aufstände zu fördern; abwärts, bei Preßburg, behaupteten sie auf dem rechten Donauufer den starken Brückenkopf, welchen der tapfre Erzherzog Johann gegen die täglichen Stürme der Franzosen ruhmvoll verteidigte. So konnte das Wort des Erzherzogs Karl, das man sich mitteilte: jeder Tag, den man hier stehenbleibe und den Feind untätig festhalte, sei als ein Sieg zu betrachten, unter solchen Umständen sehr wohl gelten, besonders da auch die politische Aussicht, die schon zum Teil sich erfüllte, durch Zeitgewinn die günstigsten Wandlungen versprach. Daß vielfachere und raschere Tätigkeit dem Feinde hätte verderblich werden, daß die Vorkehrungen hätten ausgedehnter und eifriger sein können, läßt sich wohl behaupten; indes muß man bedenken, daß der Geist der Kriegführung wesentlich von dem Körper abhängig ist, mit dem er wirken soll, und daß dieser aus alten Einrichtungen und Gewöhnungen durch den kräftigsten Willen nicht plötzlich zu jeder neuen Brauchbarkeit umgewandelt werden kann. Dies gilt von manchen Vorschlägen, welche zu jener Zeit gemacht wurden, die aber ins[303] Werk zu setzen damals allzu schwierig dünkte. Das Absehen des Erzherzogs Karl war mit Recht auf eine Feldschlacht gerichtet, für welche die Truppen frei verfügbar bleiben und an keine Verschanzungen gebunden sein sollten, als deren Zweckmäßigkeit für die künftig möglichen Umstände doch nicht vorauszuberechnen war und deren Vorhandensein dann störend und nachteilig werden konnte. Jenem wesentlichen Zwecke, das Heer für eine Schlacht in Bereitschaft zu halten, mußte die Hauptsorge des Feldherrn gewidmet bleiben und ihm rastlos zu tun geben, alle übrigen Hülfsmittel konnten erst nach jenem in Betracht kommen, sosehr man auch späterhin wünschen durfte, daß der linke Flügel auf Verschanzungen der Hohenleithen sich gestützt, daß bewaffnete Schiffe die Donau beherrscht und daß eine Telegraphenlinie zur schleunigen Verbindung zwischen den getrennten Heeresteilen bestanden hätte!

Schon zwei lange Tage hatte ich mich in dem Hauptquartier und Lager umhergetrieben, und der wüste Zustand, in welchem ich mich fühlen mußte, wurde mit jeder Stunde unerträglicher. Auf meine schriftliche Eingabe war mir durch Mißverstand eine verkehrte Antwort zugekommen; dagegen hatte ein Flügeladjutant des Erzherzogs, Major Graf von Cavriani, mir sehr freundlich und teilnehmend mündliche Auskunft und Anleitung gegeben, mich dem Obersten von Oberndorf empfohlen, welcher das Regiment Reuß-Plauen befehligte und über das Wunder scherzte, daß nun doch wirklich einige Deutsche infolge der Aufrufe des Kaisers und des Erzherzogs sich zum Kriegsdienste einfänden; er bedauerte, daß bei seinem Regimente alle erledigten Offizierstellen eben erst wieder besetzt worden, meinte jedoch, dies habe noch nicht bei allen Regimentern geschehen können, und versprach mir, deshalb Erkundigung einzuziehen. Er machte mich auch mit seinem Regimentsinhaber, dem Feldzeugmeister Fürsten von Reuß-Plauen bekannt, und dieser treffliche Mann bezeigte mir gleich das größte Wohlwollen. Indes verging ein dritter Tag, ohne daß sich etwas[304] entschied; ich hatte aber die Freude, Willisen eintreffen zu sehen, mit dem ich weite Spaziergänge machte, wobei wir uns in allerlei Betrachtungen ergingen und die allgemeinen und persönlichen Verhältnisse vielfach überlegten. Er begab sich dann zu dem General Grafen von Carneville, um in dessen Freischar einzutreten, die rückwärts von Wagram, bei Bockfließ, errichtet wurde. Mich aber rief, da meine Gedanken fast schon andre Richtung nahmen, der Oberst von Oberndorf unvermutet an und wies mich zu dem Obersten des Regiments Vogelsang, das links von Wagram auf der oben erwähnten Terrassenhöhe lagerte; dort, meinte er, würde ich sogleich zum Dienst eintreten können. Dieser Oberst war der Graf zu Bentheim aus Westfalen, ein noch junger Mann, von schönem Ansehn und einnehmendem Wesen, der durch seine Auszeichnung in der Schlacht bei Aspern so früh zu der ansehnlichen Befehlshaberstelle gelangt war. Ein kurzes Gespräch setzte mein Verhältnis leicht ins klare; der Oberst war sehr zufrieden, mich in sein Regiment aufzunehmen, ernannte mich zum Fähnrich und gab mich zu der ersten Kompanie, die der wackre Hauptmann von Marais befehligte. Ich erkaufte die Equipierung eines bei Aspern gebliebenen Offiziers, vertauschte den Hut mit dem Tschako, schnallte die breite Degenkuppel mit dem kaiserlichen Doppeladler um den Leib, machte mit den Offizieren nähere Bekanntschaft und schlief in der ersten Nacht in der Erdhütte neben meinem Hauptmann und noch einem Offizier, als hätte ich nie ein anderes Verhältnis gehabt!

Die nächsten Tage hingegen waren schwer und öde. Die große Sommerhitze hatte Laub und Gras verdorrt, die Weiden des Rußbaches waren längst entblättert und zum Teil entrindet, auf der endlosen Ebene zeigte sich nirgends ein Schatten, nur dunkle Staubwolken, von Stoßwinden plötzlich herangeführt, verhüllten augenblicklich den Sonnenhimmel und überschütteten alles mit heißem Sandregen. Man mußte das Exerzieren einstellen und verkroch sich in die[305] Erdhütten. Der beste Wille der Kriegskameraden brachte doch nur eine traurige Unterhaltung zuwege. Gesichtspunkte und Antriebe, die wir Norddeutschen für diesen Krieg hatten, waren hier größtenteils fremd; man sah in dem Kriegshandwerk ein erwähltes Fach, dessen Vorteile man geltend machte, man rechnete die zu hoffenden Beförderungen aus, man rühmte das Garnisonleben in Prag. Der Oberst allein kannte Gentz und wußte von Friedrich Schlegel, den andern waren dies unbekannte, bedeutungslose Namen. Das Regiment war überdies ein böhmisches, und die meisten Soldaten sprachen nur diese Sprache. Begeisterung und Poesie mußten hier völlig erlöschen; auch selbst die der Gefahr fehlten für jetzt; weit und breit fiel kein Schuß, alles war in tiefster Ruhe. Man zweifelte, daß noch eine bedeutende Waffenentscheidung vorfallen würde; man sprach vom nahen Frieden und wünschte ihn. Daß unterhandelt wurde, stand außer Zweifel; französische Beauftragte waren wiederholt in Wagram gesehen worden, selbst seinen Vertrauten Duroc wollte man von dem Kaiser Napoleon mit Vorschlägen an den Erzherzog Generalissimus abgeschickt wissen. Ich konnte die Niedergeschlagenheit, die ich hievon empfand, nicht verhehlen; in meinem Unmute muß ich mich ganz verzweiflungsvoll und den Wunsch, wieder fortzugehen, sehr heftig ausgedrückt haben, denn der Hauptmann von Marais eröffnete mir mit großer Teilnahme, wenn dies mein Ernst sei, so könne mir vielleicht noch geholfen werden, er zweifle, daß ich höheren Ortes schon gemeldet sei, und so könne der Oberst wahrscheinlich noch ohne fremdes Zutun mich entlassen. Mir fuhr der Gedanke durch den Kopf, zu dem Herzoge von Braunschweig-Öls zu gehen, von dessen Unternehmungen die Rede war, oder zu dem Major von Nostitz, des Prinzen Louis Ferdinand von Preußen gewesenen Adjutanten, der an der Grenze von Franken eine Freischar sammelte; von diesen beiden sagte man laut, sie würden keinen Frieden machen, sondern lieber wie Schill auf eigne Hand zugrunde gehen. Es war aber zu[306] spät; bereits in die Listen eingetragen, hätte ich ein förmliches Abschiedsgesuch einreichen müssen, was während der Kriegszeit untunlich war. Der Oberst, dem ich meine Unruhe nur im allgemeinen, nicht aber in ihren besondern Gründen zeigen mochte, wußte nicht, was er von mir denken sollte; über die Waffenruhe und den Friedensanschein aber, die ich verwünschte, suchte er mich zu trösten und meinte, mit jedem Tage könne sich das ändern, worüber niemand froher sein würde als er selbst. Ich blieb also einstweilen, wo ich war.

Die schlimmste Prüfung war in der Tat schon überstanden. Nach einem heißen, langweiligen, verzehrenden Tag, der nur eben solchen wieder erwarten ließ, erscholl am 30. Juni abends plötzlich von der Donau her Kanonendonner, dem Gemüt eine labende Erfrischung! Eine Partei Franzosen, so vernahm man bald, waren von der Lobau mittelst Kähnen auf eine kleine Aue, die Mühleninsel genannt, übergegangen, die sich nur durch einen schmalen Arm von dem linken Donauufer scheidet; sie legten eine Brücke auf dieses Ufer herüber und beschützten dieselbe durch einen kleinen Vorwall; unsre Batterien bei Eßling wollten dem Feinde diese Ausbreitung nicht gestatten, und seine nächsten Kanonen auf der Lobau feuerten nun ebenfalls. Die Unterhandlungen, hieß es, seien abgebrochen, der Kaiser Napoleon habe seine Truppen zusammengezogen, um neuerdings mit ganzer Macht überzugehen und eine Schlacht zu liefern. Die Beharrlichkeit des Erzherzogs Generalissimus in seiner Stellung mußte sich hiedurch gerechtfertigt zeigen, da der Feind keine bessere Gegend für seinen Versuch wußte als diese gegen ihn vorbereitete und verteidigte. Mit einbrechender Nacht sahen wir in der vor uns liegenden Ebene die Alarmstangen brennen, und das ganze Lager geriet in Bewegung. Der Kanonendonner verstummte zwar nach einiger Zeit, allein um 1 Uhr nachts erhielten die auf der Anhöhe bei Wagram lagernden Regimenter den Befehl, in der Stille anzutreten, und rückten schweigend etwa anderthalb[307] Stunden gegen die Donau hinab; der erste, zweite und dritte Heerteil lagerten daselbst zwischen Breitenlee und Stadt-Enzersdorf, der vierte Heerteil stellte sich bei Wittau, die Reiterei bei Raasdorf; jeden Augenblick erwarteten wir, daß der Feind angreifen würde; das Kanonieren erneuerte sich von Zeit zu Zeit; allein die Franzosen rückten nicht vor, sondern begnügten sich, ihre begonnene Brückenschanze zu vollenden. Der Erzherzog begab sich zuerst nach Raasdorf, sodann nach Stadt-Enzersdorf und bestieg den dortigen Turm, um die Anstalten des Feindes zu überschauen, darauf nahm er sein Hauptquartier in Breitenlee. Indes mußte bald klarwerden, daß die Anstalten an dieser Stelle für einen ernstlichen Übergang zu unbedeutend blieben; es war offenbar, daß der Feind hier nur die Aufmerksamkeit beschäftigen wolle und daß er seinen wahren Übergang entweder oberhalb bei Nußdorf oder unterhalb in der Gegend von Orth vorhabe, wobei das österreichische Heer in seiner jetzigen Stellung sogleich die rechte oder linke Flanke bloßgeben würde; daher schien es vorteilhafter, bei der Ungewißheit, welchen Punkt der Feind wählen werde, die rückwärtige Stellung wieder einzunehmen, aus welcher man frei und leicht nach jeder nötigen Richtung hervorbrechen könne. Diesem Ratschlusse zufolge erhielten wir am 3. Juli mittags unvermutet Befehl, wieder in unsre vorige Stellung bei Wagram zurückzukehren. Dieser Vor- und Rückmarsch ist in dem österreichischen Bericht unerwähnt geblieben, und doch war die Vorwärtsbewegung nicht gleichgültig; sie erlegte dem Feinde gleichsam eine Schlacht in ähnlichen Verhältnissen wie die von Aspern auf, während unser Rückmarsch ihm statt jener Enge die erwünschtere Ausdehnung freigab, in welcher die Schlacht von Wagram möglich wurde. Da diese verlorenging, so konnte man nachher bedauern, zu ihrer Entwickelung den Raum gegeben zu haben, den man, wie es schien, gleich anfangs versagen, wenigstens mit Vorteil streitig machen konnte, wenn man näher an der Donau den Kampf aufnahm.[308]

Der Anschein, als solle das Leben der vorigen Tage, ohne andern Inhalt als Sonnenbrand und Staubwolken, aufs neue fortgehen, dauerte diesmal nicht lange. Von den Absichten des Feindes hatte man keine zuverlässige Kenntnis, nur unsichere Vermutungen, doch deuteten alle seine Anstalten auf irgendein großes Unternehmen. Die Befestigungen der Lobau, die Herstellung und Sicherung der Hauptbrücken über den großen Arm der Donau, die Anlegung vieler Verbindungsbrücken zwischen der großen und den kleinem Inseln, die fortgesetzte Arbeit an Zimmerwerk und Schiffen, die Instandsetzung der Wege auf der Lobau, die Anfuhr von Geschütz und Pulverwagen, alles dies konnte nicht verborgen bleiben; am entscheidendsten aber waren die Bewegungen der Truppen, die von der obern und untern Donau sich hierherzogen; unter andern sah man vom Bisamberge aus am 2. Juli das sogenannte italienische Heer in jener Richtung anrücken. Der Erzherzog Generalissimus beschloß, das Unternehmen des Feindes zu zerrütten, dem Hauptangriffe zuvorzukommen und ihm den Rückhalt zu verderben, den die Lobau darbot. Die österreichischen Abteilungen an der obern Donau hatten Befehl erhalten, den Feind lebhaft zu beunruhigen, desgleichen der Erzherzog Johann, mit seiner Hauptstärke aus dem Brückenkopfe von Preßburg auf das rechte Ufer der Donau hervorzubrechen; jetzt wurde diesem am 4. Juli um 7 Uhr abends der Befehl gesandt, seine Truppen wieder auf das linke Ufer herüberzuziehen und zugleich bis Marcheck vorzurücken, um für den Fall einer Schlacht auf die rechte Flanke des Feindes wirken zu können. Auch bei uns war ein kräftiges Eingreifen angeordnet. Am 4. Juli abends erhielten wir die Weisung, wenn in der Nacht kanoniert würde, bis Tagesanbruch in Ruhe zu bleiben, dann aber marschfertig zu sein. Wirklich begann, sobald es dunkel geworden, vor uns an der Donau ein heftiges Geschützfeuer, der Himmel leuchtete immerfort von den Blitzen der Kanonen, von den Wurfbahnen der Bomben und Granaten; fast zwei Stunden dauerte der Wetteifer von beiden Seiten,[309] denn die Franzosen hatten fast gleichzeitig auch ihren Angriff unternommen und, während wir ihre Werke auf der Lobau zu zerstören dachten, die Zerstörung der unsrigen und die Einäscherung von Stadt-Enzersdorf vorbereitet. Das österreichische Geschütz vermochte wenig gegen die starken Werke der Lobau; die französische Mannschaft auf der Mühlau, welche als vermutlicher Übergangspunkt am heftigsten beschossen wurde, legte sich nieder und litt nicht viel. Dagegen zeigte sich die Wirkung des feindlichen Angriffs bald nachteilig; in seinem Zwecke lag zusammenhängendere Absicht und stärkerer Nachdruck; sein Geschütz war zahlreicher und wirksamer; in kurzer Zeit stand Stadt-Enzersdorf in Flammen, und unsre Batterien strebten fruchtlos gegen die feindliche Übermacht. Nachdem die Gegend eine Zeitlang durch den Brand der kleinen Stadt erhellt gewesen, verdunkelte sich der Himmel mit schwarzen Gewitterwolken, der Regen strömte nieder, die Flammen minderten sich, das Geschütz feuerte seltner und verstummte zuletzt völlig. Ein furchtbares Sturmgewitter, wie niemand ein ähnliches erlebt zu haben meinte, wütete nun über das weite Marchfeld, das von dem Gekrach des Donners erbebte und im Brausen der Regenfluten und dem Geheul des Windes so ertoste, daß daneben auch das Geschütz hätte verhallen müssen.

Den Feind, dessen Vorsatz fest und reif und dessen Hülfsmittel bereit waren, mußte diese Sturmnacht äußerst begünstigen. Er hatte die neben der Lobau stromabwärts auf dem linken Ufer über Mühlleiten und Wittau sich erstreckende Fläche zum ersten Antritt seines Überganges ersehen, wo seine Truppen ungehindert Fuß fassen und im Angesichte des Brandes von Stadt-Enzersdorf sich rechtshin ungehindert entwickeln konnten. Diese Richtung hatte man österreichischerseits am wenigsten möglich erachtet; sie war kühn und gefahrvoll, besonders wenn der vierte österreichische Heerteil bei Wittau stehenblieb oder sogleich wieder dorthin vorrückte; es gehörte zu ihrem Erfolge die ganze Meisterschaft der gründlichen Anordnungen und zutreffenden Berechnungen[310] Napoleons, die sichere Ausführung aller seiner Befehle durch ebenso strenge als geschickte Werkzeuge, die Schnelligkeit und Kraft, welche dadurch seinen Bewegungen verliehen war. Er rechnete darauf, den bedenklichen Augenblick schon überstanden zu haben, bevor der Gegner ihn benutzen könnte. Schon um 10 Uhr abends ließ der General Oudinot 1500 Voltigeurs unter der Anführung des Generals Conroux übersetzen; sie wurden von dem Obersten Baste mit 10 Kanonierschaluppen begleitet, deren Feuer die Landung beschützte. Die österreichischen Vorposten zogen sich aus den Schanzen, welche sie hier aufgeworfen und mit einigen Feldstücken besetzt hatten, ohne Verlust zurück, und der Feind konnte sich vor Mühlleiten auf der Schusterwiese und dem Hanselgrunde festsetzen. Gleichzeitig war der Oberst Sainte-Croix, Adjutant des Marschalls Masséna, mit 2500 Mann übergeschifft und weiter abwärts bei Schönau gelandet. Hierauf wurden in der Eile sechs Brücken geschlagen, zu denen alle Gerätschaft fertiggehalten war. In raschem Laufe zog zuerst das Fußvolk des Marschalls Masséna, nebenan dessen Reiterei und Geschütz, auf das linke Ufer, weiter abwärts die Truppen des Marschalls Davoust, des Generals Oudinot; still und geordnet nahmen sie ihre vorherbestimmten Stellungen. Um 3 Uhr morgens standen mehr als 40000 Mann zusammengedrängt bei Mühlleiten, während die übrigen Truppen eiligst nachrückten, erst um Mittag trafen die letzten ein, während die vordersten schon im vollen Gefecht und Vormarsch waren. Die anfängliche Schlachtordnung war folgende: Im ersten Treffen als linker Flügel, zunächst der Donau, der vierte Heerteil unter dem Marschall Masséna; als Mitte der zweite Heerteil, von dem General Oudinot befehligt; als rechter Flügel, gegen Wittau, der dritte Heerteil unter dem Marschall Davoust; hinter diesem, als zweites Treffen, die Truppen des Marschalls Bernadotte oder der neunte Heerteil, das italienische Heer unter Anführung des Vizekönigs Eugen und der eilfte Heerteil des Marschalls Marmont; als Schluß und Rückhalt die Garden und die Kürassiere.[311] Die ganze Streitmacht Napoleons betrug hier mehr als 160000 Mann, worunter 15000 Mann Reiterei mit 600 Kanonen. Übergang und Aufstellung waren mit bewundernswerter Schnelligkeit und Haltung im Sturm und Regen und bei größter Dunkelheit begonnen, wie nachher im vollen Tagesglanze vollendet worden.

Der Erzherzog Generalissimus hatte den raschen und unter Begünstigung der stürmischen Nacht so glücklich gelungenen Übergang nicht mehr hindern können; die feindliche Stärke hatte nicht nur Fuß gefaßt, sondern sich auch schon beträchtlich ausgebreitet und zum ferneren Angriffe günstig geordnet; ihre sämtlichen Heerteile waren in zusammenhängender Bewegung, überall wechselseitiger Unterstützung fähig und versichert; die österreichischen Heerteile aber standen noch viel zu weit auseinander, als daß sie dem so rasch entwickelten Feinde gleich mit gehöriger Macht hätten entgegenrücken und ihn gegen die Donau zurückwerfen können. Die Gesamtstärke der Österreicher betrug nicht voll 100000 Mann nebst 410 Stück Feldgeschütz.

Sein Hauptabsehen hatte der Kaiser Napoleon auf die Stellung von Wagram selbst und auf den linken Flügel der Österreicher gerichtet, dessen äußerste Spitze durch einen alten viereckten Turm bei Markgrafen-Neusiedel bezeichnet wurde. Österreichischerseits erkannte man die Richtung sehr wohl, besetzte die Anhöhe jenes Turmes mit einer Batterie und wollte sogar in der Eile noch Schanzen aufwerfen. Aber der Anmarsch des Feindes ließ wenig Zeit zu neuen Vorkehrungen. Nachmittags hatte Napoleons rechter Flügel Glinzendorf erreicht; seine Mitte stand in Raasdorf; am wenigsten war der linke Flügel vorgedrungen, er hielt nur Aspern besetzt. Immer stärkere Batterien fuhren auf, immer größere Truppenmassen kamen ins Gefecht, die ganze Linie stand im Feuer und rückte immer vor. Wir hatten von unserer höheren Stellung bisher den Bewegungen und Kämpfen vor uns wie einem Schauspiele zugesehen, jetzt rückte der Kampf näher heran, die Luft über uns sauste von Kanonenkugeln,[312] die man uns verschwenderisch zuschickte, und bald krachten antwortend auch unsre Batterien. Das Fußvolk erhielt Befehl, sich auf die Erde niederzulegen, und die feindlichen Kugeln trafen anfangs wenig, da jedoch der Feind unaufhörlich vorrückte, so stellten die Regimenter sich alsbald ins Gewehr. Der Erzherzog Generalissimus sprengte mit seinem Stabe vorüber und hielt dann vor unsrer Fronte; er teilte Befehle aus, blickte in die Ebene nieder, wo die feindliche Linie stets näherrückte, man sah es ihm an, daß er Gefahr und Tod nicht achtete, daß er ganz in seinem Berufe als Feldherr lebte; der Entscheidungskampf schien seinem ganzen Wesen ein nachdrücklicheres Ansehen zu verleihen, eine höhere Spannung voll freudigen Mutes, den er auch rings um sich her einflößte; die Soldaten blickten auf ihn mit Stolz und Zuversicht, manche Stimme begrüßte ihn. Nachdem er weiter gegen Baumersdorf geritten war, kam einer seiner Adjutanten rasch zurück und rief: »Freiwillige vor!« Sogleich war fast die ganze Kompanie des Hauptmanns von Marais bereit; wir dachten, es gelte die nächste Batterie des Feindes zu stürmen, welche durch die vorliegenden Kornfelder herannahte, und jauchzend mit lautem Geschrei eilten wir den Abhang hinab; da kam ein zweiter Adjutant mit dem Befehl, wir sollten nur den Rußbach besetzen, dort den Übergang verteidigen, aber nicht eher feuern, als bis der Feind ganz nahe sei. In Plänkler aufgelöst, hinter Weidenstämmen und hohem Korn, harrten wir schußfertig, gegen die Kanonenkugeln gedeckt, aber durch Flintenschüsse und Haubitzgranaten getroffen, die der Feind zahlreich auf unsre Gegend richtete. Über eine Stunde weilten wir hier, unter dem unaufhörlichen Krachen des Geschützes, das über uns hinwegschoß; leider mußten wir bald bemerken, daß das feindliche die Übermacht der Zahl hatte und wenigstens doppelt so viele Schüsse lieferte als das unsre, welches doch weit bessere Bedienung hatte; um so mehr aber bewunderten wir den tätigen Eifer und die wackre Ausdauer, durch welche der ungleiche Kampf dennoch unterhalten wurde. Da unser Geschütz[313] batterieweise vereinigt stand, so konnte der Feind sich ihm leichter entziehen, dagegen das seinige längs der ganzen Linie auf allen Punkten wie ausgesäet war und gleichsam anstatt der Plänkler überall das Gefecht eröffnete. Gegen Baumersdorf allein hatte der General Oudinot 40 Kanonen vereinigt, und wiederholt war sein Fußvolk, die Divisionen Grandjean und Tharreau, in den brennenden Ort eingedrungen, aber von dem tapfern General Grafen Ignaz von Hardegg immer wieder zurückgeschlagen worden.

Der Kaiser Napoleon indes sah mit Ungeduld den Tag unentschieden hingehen, er glaubte den Hauptschlag noch heute ausführen zu können und wollte nicht umsonst sein Übergewicht hierher gewendet haben. Rasch ordnete er seine Truppen zum Sturm. Der Marschall Bernadotte erhielt Befehl, über Aderklaa gegen Wagram vorzudringen und durch Wegnahme dieses Ortes die Mitte der österreichischen Linie zu sprengen. Zwei gedrängte Sturmscharen sollten zu gleicher Zeit rechts und links von Baumersdorf über den Rußbach dringen, die Höhen der österreichischen Stellung ersteigen und die dortigen Truppen aufrollen. Feindliches Fußvolk war mittlerweile schon dicht an unsre Stellung herangekommen; die Plänkler wurden vom Rußbach zurückgerufen und traten in die Linie wieder ein, längs deren ganzer Ausdehnung sich nun ein furchtbares Gewehrfeuer entspann. Dieser ungeheure Lärm des immerfort erneuten Losknallens und noch weit mehr des unendlichen Eisengeräusches bei Handhabung von mehr als zwanzigtausend Flinten in solcher Nähe und Enge war eigentlich der einzige neue und wunderbare Eindruck, der mir in diesen ersten Kriegsauftritten, die ich erlebte, zuteil wurde; alles andre war teils meiner vorausgefaßten Vorstellung gemäß, teils sogar unter ihr; alles aber, auch der Donner des zahlreichsten Geschützes dünkte mich gering gegen das Sturmgetöse des sogenannten Kleingewehrs, dieser Waffe, durch welche gewöhnlich auch unsre neueren Schlachten zumeist mörderisch werden. Indem dieses Feuer eine Weile lebhaft anhielt und der Erzherzog[314] Generalissimus nach Wagram sprengte, weil auch dort das Schießen zunahm, hieß es plötzlich, feindliche Reiterei breche auf dem linken Flügel hervor. Es war nicht Reiterei, sondern Fußvolk, welches auf die Höhen stürmend andrang. Der Brand von Baumersdorf und der Pulverdampf des Geschütz- und Gewehrfeuers begünstigte den Überfall. Ein Schwarm von Plänklern, in wilder Unordnung und mit Geschrei anlaufend, brach zuerst die Bahn. Hierauf ging rechts von Baumersdorf ein Teil der französischen Garden unbemerkt über den Rußbach, sie erschienen plötzlich auf der Höhe und stürmten gegen den linken Flügel des Heerteils von Hohenzollern, wo jedoch der General Buresch an der Spitze der Regimenter Zach und Joseph Colloredo sie mit Entschlossenheit empfing und der Fürst von Hohenzollern das Chevauxlégers-Regiment Vincent gegen sie anführte. In dem Gefolge dieses tapfern Generals müssen wir den damals neunzehnjährigen Husarenlieutenant Joseph von Zedlitz anmerken, der schon im Laufe des Krieges durch Tapferkeit sich ausgezeichnet hatte, späterhin als Dichter berühmt wurde. Durch das Gewehrfeuer des standhaften Fußvolks erschüttert, durch das ungestüme Einhauen der Reiter übereinandergeworfen, war der Feind schnell genötigt, über den Rußbach zurückzuweichen; der General Graf Ignaz von Hardegg brach nun aus Baumersdorf hervor, fiel auf die Fliehenden und trieb sie mit großem Verlust weit in die Ebene gegen Raasdorf. Der links von Baumersdorf über den Rußbach gedrungene Feind, zwei Divisionen, geführt von den Generalen Macdonald und Lamarque, denen zwei andre Divisionen, vom General Grenier befehligt, unter des Vizekönigs Eugen eigner Anführung nachrückten, benutzte eine Schlucht, welche sie schnell auf die Höhe und grade auf den Zwischenraum des ersten und zweiten Heerteils führte; sie warfen sich gegen den Flügel des ersteren und begannen denselben aufzurollen. Der französische General Dupas führte den Angriff mit aller Kraft; es erhob sich ein scharfer Kampf, man wechselte Gewehrfeuer in größter Nähe, man erhob die Kolben[315] und legte das Bajonett ein. Der feindliche Stoß auf unsern linken Flügel war jedoch zu heftig, als daß die schwache Linie hätte widerstehen können; sie wurde gesprengt, die äußersten Enden schlugen sich in Haken um, und die Regimenter Argenteau, Vogelsang und ein Teil von Erzherzog Rainer sahen sich auf das zweite Treffen zurückgeworfen. Im ersten Anstürmen des Feindes traf mich ein Schuß durch den Oberschenkel, und ich konnte von nun an nur müßiger Zeuge der ferneren Vorgänge sein, welche das Schlachtfeld darbot.

Die Dunkelheit hemmte jede weitere Unternehmung, manches brennende Dorf jedoch beleuchtete hin und wieder die Gegend; ganz in der Nähe loderten hohe Flammen von Baumersdorf und Wagram auf; dieser schauerliche Anblick und der freudige unsres Obersten mit der Fahne in der Hand waren die letzten, die ich von dem Schlachtfelde mit mir nahm. Lange noch, während ich mit andern Verwundeten langsam zurückgebracht wurde, flogen die Kanonenkugeln um uns her, bis tief in die Nacht hörten wir den Geschützdonner, allein er entfernte sich mehr und mehr, und uns begleitete der Eindruck eines siegreichen Vorschreitens.


Zistersdorf, den 20. Juli 1809


Für Euch, geliebte Freunde, will ich zu schreiben versuchen. Habt Ihr ein Blatt, das ich hier schon am 9. Juli zu schreiben unternahm, glücklich bekommen, so wißt Ihr, wie es mir in der Schlacht ergangen, deren Namen ich damals noch nicht nennen konnte, wißt, daß ich am Leben, aber verwundet bin. Ich konnte das Schreiben nicht lange aushalten, ich sank alsbald wieder zurück, nach jeder Zeile fast, daher alles so kurz. Nun aber fahr ich fort, ich hoffe, mit besserem Gedeihen. Oh, daß ich das Glück hätte, einen von Euch bei mir zu haben, mündliches Gespräch mit ihm zu führen! Nun muß doch die Feder noch glücklich zur Vermittelung dienen!

Als ich den Schuß in den Schenkel erhielt, fühlte ich zuerst nur einen harten Schlag, der mich durchfuhr; ich sah[316] aber gleich, indem ich den Rockschoß weghob, zwei Rinnen Blut hervorquillen, die Kugel war durch und durch gegangen. Hier galt aber kein Besinnen; das Regiment, vom Feinde auf dem linken Flügel lebhaft angegriffen, wich dort eilig zurück, und bald war auch der rechte Flügel in die Flucht mit fortgerissen. Ich mußte die letzte Kraft anstrengen, um nicht zurückzubleiben. Zwei Soldaten faßten mich unter den Armen, und halb gehoben, halb auftretend kam ich bis rückwärts unserer Lagerhütten. Viele Kanonenkugeln sausten über uns hin, eine so dicht, daß mein einer Führer zu Boden stürzte, unverwundet, wie es schien; der andre brachte mich noch etwa hundert Schritte weiter, kehrte dann aber zum Gefecht zurück, das unterdessen wieder zum Stehen gekommen war. Ich konnte allein nicht fort und stand betrachtend gegen den Kampf gewandt; da war es, wo ich den Obersten zu Pferde mit der Fahne in der Hand die Truppen wieder vorwärts führen sah; ihr Sturmschritt und der aus unsern durch Zufall oder Absicht angezündeten Lagerhütten sich erhebende Vorhang von Rauchwolken entzog jene bald meinen Augen. Rechts und links aber, aus den Dörfern Wagram und Baumersdorf, stiegen bald ebenfalls mächtige Flammen und Rauchsäulen empor, und der Donner des Geschützes hallte mit verstärkter Wut. Einige Verwundete, die herankamen, konnten mir Hülfe bieten; ein Soldat trug mich sogar eine Strecke, bis wir einen zerschossenen Pulverwagen trafen, der leer zur Reserve fuhr. Auf diesen setzte man mich, und nun ging's in der Abendkühle langsam fort, eine ganze Schar Verwundeter schleppte sich mit, bald nahmen Winseln und Klagen überhand, das Schüttern des Wagens verursachte mir großen Schmerz, das Blut, welches anfangs reichlich geflossen war und sich im Stiefel angehäuft hatte, stockte jetzt, und Schenkel und Knie wurden kalt und starr; ich litt gleich den andern an schrecklichem Durst, und auch die Nachtkälte wurde sehr schmerzlich. Ein Wunder war es, daß in der Dunkelheit mein böhmischer Bedienter Lorenz sich zu mir fand, er war leicht an der Hand verwundet und[317] folgte dem Zuge; nun blieb er fortwährend bei mir. In der Nacht gelangten wir nach Bockfließ, wo ein Wundarzt mich flüchtig besichtigte und ich bald in tiefen Schlaf sank.

