Einleitung

Unsere Zeit ist geneigt, den Geist des indischen Altertums mit anderem Auge zu betrachten, als die großen Männer getan haben, die zu Anfang und Mitte des vorigen Jahrhunderts mit den Werken indischer Denker und Dichter bekannt geworden sind. Nicht viele von den Staatsmännern der Gegenwart werden W. von Humboldts Urteil unterschreiben, der in einem Briefe an Gentz Gott dankte, daß er ihn habe so lange leben lassen, um die Bhagavadgîtâ lesen zu können; Goethes Distichon über die Shakuntalâ wird den Kindern einer von der Romantik entfernten Zeit überschwenglich erscheinen; Schopenhauers Enthusiasmus, der in den Upanishads den Trost seines Lebens und Sterbens sah, wird in Deutschland nur wenige, außerhalb Deutschlands niemanden berauschen.

Wir sind nicht mehr der ersten Entdeckerfreude voll, die den überraschend auftretenden Zeugen einer unerwarteten Kultur im Fernen Osten wie einer neuen Offenbarung des menschlichen Geistes gegenüberstand. Kühlere und abwägendere Gedanken haben sich zur Geltung gebracht und einen Umschwung der Stimmung bewirkt, die die Weisheit des Ostens eher unter- als überschätzt und sie mehr dem fachwissenschaftlichen Interesse zuweist. Wenn uns gesagt wird, daß das Drama eine Schöpfung des griechischen Geistes sei und kein anderes Volk des Altertums Ähnliches hervorgebracht habe, so beweist das eine Verkennung oder Unkenntnis der originalen und feinen Werke des indischen Geistes, die sich auf heimatlichem Boden selbständig aus dem Volksschauspiel entwickelt haben, die nur hinsichtlich der inneren Erfassung menschlicher Probleme von denen des Westens verschieden gewesen sind. Das indische Epos, das Râmâyana noch mehr als das Lied vom Kampf der Bharater, verrät so feine dichterische Empfindung und[11] Schöpfungskraft, daß es den Anspruch auf gleichen Rang mit Ilias und Odyssee, mit Nibelungenlied und Gudrun erheben darf und für den, der in Wesen und Entstehung der epischen Dichtung Einblick zu gewinnen wünscht, nicht ohne anregende Auskunft bleiben wird. Die Upanishaden haben ihren Wert als frühe, teils vor Buddhas Auftreten liegende Zeugnisse des nach den höchsten Zielen strebenden menschlichen Geistes, und sie werden diesen Wert trotz mancher Abstriche, die ihre enthusiastische Verherrlichung sich gefallen lassen muß, bewahren. Wir haben besser gelernt, ihnen in der Geschichte des indischen Denkens selbst ihren Platz anzuweisen, und erkannt, daß von ihren mystischen Lehren sich »ein Gedankenstrom zieht zur Mystik des persischen Sufismus, zur mystisch-theosophischen Logoslehre der Neuplatoniker und der alexandrinischen Christen bis zu den Lehren der christlichen Mystiker Eckhart und Tauler und endlich zur Philosophie des großen deutschen Mystikers des neunzehnten Jahrhunderts, Schopenhauers«1.

Wir begegnen im Rigveda einer kleinen Anzahl von philosophischen Liedern, welche die geistige Strömung ankündigen, die aus dem Dickicht des Götterglaubens und Rituals hervorbricht und den Fragen nach dem Ursprung von Gott und Welt sich zuwendet; die Lieder sind vielfach übersetzt und brauchen hier nicht wiedergegeben zu werden. Die Upanishaden liefern den Beweis, daß die in ihnen sich äußernde geistige Bewegung an Stärke zunahm und viele Geister Indiens in ihre Kreise zog. Sie sind nicht die Erzeugnisse einer Zeit und einer Richtung, nicht die Ergebnisse einer strengen, von Stufe zu Stufe schreitenden Logik. Die Lehrer, die den Mittelpunkt dieser Bewegung bilden, stehen noch auf dem Boden der rituellen Tatsachen und ihrer theologischen Deutung; sie knüpfen vielfach an sie an, um sie in höherem, geistigem Sinne zu deuten und sich über sie hinaus zu fernerem Gedankenfluge zu erheben und bedeutsame Gedanken auszusprechen, die auch in der späteren Zeit der systematischen Behandlung dieser Stoffe ihre grundlegende Bedeutung beibehielten. Es galt, hinter der Mannigfaltigkeit der Welt deren Einheit, hinter den[12] Leiden und Freuden des Lebens die Stätte der Ruhe, hinter der Vergänglichkeit das Bleibende und Ewige zu suchen.

