Kapitel LVIII.
De templis
oder
Von den Kirchen

[231] Wir wissen, dass vor Zeiten bei den Heiden von den Tempeln ein greulicher Aberglaube und Superstition gewesen ist, indem sie jedwedem unter ihren Göttern einen sonderlichen Tempel erbauet und zugerichtet haben; auf deren Schlag haben hernach die Christen ihre Kirchen ihren Heiligen zugeeignet und zugeschrieben; jedoch haben auch viel Völker keine Kirchen nicht gehabt, und hat vor Zeiten Xerxes auf Einraten der Magier alle Tempel durch ganz Griechenland verbrennen lassen, weil sie dafür gehalten, es wäre schändlich und gottlose, die Götter in die Wände einzuschliessen. Aber es hat Zeno Citicus von den Tempeln auf solche Art philosophieret: Sacella ac templa construere nihil quidem necesse est; nihil enim sacrum jure existimandum, neque pro sancto habendum est, quod ipsi homines construxerint. Das ist: Es ist eben keine Notwendigkeit, Kirchen und Kapellen[231] zu erbauen; denn von Rechts wegen ist nichts heilig noch vor heilig zu halten, was von Menschen erbauet worden.

Bei den Persiern sind vor Zeiten keine Tempel oder Kirchen gewesen; bei den Hebräern aber ist nur ein Tempel bei der ganzen Nation für religios gehalten worden; war von dem König Solomon zu Jerusalem gebauet, von welchem wir bei dem Esaia dieses lesen: Haec dicit Dominus. Coelum sedes mea, terra autem scabellum pedum meorum. Quae est ista domus quam aedificas mihi? Also saget der Herr: Der Himmel ist mein Stuhl und die Erde meiner Füsse Schemel. Was wollet Ihr mir denn vor ein Haus bauen? Und Stephanus Protomartyr saget: Salomon aedificavit illi domum, sed excelsus in manufactis non habitat. Das ist: Salomon bauete dem Herrn ein Haus, aber der Höchste wohnet nicht in Tempeln, die mit Händen gemachet sind.

Und Paulus der Apostel saget zu den Atheniensern: Deus non in manufactis templis habitat, qui cum sit Dominus coeli et terrae manibus hominum non colitur, tanquam indigens aliquo. Das ist: Gott wohnet nicht in Tempeln, mit Menschenhänden gemachet, sein wird auch nicht von Menschenhänden gepfleget, als der jemands bedürfe. Gleichwohl lehret er, die menschliche Natur und die Menschen selber, die da rein, gottesfürchtig, heilig, religiösisch und Gott ergeben, dass sie Tempel Gottes und ihm angenehm sind, denn er schreibet dieses an die Korinther: Templum Dei estis, et Spiritus Dei habitat in vobis; templum autem Dei sanctum est, quod estis vos. Das ist: Ihr seid der Tempel des lebendigen Gottes, denn der Geist Gottes wohnet in euch, darum sollet ihr heilig sein, denn er ist heilig.

Überdieses sind bei unserer ältesten Religion und bei Anfang des christlichen Glaubens, auch lange nach Christi Leiden, für unsere Andacht keine Kirchen aufgebauet gewesen, wie der Origenes (wider den Celsum) selbst bekennet und lehret mit gewissen Schlussgründen, dass solche denen Christen zum wahren Gottesdienste[232] und zur wahren Religion nichts nütze gewesen sind. Lactantius saget: Non templa Deo congestis in altitudinem saxis struenda sunt, sed suo cuique conservandus est pectore, in quod se conferat, cum adorat Deum.


Non habitat templis manuum molimine factis

Omnipotens; aedes aurea verus homo.


Das ist: Man muss Gott nicht eben steinerne Tempel bauen, sondern es soll ein jedweder seinen Tempel bei sich im Herzen haben, darein er gehen soll, wann er will zu Gott beten. Denn der Allmächtige wohnet nicht in Tempeln, von Menschenbänden gemachet, sondern sein Tempel ist ein jedweder rechtgläubiger Mensch. Auch hat Christus selbsten seine Anbeter nicht in den Tempel, noch in die Synagogen gewiesen, sondern hat befohlen, dass sie in ihr Kämmerlein gehen und im Verborgenen beten sollten.

Er selber auch, wie bei dem Luca zu lesen, ist niemals zum Haufen, oder in die Städte, oder in Tempel oder in die Synagogen gangen zu beten, sondern er ist nausgangen auf den Berg, zu beten, und hat allda die ganze Nacht mit Beten zugebracht. Aber gleichwohl wie die Kirche nichts tut, als was sie durch Antrieb des heiligen Geistes tut, als die Sünder bei Vermehrung des christlichen Volks mit den Gläubigen, die Schwachen mit den Kranken, und gleichsam als wie in die Arca Noä die unreinen mit den reinen Tieren in die Versammlung gangen, so haben sie heilige Häuser, heilige Örter und Tempel, die ganz und gar von den weltlichen Gewerken sind frei und abgesondert gewesen, angerichtet, in welchen das Wort Gottes der christlichen Gemeine ist öffentlich gelehret und die Sacramenta ausgeteilet worden; welches von dem christlichen Volke mit höchster Ehrerbietung ist gehalten und von den Fürsten mit Freiheiten begabet worden; und das ist nunmehro zu einer solchen Menge und Weitläuftigkeit kommen, dass bei so einem grossen Haufen von Privatsacellen oder Kapellen der Betbrüder höchst vonnöten täte, dass diesfalls ein Einsehen geschähe,[233] und dass überflüssige und nichtswürdige Membra wieder abgeschnitten würden.

Hierzu kommen die unerträglichen stolzen Kirchengebäude, auf welche viel geistlich Geld und Almosen täglich aufgewendet werden, mit welchen, wie wir oben gesaget haben, viel christliche Arme, als wahre Tempel und Bildnisse Gottes, vor Hunger, Durst, Hitze, Kälte, Schwachheit und Mangel könnten bewahrt werden.[234]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 231-235.
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