Paramahansa-Upanishad

[221] Hansa, der ›Wandervogel‹, bezeichnet hier den von Ort zu Ort heimatlos wandernden Asketen und paramahansa diesen Asketen in seiner höchsten Vollendung. Häufig wird auch die Einzelseele wie die Weltseele in den Upanishads wie in den späteren Texten als hansa bezeichnet, und noch in neuester Zeit hat Gangâdharashâstri in einem schönen Gedicht (Hansâshtaka Kâshî 1961) die Geschicke des Râjahansa und des Âtman mit feinen Parallelen beschrieben. Der Stil dieser Upanishad ist knapp; nach meiner Ansicht nicht primitiv, sondern abgerissen und öfter unkonstruierbar; stellenweise aphoristisch. Die Übersetzung folgt im wesentlichen der Schraderschen Ausgabe.


Nârada ging zu dem Herrn und sprach: ›Welches ist der Weg der höchsten Yogins (Hansas)? Wo nehmen sie ihren Stand?‹ Zu ihm sprach der Herr: »Der Weg der höchsten Yogins ist in der Welt schwer zu finden. Nicht ist er für die Menge. Wenn einer allein ist, verharrt er beständig in Reinheit, er ist ein ›Mann des Veda‹ in der Meinung der Wissenden, ein großer Mann. Sein Geist bleibt immer in mir allein; deshalb bleibe ich immer in ihm. Seine Söhne, Freunde, Gattin, Verwandte u.a., Haarschopf und Opferschnur, Vedastudium und alle Werke muß er aufgeben, die Welt verlassen, zu Lendenschurz greifen, zu Stab und Decke; (dies) zum Gebrauch für seinen Leib und zum Frommen für die Welt.

Aber das ist nicht der höchste der Yogins. Und wenn du fragst, welches der Höchste ist, so höre, das ist der:

Ohne Stab, ohne Haarschopf, ohne Opferschnur, ohne Decke wandelt der höchste Yogin. Er fragt weder nach Kälte noch Hitze, weder nach Glück noch nach Schmerz, weder nach Ehre noch nach Unehre, vermeidet die sechs Wellen [des Samsâra: Hunger, Durst, Kummer, Wahn, Alter, Tod]; gibt Tadel, Hochmut, Eifersucht, Trug, Dünkel,[222] Wünsche, Feindschaft, Glück und Schmerz, Begehren, Zorn, Habgier, Verblendung, Freude, Überdruß, Selbstsucht usw. auf und betrachtet seinen Leib als Leichnam. Verworfen hat er den Leib; von dieser Ursache des Zweifels, der Verkehrtheit und falschen Erkenntnis hat er sich für immer abgewandt. Er wohnt für immer in Reinheit. (In dem Gedanken): ›das (Reine)1 hat in sich selbst seinen Stand‹, (weiß er): ›das Beruhigte, Unbewegliche, die Fülle von ungeteilter Freude bin ich. Das ist meine höchste Wohnstätte, das ist mein Haarschopf und meine Opferschnur.‹ Dadurch, daß er die Einheit von der höchsten Seele und seinem Selbst erkennt, wird die Trennung beider beendet2. Das ist die richtige Dämmerung3.

Alle Wünsche gibt er auf und nimmt seinen höchsten Stand in dem zweitlosen Brahman. Wer den Stab der Erkenntnis führt, den nennt man den ›Einstab‹. Wer aber den Stab aus Holz führt, von allen seine Nahrung nimmt, bar an Kenntnis ist, der geht in die schrecklichen Höllen und besonders in die, die man ›große Brüllerin‹ nennt. Wer diesen Unterschied kennt, ist der höchste Yogin [Paramahansa].

Das Gewand des Bhikshu sind die Himmelsgegenden; er kennt nicht den Namasruf für die Götter, noch den Svadhâruf für die Manen, nicht das Loblied, nicht den Vaushatruf bei der Spende, nicht die Einladung der Götter am Anfang der Opfer, noch die Aufgabe des Gelübdes am Schluß der Opfer, nicht den Opferspruch, nicht die Versenkung, nicht andächtige Verehrung, nicht das Sichtbare, noch das Unsichtbare, nicht das Besondere, noch das Ungesonderte, nicht Tag und Nacht, nichts. Er hat kein Heim. Auch soll der Bhikshu kein Gold usw. nehmen oder ansehen. Und wenn einer einwendet, ›durch bloßes Ansehen schafft er doch kein Hindernis‹, so lautet die Antwort: ›Ja, er schafft ein Hindernis.‹ Wenn ein Bettler4 Gold voll Leidenschaft ansähe, so würde er ein Brahmanentöter sein; wenn ein Bettler Gold voll Leidenschaft berührte, würde er ein Paulkasa[223] (eine Art Shûdra) sein; wenn ein Bettler Gold voll Leidenschaft ergriffe, würde er den Âtman töten. Wenn aber ein Bettler Gold mit Leidenschaft weder ansähe noch berührte noch ergriffe, so vermöchte er alle in seinem Herzen befindlichen Wünsche zu vertreiben. Unbeweglich im Unglück, ohne Verlangen im Glück, entsagend in der Leidenschaft, weder an Schönes, noch an Unschönes sich hängend, hegt er weder Haß noch Freude. Die Bewegung aller Sinne kommt zur Ruhe. In der Erkenntnis nimmt er seinen festen Stand. Seine Seele bleibt immer in der Weltseele. Er heißt ein Yati, ein Yogin, ein Wissender. In dem Gedanken, ›das Brahman, das vollkommene Wonne und alleiniges Wissen ist,5 bin ich‹, hat er sein Ziel erreicht.«

1

Ich beziehe tasya auf pûta.

2

eka lasse ich mit der Ausgabe der 108. Up. weg.

3

Wie Tag und Nacht in der Dämmerungszeit ineinander verfließen, so verlaufen Selbst und Weltseele bei der richtigen Erkenntnis ineinander.

4

Statt des falschen und unkonstruierbaren bhikshuḥ ist durchweg bhikshoḥ zu lesen.

5

pûrnânanda + ekabodha = advayânanda + vijnânaghana, oben.

Quelle:
Upanishaden. Altindische Weisheit aus Brâhmanas und Upanishaden. Düsseldorf/Köln 1958, S. 221-224.
Lizenz: