Kapitel XXX.
De astronomia
oder
Von der Sternseherkunst

[116] Nun aber gibet sich an dem höchsten Orte die Sternseherkunst an, eine ganz betrügliche Kunstvoller schwätzhafter Fabeln der Poeten, deren Erfinder fürwahr schier freche Leute und Urheber von Ungeheuerlichkeiten sein müssen, welche mit einer leichtfertigen Kuriosität nach ihrem Gefallen und übermenschliches Vermögen uns den Umkreis der Himmel vorstellen, und der Gestirne Masse, Bewegung, Figur und Gestalt, gleich als wenn sie nur neulich vom Himmel herunter gefallen und droben lange gewesen wären, uns abmalen, durch welche, wie sie dafürhalten, alle andere Sachen gezeiget und erforschet werden könnten, und sind doch untereinander so uneins, so contrar und streitig, dass ich mich nicht scheue, mit Plinio zu sagen : Hujus artis inconstantiam palam arguere, ipsam esse nullam. Das ist: Dieser Kunst Unbeständigkeit bezeuget öffentlich, dass sie an sich selbsten nichts ist. Indem auch von ihrem Ursprung und Principiis anderer Meinung gewesen sind die Indianer, anderer die Chaldäer, anderer die Ägyptier, anderer die Mauritianer anderer die Jüden, anderer die Araber, anderer[116] die Griechen, anderer die Lateiner, anderer die alten, anderer aber die neuen Skribenten.

Sie traktieren von der Zahl der Sphären oder Kugeln; Plato, Proclus, Aristoteles und alle Astrologi, bis fast auf gar wenige vor den Alphonsum, haben nur acht Sphären oder Runde gezählt. Averroes und Rabbi Isaac aber haben derselben neun statuiert. Dieser Meinung ist auch gewesen Azarcheles Maurus, auch Tebith und der gelehrte Rabbi Isaac und Alpetragus, welchen zu seiner Zeit beigepflichtet bat Albertus Teutonicus, den man sonst, ich weiss nicht um welche Tat, den Grossen genannt hat, und fast alle, die der Bewegungen Zu- und Abnahme gebilligt haben. Die neuesten Sternseher aber zählen zehn Sphären oder Runde, welche auch nach des Alberti Meinung selbst der Ptolemäus statuieret hat; auch Averroes hat dafür gehalten, dass deren neun gewesen sind. Alphonsus hat anfangs der Meinung des Rabbi Isaac, welcher mit dem Zunamen Bazan ist genannt worden, gefolget, und gleichfalls neun Sphären statuieret, nach Verfliessung vier Jahre aber hat er in seinen Tabellen der Meinung Albuhassen Mauri und des Albategni adhärieret, und ist bei acht verblieben.

Der Rabbi Abraham Avenazra selber auch, und der Rabbi Levi, wie auch Rabbi Abraham Zacutus haben dafürgehalten, dass über die acht keine bewegliche Sphäre wäre, doch haben sie von Bewegung der Sterne und von den Fixsternen unter sich grossen Streit gehabt. Die Chaldäer und Ägyptier aber haben nur eine Art der Bewegung affirmieret, denen haben beigepflichtet Alpetragus, und von den neuen Alexander Aquilinus; die andern Astronomen aber, von dem Hipparcho an bis auf unsere Zeiten, die schreiben[117] dieser Sphäre zu, dass sie durch viele Bewegungen rumgetrieben würde; die Talmudischen Juden die teilen derselben einen zweifachen Motum zu; Azarcheles und Tebith, wie auch Johannes de Monte Regio, eine Art Trepidation, welches die Zunahme und Abnahme wäre, über die kleinen Zirkel des Stiers und der Wage, aber auch in diesen differieren sie; denn Azarcheles spricht, dass das Bewegliche von dem Unbeweglichen über zehn Grade nicht erfernet sein könnte, Tebith aber nicht über vier, jedoch mit neunzehn Minuten, Johannes de Regio Monte nicht über acht. Dahero dieser dafür hält, dass die Fixsterne nicht allezeit nach einem Teile der Welt gingen, sondern, dass sie dahin immer wiederum umkehrten, wo sie wären herkommen.

Aber Ptolomäus, Rabbi Levi, Avenazre, Zacutus, und unter den neusten Paulus Florentinus und Augustinus Ritius, mit welchem ich in Italien sonderlich familiar gewesen, halten dafür, dass die Sterne nach ihren zugeteilten Zeichen stets gleichmässig bewegt würden.

Die allerneusten Astronomi aber schreiben der achten Sphäre eine dreifache Bewegung zu, und eigentlich eine, welche wir oben die zitternde oder Trepidationis genennet haben, welche in siebentausend Jahren nur einmal rumkomme; die andere, welche sie die zirkelrunde oder Gyrationis nennen, von der neunten Sphära an, deren Lauf nicht weniger als in neunundvierzigtausend Jahren geendiget wird; die dritte von der zehnten Sphära, welche sie Motum primi mobilis, oder die geschwinde und stete Bewegung nennen, wäre, welche in Tag und Nacht ihren Lauf vollbrächte, und täglich wiederum ad suum principium, oder ihren Anfang käme. Diejenigen aber, die der achten Sphäre einen doppelten Lauf beimessen, die sind auch nicht alle untereinander eins, denn die Neuen, welche den Motum trepidationis, oder zitternden statuieren, die schliessen, dass sie in der höchsten Sphära gezwungen würde. Aber Albategni, Albuhassen, Alfagranus, Averroes, Rabbi Levi, Abraham Zacutus und Augustinus[118] Ritius meinen, dass die tägliche Bewegung, welche andere die geschwinde nennen, mit keiner Sphära zu tun hätte, sondern geschähe von dem ganzen Umkreis des Himmels, ja der Averroes selbsten saget, dass der Ptolomäus (in seinem Buch der Erzählungen) den Motum Gyrationis negieret hätte, und dass der geschwinde Motus vom ganzen Himmel entstünde, aber da kommen sie wiederum nicht überein wegen der Grösse und Masse des Motus der achten Sphära und der Fixsterne. Denn Ptolomäus hält dafür, dass die Fixsterne um einen Grad in hundert Jahren fortschreiten; nach Albategni geschieht das in Sechsundsechzig Jahren; dem pflichten bei Rabbi Levi, Rab, Zacutus und Alphonsus in der Korrektion ihrer Tabellen. Azarcheles Maurus aber ermahnet fünfundsiebzig Jahr, Hipparchus achtundsiebzig, die Hebräer, als Rabbi Josue, Moyses Maymonus, Rabbi Avenarra, und nach ihnen Haly Benrodam siebzig Jahr, Johannes de Monte Regio achtzig, Augustinus Ritius, der fast das Mittel unter des Albategni und der Hebräer Meinung statuiert, hält dafür, dass die Fixsterne nicht geschwinder als in Sechsundsechzig Jahren, und nicht langsamer als in siebzig Jahren fortschreiten.

Aber Rabbi Abraham Zacutus bezeuget, dass am Himmel zwei Sterne wären, welche ganz und gar dem ordentlichen Lauf zuwider wären, und nicht eher als in hundertvierundvierzig Jahren den ihrigen vollendeten; so hält auch Alpetragus selbsten dafür, dass noch viele Gänge und Bewegungen in dem Himmel zu finden, welche den Menschen noch ganz unbekannt wären, welches, wenn es also wäre, so können ja auch Sterne und Corpora sein, mit welchen diese Bewegungen übereinkommen, die entweder die Menschen wegen der grossen Höhe nicht haben sehen oder durch ihre Kunst nicht observieren können. Diesem pflichtet bei Favorinus, ein Philosophus bei dem Gellio, in seiner Rede wider die Genethliacos[119] Derohalben bleibt nichts übrig, als dass noch kein Astronomus vom Himmel kommen ist, welcher uns die rechte wahre Bewegung der Fixsterne gelehret hätte, so ist ja auch noch nicht des Martis wahrer Lauf auf den heutigen Tag uns recht bekannt, worüber auch Johannes de Monte Regio, welcher in einer Epistel ad Blanchinum den Irrtum dessen Laufes gewiesen, geklagt; auch Guilielmus de Sancto Clodoaldo, ein berühmter Astrologus, in seinen Observationibus schon für zweihundert und mehr Jahren eine Schrift, welche keiner von den Nachkommen noch bishero hat korrigieren können, uns hinterlassen hat; und dass der rechte Eintritt der Sonnen in den Aequinoctialpunkt zu erfinden, unmöglich wäre, welches Rabbi Levi mit vielen Gründen und Anmerkungen auch gebilliget hat.

Aber was wollen wir von dem sagen, was wir hernach erfahren haben, und wie die Ersten und unsere Vorfahren müssen geirret haben. Denn viel haben mit dem Tebith dafür gehalten, dass die Deklination der Sonnen kontinuierlich variiere. Andere Gedanken hat von derselben gehabt Ptolomäus andere der Albategnus, Rabbi Levi, Avenazra und Alphonsus; so haben sie auch von der Bewegung der Sonne und des Jahres Ausrechnung andere Meinung, als Ptolomäus und Hipparchus uns gelehret haben.

