Die Belehrung durch die Opferfeuer

[101] Upakosala Kâmalâyana unterzog sich bei Satyakâma Jâbâla dem heiligen Studium. Durch zwölf Jahre versah er dessen heilige Feuer. Seine anderen Schüler ließ er heimkehren, diesen nicht.[101]

Die Gattin sprach zu ihm: ›Der Schüler hat sich abgequält, er hat die Feuer nach Gebühr versehen. Hüte dich, daß die Feuer nicht dir voraus die Lehre ihm verkünden. Sprich zu ihm.‹ Aber ohne sie ihm verkündet zu haben, begab er sich auf eine Reise.

Der Schüler hörte infolge einer Krankheit auf zu essen. Da sprach die Frau des Lehrers zu ihm: ›Schüler, iß! Warum issest du denn nicht?‹ Er erwiderte: »In dem Menschen wohnen viel Lüste mannigfacher Art. Ich stecke voller Krankheiten. Ich werde nicht essen.«

Da sagten die Feuer zueinander: ›Der Schüler hat sich abgequält. Er hat uns nach Gebühr versehen. Wohlan, wir wollen zu ihm sprechen.‹ Sie sagten zu ihm:

Prâna, (der Hauch), ist Brahman; kam, (die Freude), ist Brahman; kham, (der Äther), ist Brahman.‹ Er sprach: »Prâna ist Brahman, das verstehe ich; aber kam und kham, das verstehe ich nicht.« Sie sagten: ›kam ist kham, und kham, das ist kam.‹ Sie sprachen zu ihm da von dem Hauch sowohl als vom Äther (Raum).

Nun unterwies ihn das Gârhapatyafeuer (im Westen des Opferplatzes): ›Feuer, Speise, Erde, Sonne: der Purusha (das Männchen)1, den man in der Sonne sieht, das bin ich; grade das bin ich.

Wer mit solcher Kenntnis ihn verehrt, schlägt das Tun der Bösen ab, gewinnt die Welt, erreicht ein volles Lebensalter [lebt lange]. Seine Nachkommen sterben nicht aus. Wir haben von dem Nutzen in dieser und jener Welt, der ihn mit solcher Kenntnis verehrt.‹

Da unterwies ihn das Anvâhâryapacanafeuer (im Süden des Opferplatzes): ›Wasser, Himmelsgegenden, Sterne, Mond: der Purusha (das Männchen), den man im Monde sieht, das bin ich, grade das bin ich.

Wer mit solcher Kenntnis ihn verehrt, schlägt das Tun der Bösen ab, gewinnt die Welt, erreicht ein volles Lebensalter [lebt lange]. Seine Nachkommen sterben nicht aus. Wir[102] haben von dem Nutzen in dieser und jener Welt, der ihn mit solcher Kenntnis verehrt.‹

Da unterwies ihn das Âhavanîyafeuer (im Osten des Opferplatzes): ›Lebenshauch, Raum, Himmel, Blitz: der Purusha, den man im Blitz sieht: das bin ich, grade das bin ich.

Wer mit solcher Kenntnis ihn verehrt, schlägt das Tun der Bösen ab, gewinnt die Welt, erreicht ein volles Lebensalter [lebt lange]. Seine Nachkommen sterben nicht aus. Wir haben von dem Nutzen in dieser und jener Welt, der ihn mit solcher Kenntnis verehrt.‹

Sie sprachen: ›Upakosala, da hast du die Wissenschaft von uns und die Wissenschaft vom Selbst. Der Meister aber wird dir den Weg sagen.‹ Sein Lehrer kam herbei, sein Lehrer begrüßte ihn: ›Upakosala!‹

»Ehrwürdiger!« antwortete er.

›Dein Antlitz, mein Lieber, glänzt wie das eines Mannes, der das Brahman kennt. Wer hat dich unterwiesen?‹

»Wer sollte mich unterweisen?« Mit diesen Worten schien er zu leugnen.

›Hier die Feuer haben ihr Aussehen verändert‹2, sprach er, auf die Feuer weisend. ›Was haben sie dir gesagt, mein Lieber?‹

»Dieses«3, erwiderte er.

›Sie haben zu dir von den Welten gesprochen. Ich will dir aber das verkünden, wonach, wie an einem Lotusblatt das Wasser nicht haftet, an einem diese Kenntnis Besitzenden ein übles Werk nicht haftet.‹

»Verkünde mir das, Ehrwürdiger!«

Er verkündete ihm: ›Der Purusha, den man im Auge sieht, das ist der Âtman‹, sprach er. ›Das ist das Unsterbliche, Furchtlose, das ist das Brahman. Darum, wenn man auch flüssige Butter oder Wasser ins Auge gießt, läuft sie in die Augenlider.

Man nennt ihn Samyadvâma; denn alles Gefällige (vâma) geht, fließt in ihn zusammen. Alles Gefällige fließt in den zusammen, der so weiß.[103]

Er heißt vâmanî; denn er führt alles Gefällige (nî). Alles Gefällige führt der, der so weiß.

Er heißt bhâmanî; denn er leuchtet (bhâ) in allen Welten. In allen Welten leuchtet der, der so weiß.

Sei es nun, daß sie an ihm die Leichenriten vollziehen oder nicht, er geht in die Flamme ein, aus der Flamme in den Tag, aus dem Tag in die zunehmende Monatshälfte, aus der zunehmenden Monatshälfte geht er in die sechs Monate, in denen die Sonne nach Norden geht, aus diesen Monaten in das Jahr, aus dem Jahr in die Sonne, aus der Sonne in den Mond, aus dem Monde in den Blitz, da ist ein spiritueller (nicht menschlicher) Mann, der führt ihn zum Brahman. Das ist der Pfad der Götter, der Pfad des Brahman. Wer auf ihn gelangt, kehrt zu dem menschlichen Strudel nicht mehr zurück, nicht mehr zurück.‹


(IV, 10-15)

1

Seele-Geist.

2

Ich verstehe das so, daß eine Veränderung in der Flamme die Mißbilligung der Feuer über die Lüge andeutet und der Meister es erkennt.

3

Folgt die Mitteilung.

Quelle:
Upanishaden. Altindische Weisheit aus Brâhmanas und Upanishaden. Düsseldorf/Köln 1958, S. 101-104.
Lizenz: