Kapitel XL.
De furore
oder
Von Weissagung der Unsinnigen und Rasenden

[150] Aber zu diesen Träumern, welches ich bald vergessen hätte, müssen auch gezählet werden diejenigen, welche den Deutungen und Wahrsagungen der rasenden Leute Glauben beimessen und dafür halten, dass diejenigen, welche alle Wissenschaft, Gedächtnis und menschlichen Verstand verloren, durch solchen ihren Zufall die göttliche Wissenschaft zukünftigen Dingen erlanget hätten, und dass solche Leute dasjenige, was sonst Kluge und Weise bei ihrem Wachen nicht wüssten, das könnten diese Unsinnige und Rasende, wann sie schliefen, sehen und erfahren, also, dass diesen unsinnigen Leuten mehr als den klugen Wachenden, die ihren vollkommenen Verstand haben, Gott gnädiger sei. Fürwahr arme und unglückselige Leute, die diesen Vanitäten nachhängen, denselben Glauben beimessen, ihrem Betrug gehorchen, solchen Lehrmeistern Gehör geben, dieselben ernähren, und ihre Kehle und Bäuche ihrem Verstande unterwerfen.

Denn, was kann anders die Raserei sein und für was sollen wir dieselbe halten? Für nichts anders, als[150] für eine Entziehung des menschlichen Gemütes, welche von den bösen Geistern getrieben, und entweder durch das Gestirne oder durch andere Instrumenta hier auf Erden von den unreinen Geistern zuwege gebracht, welches Lucanus also fein exprimieret hat, indem er den Wahrsager also aufs Theatrum bringet:


Fulminis edoctum motus, venasque calentes

Fibrarum, et motus errantis in aere pennae.


Das ist: Er wusste von der Beschaffenheit des Ungewitters, und von den Adern und Eingeweiden des geschlachten Viehes, wie auch aus dem Vogelfluge gar genau zu urteilen. Als nun die Stadt geheiliget, das Opfer geschlachtet und die Eingeweide beschauet gewesen, sei er endlich in diese Worte herausgebrochen:

O ihr Götter! wollet ihr denn alle euere Grausamkeit anjetzo durch Krieg und Pestilenz an uns sehen und erblicken lassen? Soll denn alles Unglück auf einem Tag über uns zusammen kommen? Denn, sollte der Saturnus durch das böse Gestirn entzündet werden, müsste die ganze Welt durch eine neue Süntflut im Wasser verderben; oder wenn der Mond dem grausamen Nemeischen Löwen sollte zu nahe kommen, müsste Himmel und Erden im Feuer aufgehen. O, welch ein Unglück muss doch über unsern Kopf an jetzo geschmiedet werden! Denn der gnädige Jupiter ist ganz und gar verborgen, und der heilsame Venusstern ist in seinem glücklichen Lauf verhindert; hingegen hat der grausame Mars, indem das andere Gestirn alles verborgen, allein den Platz und den ganzen Himmel eingenommen. Nichts anders haben wir zu erwarten, als den schädlichen Krieg, dadurch alles Recht verjaget, und lauter Leichtfertigkeit und andere Untugenden eingeführet werden.

Aber all diese Wahrsagungskünstlereien haben ihren Ursprung und Fundamenta aus der Astrologie; denn ob ein Leib, ein Gesichte oder eine Hand angesehen wird, oder einem ein Traum vorkommt, oder ob einer ein Vogelgeschrei höret, oder ob einem die Raserei ankommet, so beratschlagen sie sich, wie dazu eine[151] astronomische Figur aufzurichten, aus deren Anzeigungen und Mutmassungen der Zeichen wollen sie ihre Meinung erjagen. Also erfordern alle diese Wahrsagungen die Kunst und Übung der Astrologie und sind gleichsam der Schlüssel zu dieser Wissenschaft Geheimnissen. Dahero alle diese Wahrsagungskünste, wie weit sie von der rechten Wahrheit ab sind, das erhellet öffentlich daraus, weil sie solche Principia, die offenbar falsch sind und die durch der Poeten Temerität erdacht worden, sich gebrauchen, welche, weil sie in der Wahrheit nicht sind, noch gewesen, noch jemals kommen werden, und doch ihre Ursachen und Signa sein sollen, so referieren sie endlich den Ausgang wider die Wahrheit.[152]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 150-153.
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