Von des Himmels Zeichen und der Fixsterne Sitz haben andere Meinung geführet die Indier, andere die Ägyptier, andere die Chaldäer, andere die Hebräer, andere die Araber, andere der Timotheus, andere Arsatilis, andere Hipparchus, andere Ptolemäus, andere die neusten Skribenten. Hier will ich nicht berühren, was sie von dem Ursprung des Himmels linkisch und rechts vor närrische Händel vorgebracht, von welchen doch der Thomas Aquinas und Albertus Teutonicus, als abergläubische Theologi, indem sie etwas Ernsthaftes davon haben sagen wollen, nichts, dass sie uns gewiesen hätten, erfinden können. Ja, auch was die Galaxias oder Milchstrasse sei, das wissen die Astrologi[120] diese Stunde noch nicht. So will ich mich auch nunmehro nicht bekümmern oder länger aufhalten in dem, was sie von den Eccentricis, Concentricis, Epicyclis, Retrogradationibus Trepidationibus, Accessibus, Recessibus, Raptibus und andern ihren Mensuren und Zirkeln hersagen, weil solches alles kein göttliches oder natürliches Werk, sondern der Mathematicorum Ungeheuer und erdichtetes Geschwätze ist, welches von der verderbten Philosophie und der Poeten Fabeln herkommen ist, aber welchen doch, als wahrhaftigen und von Gott herrührenden oder der Natur ähnlichen Sachen ihre Meister sich nicht schämen dergestalt Glauben beizumessen, dass, was unten auf der Erde geschieht, notwendig von oben her durch dieses Geschwätze müsse hergenommen werden und meinen, dass solche Bewegungen ein Anfang aller Bewegungen, was unten geschieht, sein müsste. Dergleichen Sterngucker hat eine Magd mit einer artlichen Rede begegnet und gestraft; denn als sie einstmals mit ihrem Herrn, dem Anaximene, rumspazierte, und er die Gestirne betrachten wollte, auch dessentwegen gar sehr frühe aus dem Hause ging und nach den Sternen guckete, ist er in eine Grube gefallen. Da hat die Magd zu ihm gesaget: Herr, ich wundere mich, dass Ihr wissen wollet, was oben im Himmel ist, und wisset nicht, was unter Euch für den Füssen ist. Und mit dergleichen Scherz sagt man, sei auch Thales Milesius von der Magd Tressa verlacht worden. Fast dergleichen saget von diesen Leuten Tullius, wenn er spricht: Astrologi, dum coeli scrutantur plagas, quod ante pedes est, nemo eorum spectat. Das ist: Die Astrologi, indem sie sich um das Gestirne bekümmern, so siehet niemand unter ihnen, was unter den Füssen ist. Ich selbst habe diese Kunst als ein Knabe von meinen Eltern studieret, und habe nicht wenig Zeit und Arbeit[121] darauf gewendet; endlich bin ich gewahr worden, dass diese Kunst auf nichts anders bestehe und ganz und gar auf keinem andern Fundament beruhe, als auf lauter Geschwätze und erdichteten Einbildungen, und hat mich hernach die Mühe und Arbeit, so ich daran gewendet, gereuet. Und wollte nur wünschen, dass ich nicht mehr daran gedenken sollte. Ich wollte es auch nicht tun, wenn nicht bisweilen hoher Leute Bitte, welche anstatt der Befehle sind, und die zu solchen Sachen Lust haben, mich oftermals wiederum darzu brächten und wenn nicht der häusliche Nutzen mir geraten hätte, dass ich mich unterweilen ihrer Narrheit gebrauchen und ihrem unnützen Geschwätze (weil sie doch Geschwätze haben wollen) gehorchen müsste. Ich sage Geschwätze; denn was begreift die Sternguckerkunst anders in sich, als lauter poetische Fabeln und Märchen, und solche ungeheuere Erdichtungen, womit sie den ganzen Himmel vollmachen? Es schicket sich auch keine Art der Menschen besser zusammen, als die Astrologi und Poeten, nur dass sie wegen des Morgen- und Abendsterns nicht miteinander einig sind, indem die Poeten bejahen wollen, dass an demselben Tage, da der Morgenstern vor Aufgang der Sonnen erschienen, an demselben müsste er auch wieder nach Untergang der Sonnen untergehen, welches aber die Astrologi fast alle leugnen, ohne nur diejenigen, welche die Venus über die Sonne setzen, weil die Sterne, welche viel weiter von uns sind, eher auf- und später untergehen. Aber diesen Streit vom Sitz der Sterne und Planeten, wenn er mir eben nicht eingefallen wäre, hätte ich mit Stillschweigen vorbeigehen lassen, indem er mehr zur Philosophie als Astrologie gehöret. Denn Plato setzet nach dem Mond die Sonne, und das tun auch die Agyptier, die die Sonne[122] zwischen den Monden und Mercurium stellen; Archimedes aber und die Chaldäer sagen, dass die Sonne die vierte in der Ordnung sei; Anaximander und Metrodorus Chius, wie auch Grates, die setzen die Sonne über alle am höchsten, und nach ihr den Monden. Der Xenocrates meinet, dass alle Sterne in der gleichen Fläche zusammen beweget werden. So sind sie auch nicht wenig discrepant von der Sonnen, Monden und der Sternen Grösse und Distanz, und ist unter ihnen keine Beständigkeit und Wahrheit; es ist aber auch kein Wunder, denn eben dasjenige, was sie durchgrübeln, das ist ja selbsten das Unbeständigste und aller Fabeln und Mährlein voll, denn die zwölf himmlischen Zeichen selbst im Norden und im Süden sind nichts als Fabeln. Nur dieses ist der Unterschied unter den Astrologis und Poeten, dass jene davon sich unterhalten und werden reich, diese aber, die Erfinder der Fabeln, leiden dabei Hunger und Kummer.[123]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 116-124.
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