Mit Tagesanbruch weckte mich der Lärm; die Stube, wo ich lag, wimmelte von Verwundeten, so das ganze Haus und selbst die Straße, und alle sollten nun eilig weitergeschafft werden. Der Kanonendonner verkündete schon die Erneuerung der Schlacht.

Meine Wunden hatten die ganze Nacht wieder geblutet, ich konnte mich nicht aufrichten und wurde daher auf dem Strohsack, der mir zum Lager gedient und den ich nebst einem zerrissenen Bettlaken für vieles Geld erkaufte, auf einen Leiterwagen geschoben; ein paar andre Verwundete und mein Bedienter setzten sich mit auf, und so ging's landeinwärts, ich fragte kaum wohin und überließ mich den Fügungen des Geschicks. Ein heißer Tag stieg herauf, die Sonne schoß glühende Strahlen durch die wolkenlose Bläue, alles schwamm in Lichtglanz, und ich empfand lebhaft, wie ganz andern Zwecken und Aussichten ein solcher Sommertag eröffnet sein könnte als diejenigen, die sich mir und so vielen Genossen unwiderruflich gestellt! Der Kanonendonner begleitete uns immerfort, schien sich öfters sogar zu nähern, und vorübereilende Versprengte ängstigten uns mit der Gefahr, von dem Feinde noch ereilt zu werden. Aber darum kamen wir nicht schneller fort. Der slowakische Bauer hielt seinen Vorspann in gleichmäßigem Schritt, und überdies riefen wir Verwundete bei jedem Stein, über den das Rad ging, unser klägliches: »Pomali!«, denn jeder Ruck ging durch Mark und Bein! Kein Schatten war im weiten Felde zu sehen, nirgends ein Baum noch Strauch, keine Erquickung erreichbar als etwa ein schlechter Trank. Als wir mittags an einem Orte anlangten, wo wir eine Stunde rasten sollten, hatte die Sonne mir im Gesicht und am Halse Blasen gebrannt; mein Zustand jammerte den Offizier, der zur Förderung der Fuhren hierher kommandiert war, und er befahl, grüne Zweige über mich zu decken, wozu ein naher Nußbaum,[318] trotz des Einspruchs von seiten des Eigentümers, seinen schönsten Schmuck hergeben mußte. Unter dieser schützenden Decke fuhr ich dann weiter und empfand solche Labung von dem Schatten und dem Anblick und Dufte des kräftigen Laubes, daß ich sogar die Schmerzen der Wunden weniger fühlte und zeitenweise in angenehme Träumereien versank. Ja, ich kann sagen, daß ich in dieser Lage gedichtet, denn mein Gefühl der Dankbarkeit floß in Lobesströme über für den Baum, der mir durch seine Blätter so wohltätig wurde, und wenn keine Verse und Reime, so ist doch die Stimmung, aus der sie hervorgehen, von daher mir vollkommen erinnerlich. Indes wurde diese Stimmung leider allzuoft durch den Aufschrei des Schmerzes unterbrochen, den jedes stärkere Anziehen der Pferde oder eine Ungleichheit des Weges verursachte.

In Zistersdorf, einer kleinen Landstadt, wo ein Spital noch von der Schlacht von Aspern her eingerichtet ist, trafen wir mit dem Abend ein, ich wurde aber nicht im Spital, sondern in einem Bürgerhause bei armen Leuten untergebracht, zum erstenmal eigentlich verbunden, durch einen städtischen Wundarzt, den ich rufen ließ, weil von den Militärärzten keiner kam; ich hatte abermals eine leidliche Nacht. Am folgenden Tage jedoch brach das Wundfieber aus, und ich litt vierundzwanzig Stunden die größten Schmerzen, wobei ich mir nicht verhehlte, daß gar leicht eine schlimme Wendung eintreten könnte. Da mein Arzt aufs Land in die Umgegend abgerufen wurde, so blieb der Verband unerneuert, und die Wunden, bei der großen Hitze schon brandig, forderten dringend entschiedene Hülfe. Die wurde mir denn auch am vierten Tage, man brachte mich in das Spital, wo ich im Erdgeschoß in ein kleines Gemach zu zwei andern Offizieren kam. Nur ein Unterarzt war es, der mich verband, und außer einem ersten Schrecken, den er mir verursachte, hätte kein Generalstabsarzt mich besser besorgen können. Mit dem Schrecken ging es so zu: Ich war bisher der guten Zuversicht, daß der Schenkelknochen nicht zersplittert sei,[319] ich hatte ja noch einigermaßen auftreten können und dies auch dem Arzte sorglich gesagt; allein als er die Richtung des Schusses erkannt und die Wunden selbst betrachtet, rief er mit voller Gewißheit, den Kranken vergessend und nur seiner Kenntnis froh, lebhaft aus: »Da ist ohne weiteres der Knochen gesplittert!« Für mich war das eine Art Todesurteil, meine ärztliche Kunde sagte mir, daß unter solchen Umständen man für nötig erachten könne, das Bein abzuschneiden, und daß dies doch wieder so hoch oben fast kaum tunlich sein würde, daß im günstigsten Falle die schmerzvolle und stets bedenkliche Kur sich über sechs, acht und mehr Monate erstrecken könne; da in der andern von mir bisher gehegten Annahme kaum so viele Wochen nötig sein würden. Einstweilen mußte ich wohl dem Ausspruche des Arztes glauben, dem aber doch eine leise Stimme in mir noch immer einige Zweifel entgegensetzte. Nach vielen Tagen, die von jener Vorstellung schlimm verdüstert waren, gab der Arzt endlich zu, daß er sich irren könne, und sagte mir heute fast verdrießlich, ich würde wohl keine sehr langwierige Kur auszustehen haben! Seine Behandlung übrigens ist vortrefflich, nur die nötigste Berührung und so leise und zart als möglich; bloß Kampferwasser wird angewandt, und bei diesem einfachen Mittel schreitet die Heilung bestens vor. Seit einigen Tagen erhol ich mich merklich, bin muntern Geistes und frischer Hoffnung. Nur darf ich mich nicht regen, und mit Kunst und Mühe hab ich es dahin gebracht, daß ich mich etwas aufrichten und auf einem vorgelegten Brette schreiben kann; zuerst meinte der Arzt, es sei geradezu toll, daß ich schreiben wolle, da er aber sah, wie heftig mein Wunsch und wie jeden Tag mein Befinden besser sei, so ließ er es endlich zu. Seitdem sind die kurzen Viertelstunden, die ich für Euch, geliebte Freunde, an diese Blätter wende, die glücklichsten des Tages, die mich für viele lange Stunden der Öde und Ungeduld trösten müssen.[320]

