Kapitel CI.
De scientiarum magistris
oder
Von den Meistern der Wissenschaften

[176] Endlich aber, damit ich mich wieder in etwas erhole, so habet ihr aus dem, was ich von Anfang bis hierher gesaget, gehöret, dass die Wissenschaften und Künste nichts anders sind, als Menschenüberlieferungen und von uns nur in törichter Leichtgläubigkeit angenommen, und dass solche insgesamt aus nichts anders als aus zweifelhaftigen Dingen und Ungewissen Meinungen genommen und durch scheinbare Demonstrationes dargetan werden; ja dass sie alle, so viel derer sind, ungewiss und betrüglich, ich könnte fast sagen schädlich und gottlos sind. Daher ist es gottlos, zu glauben, dass sie uns zu unserer Seligkeit was dienlich sein könnten. Vor diesem hatten die Heiden diesen Aberglauben, dass, wann sie einen sahen, der eine Kunst oder Wissenschaft erfunden hatte oder darinnen exzellieret, demselben taten sie göttliche Ehre an und rechneten ihn unter die Zahl der Götter; sie weiheten ihm Tempel und Altäre und beteten ihn unter gewissen Figuren[176] an, wie der Vulcanus bei den Ägyptiern, weil er der erste Philosophus war, und die Principia naturae dem Feuer zuschriebe, so war er hernach gar als ein Feuer geehret; und der Äsculapius (wie Celsus dafür hält), weil er die annoch rauhe Medizin ein wenig subtiler zu traktieren wusste, so ward er deswegen unter die Götter gezählet. Also ist diese und keine andere Gottheit der Wissenschaften bei ihnen, als welche die alte Schlange, die dergleichen Götterkünstlerin ist, unseren ersten Eltern versprochen hat, wann sie saget: Eiritis sicut Dii, scientes bonum et malum. Das ist: Ihr werdet sein wie die Götter, sobald ihr Gutes und Böses wisset. In dieser Schlange mag sich rühmen, wer sich einer Wissenschaft: rühmet; denn fürwahr niemand wird können einer Wissenschaft fähig sein und dieselbe besitzen, als aus Gunst und Favor dieser Schlange, deren Lehre nichts anderes als Zauberei und Gaukelei und deren Final endlich böse ist; also dass auch bei dem geimeinen Mann ein Sprichwort entstanden: Omnes scientes insanire. Alle die was wissen, die seien närrisch und unsinnig. Denen pflichtet auch Aristoteles bei, wann er sagt: Nullam magnam esse scientiam sine mixtura dementiae. Jedwede grosse Wissenschaft sei mit einer Torheit vermischet. Und Augustinus selbsten bezeuget, dass manche, durch Begierde viel zu wissen, ihre Vernunft verloren haben.

Es ist kein Ding auf der Welt der christlichen Religion und dem Glauben so zuwider, als die Wissenschaft, und ist nichts, das sich weniger miteinander vertragen kann, als diese beiden; denn wir wissen aus den Kirchenhistorien, und hat es auch die Erfahrung gegeben, wie die Wissenschaften, nachdem der Glaube an Christum aufkommen, verfallen sind, also dass fast der grösste oder doch der vornehmsten Teil gänzlich zugrunde gangen ist. Denn die zauberischen Künste meistenteils, die die grössten und vornehmsten gewesen sind, die haben sich dergestalt verloren, dass keine Spuren mehr da sind; und von allen der Philosophorum[177] Sekten ist nicht mehr übrig geblieben, als nur allein die peripatetische und zwar auch ganz verstümmelt und unvollkommen. Und hat sich die Kirche niemals besser befunden und mehr in stiller Zufriedenheit gelebet, als zu der Zeit, da man von Künsten und Wissenschaften nichts gewusst hat oder doch, da dieselben in eine Enge gebracht worden sind, nämlich da keine Grammatica gewesen, als nur bei dem Alexander Gallo, keine Dialectica, als bei dem Petro Hispano, keine Rhetorica, als bei dem Laurentio Aquilegio, ein klein Fasciculus oder Bändchen war genug für die Historie, für die mathematischen Disziplinen genügte die Ausrechnung des Kirchenkalenders, allen andern Disziplinen auch stunde der einige Isidorus für. Anjetzo aber, da wieder so viel Sprachen aufgekommen, so viel rhetorische Orationes geschrieben und so viel alte Bücher aufs neue das Tageslicht gesehen haben, und die Wissenschaften wieder excolieret worden, da sehe man nur, wie die Kirche in ihrer Ruhe ist turbieret worden, und was für neue Sekten und Ketzereien nacheinander an den Tag kommen sind, ja es ist keine Art unter den Menschen weniger geschickt Gottes heilige Lehre an sich zu nehmen, als diejenige, so sich in allerhand Wissenschaften vertiefet hat, denn diese bleiben oftermals so obstinat und halsstarrig auf ihrer Meinung, dass sie dem Heiligen Geist keinen Baum lassen wollen, und trauen ihren eigenen Kräften und Köpfen so viel zu, dass sie der reinen Wahrheit keinesweges welchen wollen, lassen auch nichts zu, als was mit syllogistischen Schlüssen erwiesen werden kann, und was sie nicht durch ihre Kräfte und Fleiss nachgrübeln mögen, das verachten sie und lachen es aus. Darum hat Christus diese seine heilige Lehre für den Weisen und Klugen verborgen und hat sie den Kleinen und Geringen offenbaret, nämlich denenjenigen, die geistlich arm sind und mangelnder Wissenschaft; denenjenigen, welche reinen Herzens und nicht mit diesen vergeblichen Meinungen und Wissenschaften beflecket sind; deren[178] Seelen wie ein Blatt weissen Papieres sind, auf dem noch nichts geschrieben stehet von menschlichen Traditionen; denenjenigen, welche friedfertig sind und nicht gerne streiten oder mit ihren zänkischen Syllogismis die Wahrheit verjagen, denenjenigen, welche wegen der Wahrheit und Gerechtigkeit Verfolgung leiden und als Esel von den argen Sophisten verlachet werden oder als Grünschnäbel, verrufen in den Schulen, entfernt von den Lehrstühlen, verjagt von den Universitäten, als Ketzer verleumdet und verfolgt, auch wohl grausam am Leben gestrafet.

