Der Weg zur Erlösung und sein Ziel

[213] Âshvalâyana nahte dem erhabenen Herrn aller Herren und sprach: ›Verkünde, Erhabener, die beste, geheimnisvolle Wissenschaft vom Brahman, die die Guten stets verehren, damit nach Tilgung allen Übels der Kundige zuletzt in den Purusha eingeht, den alles überragenden.‹

Der Urvater sprach zu ihm: ›Vernimm infolge deines Glaubens, deiner Liebe und deiner Vertiefung: Nicht durch fromme Werke, nicht durch Nachkommenschaft, nicht durch Reichtum, sondern durch Entsagung haben manche Unsterblichkeit erlangt.‹

Jenseits des Himmelsgewölbes, in einer Höhlung verborgen2, erglänzt das, wohin die Asketen gehen3, die Asketen, die durch Kenntnis des Vedânta über ihr Ziel gewiß und infolge der Aufgabe der Welt reinen Wesens sind.

An einem einsamen Orte, in gutem Sitz, rein, Hals, Kopf, Körper in gleicher Lage, im letzten Âshrama4, halte er alle seine Sinne nieder, verehre er in Liebe seinen Lehrer, sinne er über den staublosen, reinen, in seiner Mitte hellen, von Kummer freien Lotos in seinem Herzen nach, den unausdenkbaren, nicht geoffenbarten, unendlich gestalteten, milden, friedevollen, unsterblichen Schoß des Brahman.

Wer in diesen, der ohne Anfang, Mitte und Ende ist, sich versenkt hat, in den alleinigen Herren, der aus Denken und Wonne besteht, den gestaltlosen, wunderbaren, den Gefährten[213] der Umâ, den höchsten Herren, [den mächtigen, dreiäugigen, blauhalsigen, friedevollen,] der Muni geht in den, der der Ursprung aller Wesen, der Zeuge aller Dinge ist, jenseits des Dunkels ein.

Er ist Gott Brahman, er ist Shiva, Indra, der unvergängliche, höchste Herrscher. Er ist Vishnu, er ist der Lebenshauch, er ist das Feuer der Zeit, der Mond.

Er ist alles, was entstanden ist und was sein wird in alle Ewigkeit. Wer ihn erkannt hat, überwindet den Tod; nicht gibt es einen anderen Weg zur Erlösung.

Wer in allen Wesen sich und in sich alle Wesen sieht, der geht, nicht aus einem anderen Grunde, in das höchste Brahman ein.

Sein Selbst mache der Weise zu dem unteren, den Omlaut zum oberen Reibholz, und durch eifriges Quirlen mit dem Rührstock der Erkenntnis vernichtet der Weise das Übel.

Wessen Selbst durch die Mâyâ (Täuschung) verwirrt worden ist, der nimmt einen Körper an und betreibt allerlei Werk. Durch mannigfache Genüsse, wie Weiber, Speise, Trank, gelangt er im Wachen zur Befriedigung.

Im Traum aber empfindet seine Seele Freude und Leid in einer durch ihre Illusion bereiteten Welt. Zur Zeit des Tiefschlafes geht sie, wenn alles versunken ist, vom Tamas überwältigt, in den Zustand der Freude ein5.

Das höchste Brahman, die Seele von allem, die große Stütze der Welt, feiner als das Feine, das immer Seiende, das bist du, das bist du.

Was sich im Wachen, Traum, Tiefschlaf usw. ausgebreitet zeigt, das Brahman bin ich: wer das weiß, wird von allen Banden frei.

Was in den drei Wohnstätten genießbar, Genießer und Genuß sein mag, davon abgewandt bin ich, ein rein geistiger Zeuge, immer im Frieden.

In mir ist alles entstanden, in mir ist alles gegründet, in mir geht alles zur Vernichtung ein. Dieses zweitlose Brahman bin ich.[214]

Ich bin feiner als das Feine; ebenso bin ich groß; ich bin das mannigfache All. Ich bin der Purusha der Vorzeit, der Herrscher; ich bin der goldene, ich bin von friedvoller Gestalt.

Ohne Hände bin ich und ohne Füße, von unausdenkbarer Kraft; ich sehe, ohne zu sehen, und höre, ohne zu hören; ich bin ein Wissender in Einsamkeit, nicht ist einer, der mich kennt. Ich bin immer Gedanke.

Durch die vielen Veden bin ich erkennbar; ich bin der Vedavollender, ich bin der Vedakenner. Nicht Verdienst oder Sünde haftet an mir, nicht Verderben, nicht Geburt, Körper, Sinne, Wahrnehmung.

Für mich gibt es nicht Erde, nicht Wasser, nicht Feuer, nicht Wind, nicht Luft. Wer so den Unteilbaren, Zweitlosen erkannt hat, der die Gestalt des höchsten Âtman trägt und in der Höhlung wohnt, der geht ein zu dem, der Zeuge aller Dinge ist, der von Sein und Nichtsein befreit ist, zu dem Reinen, der die Gestalt des höchsten Âtman trägt.


Wer das Shatarudriya studiert, der wird durch Feuer gereinigt, der wird durch Wind gereinigt, der wird durch den Âtman gereinigt, der wird vom Branntweintrinken gereinigt, der wird vom Brahmanenmord gereinigt, der wird vom Golddiebstahl gereinigt, der wird vom Tun und Nichttun gereinigt. Darum stütze er sich auf den Unerlösten (jenseits von Erlösung und Nichterlösung wohnenden). Wer in einem Âshrama steht, soll es immer oder einmal flüstern. Dadurch erlangt er die Erkenntnis, die den Samsâraozean vernichtet. Darum erlangt der, welcher also ihn erkannt hat, die Stätte absoluter Befreiung.

So schließt im Atharvaveda die Kaivalya-Upanishad.

2

Taitt.-Up. II, 1, 1: yo veda nihitam guhâyâm parame vyoman.

3

Je einer der Halbverse scheint hier und im folgenden überflüssig. Die in einem von ihnen befindliche Erwähnung Rudras dürfte ebenso wie der Schluß der Upanishad durch einen Rudraverehrer in den Text gelangt sein; er ist darum klein gedruckt.

4

Lesart falsch. Maitr.-Up. VI, 34 zeigt, daß statt samkalpam etwa samparkam zu lesen ist.

5

Nach Analogie der Prashna-Up. würde man für tamas verwerten: tejas (S. 195). Die ausgelassenen Sätze sind z.T. unverständlich. 14. ›Wiederum infolge der Werke einer anderen Geburt schläft dieselbe Einzelseele nach Erwachen. Und die Einzelseele, welche in den drei Burgen spielt, kommt von da zu dem wohlgeschaffenen, unteilbaren, mannigfachen, 15. dem Träger der Wonne, dem ungeteilten Erkennen, in dem die drei Burgen zur Ruhe kommen (!), daraus entsteht Prâna, Manas, alle Sinne, Luftraum, Wind, Licht, Wasser und die Erde, die alles trägt.‹

Quelle:
Upanishaden. Altindische Weisheit aus Brâhmanas und Upanishaden. Düsseldorf/Köln 1958, S. 213-215.
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