Der Brief aus Zistersdorf an die Freunde nach Berlin und Hamburg läßt meine Lage und Stimmung nach der Schlacht hinreichend und die Färbung des Augenblickes selbst erkennen. Ich schrieb noch insbesondre an Rahel, an Fouqué und an meine Schwester, aber die Briefe mußten ihren Weg über Wien suchen, und die Ungewißheit, ob sie ihn finden würden, hemmte den Eifer des Schreibenden.

Ein Versuch, den ich machte, an Krücken zu gehen, fiel nach Wunsch aus, und mit Wonnegefühl betrat ich den kleinen Blumengarten unter meinem Fenster, dann den Schloßhof und endlich das freie Feld, unter schattigen Bäumen das sonnenbeschienene Land überschauend, zu den duftigen Anhöhen hin, wo noch vor kurzem der Kanonendonner getobt hatte. Ungeachtet meiner Rührung und Sehnsucht, denen der Friede schmeichlerisch erschien, könnt ich mich doch des Wunsches nicht erwehren, daß der Krieg sich erneuern möchte, denn die lockenden Bilder der Ruhe fanden nirgends einen Boden, wo sie sich hätten niederlassen können.

Mit jedem Tage wurden meine Wunden besser, das schönste Wetter begünstigte die Heilung; ich konnte in kurzem die eine und bald auch die andere Krücke ablegen. Ich hatte die enge Krankenstube des Spitals verlassen und ein heitres Zimmer bei dem Verwalter bezogen, dessen Familie mir keine noch wünschbare Pflege fehlen ließ. Daß der Frieden mittlerweile unterhandelt wurde, war bekannt, allein das Ergebnis schwebte in noch unsichrer Ferne; die österreichischen Streitkräfte, deren Oberbefehl der Erzherzog Karl abgegeben hatte, zogen sich nach Ungarn zusammen, um neue kriegerische Stellung zu nehmen, und was noch mehr an dem Frieden zweifeln machte: man war wegen einer persönlichen Auswechselung der Kriegsgefangenen übereingekommen, da man bei zuverlässiger Friedensaussicht eher die Freilassung in Massen würde festgesetzt haben.

Die Umstände bedingten meine Lage sehr eigen; die Franzosen waren infolge des Waffenstillstandes nach Zistersdorf gekommen, das Spital hätte alle Zeit gehabt weiterzuziehen,[321] nur aus Schonung für die vielen Schwerleidenden und im Vertrauen auf den Schutz der französischen Befehlshaber war es dageblieben. Nun aber erklärten die Franzosen uns alle für kriegsgefangen, und unser Einspruch wurde nicht angenommen. Ich gedachte mich so gutwillig dem Unrechte nicht zu fügen und traf mit einem braven Bürgersmanne die Abrede, daß er mich in einer dunkeln Nacht über den Marchfluß nach Ungarn fahren sollte, wie es ihm schon mit ein paar Genesenen glücklich gelungen war. Dem Obersten hatte ich wiederholt erklärt, ich betrachte mich als frei, und er hätte mir es kaum verdacht, wenn ich mich ohne Abschied entfernt hätte. Zum Unglück erhielt er unvermutet aus Wien den Befehl, alle Österreicher, deren Fortschaffung aus dem Spital möglich wäre, zum Behuf der Auswechselung sofort nach Wien zu senden. Eine meiner Wunden war noch offen, aber das konnte nicht hindern; der Oberst bewirtete mich noch zu guter Letzt, und mit seinen besten Glückwünschen, unter dem lauten Weinen der Frau und Tochter des Amtmanns, nahm ich Platz auf dem Vorspannswagen, neben dem ein französischer Jäger ritt. Mein Bedienter Lorenz begleitete mich; er hatte bis dahin sein Gewehr vor dem Feinde zu bewahren gewußt und fand Mittel, dasselbe auch hier sicher im Stroh zu verbergen und mitzunehmen. Wir kamen ohne weiteres Ereignis am 14. August mit der Dämmerung in Wien an.

Quelle:
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens. Berlin 1971, S. 295-322.
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