Also ist vor Zeiten zu Athen der Socrates mit Gift vergeben, der Anaxagoras getötet und dem Diagoras, wann er nicht entflohen wäre, hat sollen der Kopf abgeschlagen werden. Unter den hebräischen Propheten ist Esaias in Stücke zerhauen, Jeremias gesteiniget, Ezechias getötet, Daniel den wilden Tieren vorgeworfen, Amos mit einem Prügel zu Tode geschlagen, Micheas in den Abgrund gestürzet, Zacharias bei dein Altar ermordet, Elias von der Jezabel, welche viel Propheten hat ums Leben bringen lassen, verfolget; ja der heilige Patriarche selbsten, Abrabam, ist von den Chaldäern in einen Ofen geworfen worden. Also sind auch des Herrn Christi Apostel und andere unzählige Märtyrer mehr mit vielen Qualen ums Leben kommen, und dieses alles ist darum und aus keiner andern Ursache geschehen, als dieweil sie von Gott heiligere Gedanken geführet haben, als diese Weltweisen.

Siehest du nun, diese sind es, die in ihrer Armut des Geistes, in ihrer Reinigkeit des Herzens, in ihrer Gewissensruhe klein und demütig, auch parat und freudig sind, wegen der Wahrheit ihr Leben zu lassen und ihr Blut zu vergiessen, diese, sage ich, sind es, welchen allein die wahre und göttliche Weisheit ist gegeben worden, die uns zu den himmlischen Heerscharen versetzen wird; wie uns dieses Christus klar[179] lehret, wann er spricht: Beati pauperes Spiritu, quoniam eorum est regnum Dei. Beati mundo corde, quoniam ipsi Deum videbunt. Beati pacifici, quoniam filii Dei vocabuntur. Beati qui persecutionem patiuntur propter justitiam, quoniam ipsorum est regnum coelorum. Das ist; Selig sind, die geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihre; selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen; selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heissen; selig sind, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen, denn das Himmelreich ist ihre.

Derowegen ist es ja besser, ein Idiota und ganz Nichtswissender zu sein und durch blossen Glauben und Liebe seinem Gott glauben und vertrauen und ihm nahe sein, als durch die stolzen erdachten Subtilitäten der Wissenschaften in der Schlangen Herrschaft zu fallen. Also lesen wir in dem Evangelio, wie Christus von den Einfältigen, von den Elenden und dem rauhen Volke ist aufgenommen worden, da er hingegen von den Hohenpriestern und Schriftgelehrten, von denen Rabbinen und Meistern ist verachtet und gar verurteilet, ja bis in den Tod verfolget worden; und hat ja auch Christus die Rabbinen, nicht die Schrift gelehrten und Meister, nicht die Priester zu seinen Aposteln erwählet, sondern aus dem rauhen Volke die Einfältigen und Idioten, die ganz nichts gewusst und nicht studieret haben gehabt, ja die Unwissenden und Esel.[180]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 2, S. 176-181.
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