Woher kommen, wohin gehen, wodurch leben wir? Wer hat Geist und Sinnesorgane ausgesandt? Man fragt nach dem Wesen, das die Macht hat, den Leib mit Bewußtsein zu erfüllen, aufzurichten, zu bewegen; man erörtert das Wesen des Wachens, des Traumes und des Tiefschlafes, erläutert die Physiologie des Todes und den Weg, auf dem die Wesen in die Welt zurückkehren; stellt die Frage nach dem letzten Urgrund aller Dinge und beantwortet sie in mannigfacher Weise: ›die einen sprechen von der Natur, die anderen in ihrem Irrtum von der Zeit; es ist aber die Macht Gottes, die in der Welt das Brahmarad bewegt‹, so lautet die Entscheidung der Shvetâshvatara-Upanishad. Den Kern aller Erörterungen bildet das Brahman, die Weltseele und das geheimnisvolle Verhältnis der Einzelseele zu ihr. Die Behandlung dieses Themas zeigt die Verschiedenheit der Ansichten und die Befähigung des indischen Geistes, dasselbe Problem in immer neuer Beleuchtung zu erfassen. Man erkennt, wie weit die Gedanken noch von dogmatischer Erstarrung entfernt sind und rastlos das Mysterium umspülen. Was ist das Brahman? Wer ist der geheime Lenker dieser und jener Welt mit allen ihren Wesen? Was ist die Einzelseele? Verschiedene Meister und verschiedene Zeiten versuchen ihr Rätsel zu entschleiern; bald sehen sie in ihr ein mehr körperliches, bald ein mehr geistiges Element; rein animistische Vorstellungen lösen sich mit transzendenter Betrachtungsweise ab2. Wie verläßt die Seele den Leib, um sich mit dem höchsten Brahman zu vereinen? Das steht in Übereinstimmung mit dem Bericht des Megasthenes bei Strabon, daß die Inder hauptsächlich vom Tode sprechen; sie glauben, daß das Leben hier nur gleichsam Vollendung der Empfängnis sei, der Tod aber Geburt zum wahren und glücklichen Leben für die Weisen.

Âtman und Brahman sind Wechselworte geworden, die in vielen Fällen füreinander eintreten, aber von Hause aus verschiedenen Ursprungs sind. Jenes bedeutet ›Atem‹, ›Seele‹ als Sitz alles Lebens; Brahman einen theologischen Begriff,[13] der aus dem Ritual und Zauberwesen stammt und eine zur höchsten schöpferischen Potenz gewordene mystische Kraft, ursprünglich die Zauberkraft des heiligen Wortes und Ritus, bezeichnet3. Dieser zauberische Ursprung verrät sich in der seltsamen Erzählung der Kena-Upanishad von dem durch das Brahman hingeworfenen Strohhalm, den das Feuer nicht zu verbrennen, der Wind nicht wegzuwehen, Indra nicht zu überwinden vermag. Oldenberg4 und L. von Schroeder5 haben den Weg geschildert, auf dem diese beiden heterogenen Begriffe, die den Urgrund und Mittelpunkt der Welt bedeuten, sich einander nähern, um miteinander zu verschmelzen und zur Bezeichnung für das große Eine zu werden, in dem alles lebt und webt, in dem alle Verschiedenheit aufhört und alle Gegensätze verschwinden.

Für Âtman tritt häufig mit vorwiegend appellativischer Bedeutung Prâna, ›Hauch‹, ein. Der Atharvaveda feiert den Prâna als Gottheit, als Herrn des Alls, und die Upanishaden, besonders die Brihad-Âranyaka, Chândogya- und Kaushîtaki schildern den Wettstreit zwischen ihm und den Sinnesorganen und seinen Sieg über diese, weil alle fehlen können außer ihm. Wie die Speichen in der Nabe, so ruht alles in ihm; er schließt alles in sich; er ist der beste der Opferpriester, identisch mit den Göttern, und hält alles in seiner Hand, was im höchsten Himmel wohnt. Aber doch nur vereinzelt wächst er über die physiologische Sphäre hinaus und, im Gegensatz zu dem weiter vorgeschrittenen und in die Kreise philosophischer Begriffe emporgehobenen Âtman, bleibt er vorwiegend im Kreise sinnlicher Kräfte6.

Es fehlt nicht an Stellen, die den Weg zur Gleichsetzung von Brahman und Âtman noch nicht als vollendet zeigen und beide Werte voneinander abgrenzen. Unbeachtet kann die Tatsache nicht bleiben, daß die Texte zwar oft von einer ›Brahmawelt‹, aber nie von einer ›Âtmawelt‹ sprechen und diese Brahmawelt als eine Wohnstätte schildern, zu der man gelangt. Man geht in die Brahmawelten ein und wohnt darin bis in die weitesten Fernen (Brihad-Âr. Up. 6, 1, 18); des Menschen Âtman geht in die Brahmastätte ein; Âtman selbst wohnt festgegründet in der himmlischen Brahmastadt[14] (Mundaka 3, 2, 4; 2, 2, 7); in der Brahmawelt verehren die Götter den Âtman (Chândogya 8, 12, 6); die Brahmawelt hat das Übel besiegt und leuchtet für immer (Chândogya 8, 4, 1. 2). Man kann manche andere Stelle hinzufügen, wie Mundaka 1, 1 (am Ende), die den Âtman den Ursprung von Brahman, Name, Gestalt usw. nennt, Shvetâshvatara 6, 10, wonach Gott das ewige Brahman gibt, oder 6, 18, wonach er Gott Brahman zuerst schafft.

Im wesentlichen sind es aber jene erstangeführten Werke, in denen die Brahmawelt wie ein Paradies oder wie das Paradies erscheint und eine persönliche Unsterblichkeit gemeint ist im Gegensatz zu anderen Stellen derselben Texte, die die Unpersönlichkeit des zukünftigen Seins vertreten7. In mehr als einem Falle ist ›die Erlangung der Unsterblichkeit‹ noch nicht im vedântistischen, sondern im Sinn eines persönlichen Weiterlebens zu verstehen; die Upanishaden sind nicht durchweg dazu gelangt, in der Vereinigung mit dem Âtman oder Brahman das höchste Ziel zu sehen, sondern geben noch älteren Auffassungen Raum. Bemerkenswert ist in dieser Beziehung der Anfang der Kaushîtaki-Upanishad, die die Seele in die Welt der Götter und schließlich in die Welt Brahmans führt, wo sie von Nymphen mit Kränzen empfangen wird und über Flüsse und Seen hin zu Brahmans aus liturgischen Elementen aufgebautem Thron gelangt. Brahman ist hier ein persönlich gedachter Gott. Es wäre nicht richtig, das für eine ganz späte Auffassung zu erklären. Die buddhistische Literatur ist zwar in bezug auf Gott Brahman noch nicht eingehend behandelt; es sei aber auf eine Stelle hingewiesen, die ihn nicht in der üblichen Weise als Diener Buddhas usw. darstellt, sondern von ihm als ›dem großen Brahman‹ spricht, ›dem unübertroffenen, dem Beobachter aller Dinge, dem Vater aller Wesen, die waren und sein werden‹, und ihn als den beschreibt, der die Frage nach dem letzten Geschick der vier Elemente beantworten kann. Brahman erscheint; vor ihm geht ein helles Licht her, das sein Kommen verkündet8.

Neben der Erörterung der Seele und ihrem Verhältnis zum Brahman oder ihrem Fortleben nach dem Tode nehmen die[15] Ordnungen der Sittenlehre nur einen untergeordneten Platz ein9. Die Texte besprechen zwar die Einwirkungen der Werke, des guten oder schlechten Wandels, aber doch mit einer kühlen Tonart, die, von aller Leidenschaft fern, gelassen auf die beiden Wege hinweist, die man, je nach der Beschaffenheit seiner Werke, dereinst gehen wird, sie drohen nicht, verwünschen nicht, beschwören nicht; nur vereinzelt streifen manche Lehrer, wie in der an Sektenstreitigkeiten erinnernden Maitrâyanî, die Ruhe des Geistes ab und finden den Ketzern gegenüber ein leidenschaftlicheres Wort. Es handelt sich für den Wahrheitssucher nicht um ›Gut‹ oder ›Böse‹, denn in bezug auf die letzten Ziele kommt keinem von beiden eine besondere Bedeutung zu, sondern nur um die Erkenntnis. Dem, der erkennt, haften weder gute noch schlechte Werke an; ›weder das Gute, das er vollbrachte, noch das Schlechte, das er unterließ, bedrängen ihn‹; das ist die ewige Größe des Brâhmana: ›nicht wächst sie durch Werke, nicht wird sie kleiner. Sie soll er erkunden. Wer sie erkannt hat, wird von schlechten Handlungen nicht befleckt‹10.

Ebenso haben manche Vorstellungen der späteren Zeit in den älteren Upanishaden keine ausschlaggebende Vertretung gefunden; dazu gehört die von der auf Illusion beruhenden Existenz der Welt. Die von Jacob gegebene Concordance zeigt, daß die »Mâyâ« weder in der Brihad-Âranyaka noch in der Chândogya-Upanishad, sondern erst in späteren Texten dieser Gattung in dieser Bedeutung vorkommt11.

Wie kann man das Brahman, den Âtman erkennen? Die Quellen beantworten die Frage in verschiedener Weise. Es gibt zwei Wissenschaften, heißt es in der Mundaka, die höhere und die niedere. ›Die niedere besteht aus Rigveda, Yajurveda, Sâmaveda, Atharvaveda, Phonetik, Ritual, Grammatik, Metrik, Kalender; die höhere ist die, durch die man das Unwandelbare erfaßt.‹ Diese höhere Wissenschaft aber ist nicht ohne weiteres zugänglich. Man soll, um sie zu gewinnen, zu einem Lehrer gehen, der gelehrt und im Brahman gefestigt ist. Nicht Opfer und gute Werke, nicht Gelehrsamkeit[16] vermögen zur Erkenntnis zu führen. Vielen gelingt es nicht, vom Selbst auch nur zu hören; viele, obschon sie davon hören, erkennen es nicht. Ein geschickter Erklärer ist ein Wunder, und einem Wunder gleicht ein fähiger Schüler. Innerer Frieden, Läuterung des Geistes werden als Voraussetzung zur Erkenntnis gefordert. Bisweilen wird hervorgehoben, daß die Belehrung allein nicht helfen kann, auch nicht der logische Beweis, sondern die Gnadenwahl. So äußert sich die Mundaka, ähnlich die Kâthaka und die Kena-Upanishad, welche der Meinung Ausdruck gibt, daß Kenntnisse nicht nötig seien, um das Brahman zu erkennen; dem Kundigen sei es unbekannt, dem Unkundigen sei es bekannt, und wem es durch Erweckung zuteil werde, der erlange Unsterblichkeit. Wir finden in der späten Brahmabindu-Upanishad die Äußerung, daß die Kraft zur Erkenntnis in jedem, wie Butter in der Milch, verborgen liege; der Verstand diene als Quirl, die Erkenntnis als der den Quirl treibende Strick. Oder man wendet das Bild der Feuermühle an: das untere Reibholz sei das eigene Ich, das obere die Silbe Om, der Reibstock sei die Erkenntnis. Eine Upanishad nennt das eigene Ich den Pfeil, den Omlaut den Bogen, das Brahman das Ziel. Die Silbe Om, ursprünglich eine Beteuerungspartikel und noch in der Brihad-Âranyaka-Upanishad in diesem Sinne verwendet12, entfaltet mystische Kraft und dient als Hilfsmittel zur Sammlung des Geistes oder als Gegenstand des Nachdenkens von der Chândogya-Upanishad an. Sie ist ein Teil der Yogapraxis, die in manchen unserer Texte, wie in der Shvetâshvatara, Maitrî und wohl auch in der Kaivalya, Anerkennung und Empfehlung findet.

Wir lesen an vielen Stellen von dem heiligen Schülerstand, dem sich der Wahrheitsucher zuwendet, um jahrelang darin zu verbleiben. Nicht nur Menschen, sondern auch Götter und Asuras gaben sich ihm hin, um das Selbst zu erkennen, das frei ist von allen Übeln der Erde, von Alter und Tod, Hunger und Durst. Ja die Götter wollen nicht, daß der Mensch die Erkenntnis gewinne, und verfolgen den mit Neid, der sie erstrebt13.[17]

Manche Erzählungen entfalten einen besonderen Reiz. Indra begibt sich als oberster der Götter, Virocana als oberster der Asuras zu Prajâpati, um von ihm Auskunft zu erlangen; er erteilt ihnen eine an sich ungenügende Antwort, aber nur um sie zu prüfen; sie ziehen erfreut von dannen. Während aber Virocana sich mit der einmal empfangenen Belehrung begnügt und den Asuras eine rein weltliche Aufklärung bringt, kehrt Indra immer aufs neue zurück, weil ihn genauere Erwägung von der Unzulänglichkeit des Gehörten überzeugt und er weitere Mitteilung erbitten will (Chândogya 8, 7-12).

Innerhalb des weiten Kreises der Heilsbeflissenen schlossen sich manche enger zusammen und suchten in derselben Schrift und derselben Tracht das Mittel zu ihrer Erlösung. Das lehrt der Name der Mundaka-Upanishad, die sich an die wendet, die das »Kopfgelübde« halten und nur den Kahlgeschorenen ihr Studium gestattet.

Unsere Quellen sagen nicht, in welchen äußeren Formen sich der Aufenthalt beim Lehrer und die Belehrung selbst vollzog. Man kann aber erkennen, daß wie sonst die Pflege der heiligen Feuer, das Einsammeln von Almosen und ähnliche mit dem brahmanischen Schülerstand verflochtene Obliegenheiten auch zu den Pflichten des Brahmabeflissenen gehörten14. Das erste Kapitel der Taittirîya-Upanishad gewährt einen Einblick. Es ist ein Charakteristikum all dieser Studien, daß man das Dorf verläßt und sich in die Einsamkeit, womöglich die Waldeinsamkeit begibt, um den religiösen Betrachtungen nachzuhängen. Das Ritual hat nun an einer wenig beachteten Stelle das Stadium des Waldeinsiedlers zur Sprache gebracht, der nach Vollziehung des Menschen- und des Allopfers15 die Feuer durch Atemzüge in sich eingehen läßt, die Sonne verehrt und in den Wald geht, um nie mehr zurückzukehren; der Kommentar bezeichnet das als das Eintreten in einen anderen Âshrama oder Lebensstand; es ist die letzte Stufe, die der Mensch ersteigt, die Stufe des Samnyâsin. Das Ritual hat damit aber nur einen Spezialfall erwähnt. Die Sitte war allgemeiner: der weltflüchtige Büßer ist eine Lieblingserscheinung der indischen Poesie.[18] Durch die ganze Literatur geht die Verherrlichung dieses Typus der Frömmigkeit, und Indiens vornehmste Dichter haben nicht aufgehört, den Asketen in seiner Hingabe und Buße zu schildern16. Das Râmâyana erwähnt sie oft und kennt die Sonderlinge asketischer Frömmigkeit, die ungemahlenes Korn essen oder, wie der Ausdruck lautet, »ihre Zähne als Mörser brauchen«, die bis an den Hals im Wasser stehen oder auf der bloßen Erde liegen oder das Gelübde getan haben, »gar nicht zu liegen« u.a.m. Râma zeigt im 13. Gesange von Kâlidâsas Raghuvansha seiner Gemahlin die Stätte, wo einst der weise Shatakarni von fünf Nymphen versucht ward, er zeigt ihr den Asketen Sutîkshna, der inmitten von vier Feuern steht und sein Auge auf die Sonne gerichtet hält, die sengend über seinem Haupte scheint, er hat seinen linken Arm der Sonne entgegen gestreckt und hält den rechten unter Neigen seines Hauptes Râma entgegen. Wichtig ist für die allgemeine Bedeutung der Askese in Indien die Bemerkung des Megasthenes (bei Strabon), der von dem τη ὰσκήσει πλείστη χρησϑαι spricht und asketische Bräuche, wie wir sie kennen, anführt17. Der Büßerstand ist zu einer öffentlichen Einrichtung geworden, deren Umfang und Eigenschaften das Gesetz abzugrenzen unternimmt, indem es die Pflichten und Rechte der Büßer feststellt. Manu und andere beschreiben das Tun der weltflüchtigen Männer, die sich in die Einsamkeit des Waldes zurückziehen oder als wandernde Bettler leben; der König ist zum Schutz des Büßerstandes verpflichtet. Unter den im folgenden übersetzten Upanishads befindet sich am Schluß eine, die das Los des von allen Pflichten gelösten und aller Wünsche ledigen Sannyâsins verherrlicht, die Paramahansa-Upanishad. Im allgemeinen schenken die Upanishaden der strengeren Form der Askese keine besondere Aufmerksamkeit; wir haben zwar manche Vorschriften über die Haltung des Körpers und Wahl des Ortes, über die Yogatechnik; aber doch keine Hindeutungen auf die strengen Anforderungen der Askese, die wir aus anderen Quellen kennen. Dennoch wird Auguste Barth nicht recht haben, wenn er Œuvres I, 81 bemerkt: ›Ils prescrivent le renoncement et la contemplation;[19] mais les mortifications, les jeûnes prolongés, la nudité, toutes choses dès lors fort en honneur, sont en quelques sortes des pratiques serviles que leur théosophie dédaigne. Leur point de vue à l'égard de ces pratiques paraît être celui du bouddhisme, qui les condamne. Il n'est pas question davantage de ces pénitences insensées et cruelles que nous voyons glorifiées par exemple dans la poésie épique ... Et pourtant il est probable que ces aberrations avaient dès lors leurs adeptes.‹ In jedem Fall geht ›dédaigner‹ und ›condamner‹ zu weit; denn damit würden diese Texte vielmehr in das Gebiet des Buddhismus als des Brahmanismus fallen, dessen Anschauungen die Praktiken der Buße immer entsprochen haben. Das den Verfassern der Upanishaden sehr geläufige Wort tapas deckt alle Richtungen und selbst alle Auswüchse des Büßertums. Mir ist zweifelhaft, ob wir nicht in dem Manne mit Namen Raikva, der unter einem Karren sitzend seine Räude abkratzt und von Jânashruti Pautrâyana um Belehrung angegangen wird, einen der asketischen Sonderlinge vor uns haben; ebenso in dem Verfasser des unten als Kuriosität wiedergegebenen ›Hundegesanges‹, dessen Ursprung kaum woanders als in den Kreisen solcher Schwärmer gesucht werden kann, wie wir sie in brahmanischen und buddhistischen Schriften finden, die auch ›Hundeasketen‹ unter anderen Wunderlingen verzeichnen, d.h. solche, die nach Art der Hunde ihre Nahrung nehmen18. Wenn auch diese Deutung des ›Hundegesanges‹ zweifelhaft scheinen kann, so kenne ich doch keine bessere und glaube, daß es im Interesse eines objektiven Bildes von den Upanishaden liegt, solche Absonderlichkeiten nicht ganz zu übergehen.

An der Entwicklung der Upanishadlehren haben die Kshatriyas einen erheblichen Anteil genommen, wie Weber, Regnaud angedeutet haben und ausführlich Garbe nachgewiesen hat19. Wir dürfen nun aber nicht, wie wohl geschehen ist, die brahmanischen Kreise selbst von dieser Tätigkeit ausschließen und ihnen die unfruchtbare Opferwissenschaft im Gegensatz zu einer intellektuellen Richtung der Kriegerkaste zuweisen. Sehen wir sie doch in beständiger Erörterung solcher Fragen in den Upanishaden[20] selbst begriffen und nur zu den Fürsten gehen, um sich eine klarere Einsicht zu verschaffen. Sie haben nach alter Tradition bei den großen Opfersitzungen einen Tag den philosophischen Erörterungen vorbehalten, an dem man nur in Gedanken einen Becher für Prajâpati schöpft und alle den Becher betreffenden Handlungen vollzieht. Dabei ist der Redewettstreit von Wichtigkeit, der in einer ›Betrachtung über den eigenschaftlosen Prajâpati‹, d.h. nach dem Kommentar in einer Erörterung über das höchste, eigenschaftlose Brahman bestehen kann20, daher dieselben Themen behandelt haben wird wie die Upanishaden. Wir werden nicht zu der Annahme genötigt sein, daß diese Erörterungen dort ganz von den Kshatriyas geführt worden sind; ebensowenig wie ein Grund zu der Voraussetzung vorläge, daß die philosophischen Lieder des Rik außerhalb der brahmanischen Kreise oder nur innerhalb der Kshatriyas entstanden seien.

Die beiden Namen, welche bisher eine ganz ungefähre Datierung alter Upanishaden ermöglicht haben, sind Namen eines Kshatriya und eines Brahmanen: der eine ist Krishna, der in der Chândogya21 erwähnte Sohn der Devakî, der von dem Begründer der Bhâgavatreligion nicht getrennt werden kann und den atheistischen Religionsstiftern Mahâvîra und Buddha ›wahrscheinlich um Jahrhunderte‹22 voranging; der andere ist Yâjnavalkya, ein Freund und Günstling Janakas von Videha, der kurze Zeit vor Buddha lebte23.

Der Austausch philosophischer oder theosophischer Gedanken wird sich aber nicht auf die Angehörigen dieser beiden vornehmsten Stände beschränkt haben. Pflicht, Rang und Muße mag ihnen zwar mehr als den erwerbenden oder dienenden Kreisen Indiens Gelegenheit dazu gegeben und mehr Autorität beigelegt haben; aber letztere waren gewiß nicht ausgeschlossen. Man kann es daran erkennen, daß das Wort Shûdra in den Upanishaden selten vorkommt. Jacob verzeichnet nur sechs Fälle, die auf drei zusammenschmelzen, weil von den sechs immer je zwei zusammengehören, und nur in denen, welche die Maitrâyanî VII, 8 verzeichnet, läßt sich eine Abweisung der Shûdras erkennen, nicht in den anderen; die Maitrâyanî nimmt ja aber im Kreise der[21] Upanishaden eine besondere Stelle ein und verteidigt die Wissenschaft gegen die Ketzer, die an ihr teilnehmen wollen. Es wird daher anzunehmen sein, daß die Frage, ob Shûdra oder nicht, für die die Upanishaden bewegenden Gedanken von geringer oder gar keiner Bedeutung war, daß der freiere Geist, der den Buddhismus auszeichnet, sich schon in seinen Vorgängern ankündigt. Die Geschichte des Satyakâma Jâbâla, dem seine Mutter den Geschlechtsnamen nicht zu sagen weiß, weil sie als Dienerin sich viel in der Jugend umhergetrieben und ihn dabei empfangen habe24, steht zwar vereinzelt, ist aber bezeichnend.

Die Bewegung ging viel zu tief, um nicht weitere Kreise zur Anteilnahme an diesen Gedanken aufzurufen, die die philosophische Zukunft Indiens vorbereiteten und, fern vom Treiben der Märkte und Dörfer, neuen Ufern entgegenstrebten. Wer die Lösung der Rätsel des Lebens nicht findet, geht hin, andere zu fragen, und der Befragte begibt sich mit dem Wahrheitssucher zu einem kundigeren Meister. Im Beginn des Tevijjasutta begegnen wir zwei jungen Brahmanen, deren jeder den Weg zur Vereinigung mit dem Brahman gefunden zu haben glaubt, und weil sie nicht übereinkommen können, begeben sie sich auf den Weg zu Samana Gotama. So gehen in den Upanishads die Brahmasucher zu dem, den sie im Besitz der Erkenntnis wähnen. Frohen Angesichts kehrt man vom Lehrer heim. Wie Upaka Âjîvika Buddha kommen sieht, fragt er ihn: »Dein Aussehen, Freund, ist hell, deine Farbe rein und klar; in wessen Namen hast du der Welt entsagt? Oder wer ist dein Lehrer? Oder wessen Lehre bekennst du?«25 Ganz so lesen die Brahmasucher aus den frohen Mienen des anderen die Verkündigung des erworbenen Heils. ›Dein Antlitz strahlt, mein Lieber, wie das eines Brahmakundigen. Wer ist es, der dich unterwiesen hat?‹, so fragt der heimkehrende Lehrer Satyakâma den Schüler Upakoshala, der von den Feuern inzwischen die Belehrung empfangen hatte26. Es ist dieselbe Atmosphäre, dasselbe Interesse, ja dieselbe Form der Belehrung, die in den Upanishaden und in den Predigten Buddhas uns entgegentritt.[22]

Es ist gesagt worden, daß viele Erörterungen von einzelnen Dingen des Rituals ausgehen und zu einer höheren, geistigeren Deutung zu gelangen suchen. Der Fortschritt der Erkenntnis konnte ja wohl auch auf keinem anderen Wege sich vollziehen, als daß man von dem Boden der Lehrern und Hörern bekannten Tatsachen ausging. So hat es auch Buddha gehalten, der in der bekannten ›Feuerpredigt‹ an die tausend Eremiten von Uruvelâ, die dort das heilige Feuer unterhielten, an das flammende Feuer anknüpfte, und nicht nur in diesem, sondern in vielen anderen Fällen ist er von den Begriffen und Satzungen des brahmanischen Ritualwesens ausgegangen, »um sie vertiefend im Sinn innerlicherer Anschauungen umzudeuten«.27 Wieviel mehr müssen wir das gleiche von Zeiten erwarten, die Buddhas Auftreten vorausgingen und vorbereiteten, von Lehrern, die der Ritualwissenschaft näher als Buddha standen, von Brahmanen, denen diese mit ihren Mysterien ein Gegenstand gläubigen Vertrauens war. So knüpft der Anfang der ältesten von allen Upanishads, das Brihad-Âranyaka, an das Roßopfer an und mag bei einem dort gehaltenen Redewettstreit entstanden sein: ›die Morgenröte‹, so beginnt sie, ›ist das Haupt des opferreinen Rosses, die Sonne sein Auge, der Wind sein Hauch, der Rachen das Feuer Agni Vaishvânara, der Leib das Jahr, der Himmel sein Rücken, der Luftraum sein Bauch‹. Die den Sâmasängern zugehörige Chândogya beginnt ihre Erörterungen mit der als Gesangstext des Udgâtri verwendeten Silbe Om. Sie drücke, heißt es, Einwilligung aus; denn wenn man Om sage, willige man in etwas ein. Der, der mit dieser Erkenntnis diese Silbe als den Udgîtha verehre, würde Wünsche zu gewähren imstande sein. In der Maitrâyanî wird VI, 33 das Gârhapatyafeuer in Beziehung zur Welt gesetzt. Das Feuer mit seinen fünf Ziegeln sei das Jahr, seine Ziegel seien Frühling, Sommer, Regenzeit, Herbst, Winter. Es habe Kopf und Fittich, Rücken und Schwanz, dies Feuer sei die erste Schichtung des Prajâpati, des Kenners der Seele; mit seinen Strahlen hebe es den Opferer zum Luftraum, übergebe ihn dem Winde usw.

Das alles ist nicht verwunderlich; es zeigt den Weg, auf dem[23] das Denken in Indien sich entfaltete und über die Häupter der Ritualisten hinaus seine Schwingen zu erheben begann. Wir müssen zur Vervollständigung des Bildes hinzufügen, daß inmitten der Darlegungen sich mannigfache Äußerungen direkten Aberglaubens finden, Brihad-Âranyaka 6, 4 z.B. Liebeszauber, Kausîtaki 2, 3 Glückszauber usw.; alles verrät den Ursprung dieser Traktate aus einer von Ritual und abstruser Theologie stark beeinflußten Schicht.

Ebensowenig konnten sich die Asketen freimachen von den allgemeinen Auffassungen ihrer Zeit. Ihre Gedanken zeigen sich mit den Vorstellungen primitiver Zeiten verflochten und finden ihresgleichen in den Überlieferungen von Völkern, die noch im Banne des Animismus stehen. Ihre Äußerungen über das Traumleben, in dem die Seele umherzieht und Wonnen aller Art genießt, knüpfen an Vorstellungen an, die im Geistesleben niederer Völker ihre Stelle haben. Die Inder waren bemüht, solche Vorstellungen über den primitiven Ursprung zu erheben, im Tiefschlaf z.B. die Vereinigung von Einzelseele und Âtman sich vollziehen zu lassen; aber dennoch bleibt der animistische Ursprung unverhüllt. Wenn es Brihad-Âranyaka-Up. 4, 3, 14 heißt, daß die Seele, im Traume auf- und niedersteigend, viele Gestalten annehme, bald sich mit Frauen vergnüge, bald esse, bald sich vor Gefahr fürchte, so dürfen wir zum Vergleich auf die bei Tylor angeführten Grönländer hinweisen, die des Glaubens sind, daß die Seele nachts den Leib verlasse und auf die Jagd, zum Tanz und zum Besuch fahre28. In derselben Quelle lesen wir, daß nach Ansicht der Indianer Nordamerikas die Seele des Träumenden den Leib verlasse und nach Dingen, die ihr anziehend erscheinen, umherwandle. Wollte man dennoch an dem animistischen Ausgang dieser Ideen zweifeln, so würde es genügen, die Stelle Brihad-Âr. IV, 3, 15 (unten S. 78) heranzuziehen, nach der es verboten ist, einen Schlafenden zu wecken; denn derjenige sei schwer zu heilen, zu dem der Geist nicht zurückkehre. Das ist eine bei primitiven Völkern geläufige Anschauung29. Die Tagalen auf Luzon erklären, man dürfe einen Schlafenden nicht wecken, weil seine Seele abwesend sei30.[24]

Die Lehre von der Seele selbst enthält mancherlei Elemente, die den Vorstellungen der Naturvölker parallel gehen und von den Büßern aus den Gedanken kreisen ihrer Umwelt mit in die Waldeinsamkeit genommen wurden, um dort von ihnen vertieft und ausgebaut zu werden. Brihad-Âranyaka II, 1 spricht von dem Purusha, dem Mann = Seele, in Sonne, Mond, Blitz, Raum, Wind, Feuer, Wasser, Spiegel, Schatten, Traum, Atem usw., den man – ohne doch das Wesen des Brahman damit zu erkennen – als Brahman verehre. Ähnliche Gedanken kehren anderwärts wieder. »In merkwürdiger Übereinstimmung«, bemerkt Winternitz31, »finden wir bei den Naturvölkern den Atem, das Augenmännchen, das Spiegelbild, den Schatten und die Traumbilder als Vorstufen des Seelenglaubens.« Auf dasselbe Niveau führen die hier und dort eingefügten Kosmologien, die an die Schöpfungsvorstellungen der Naturvölker erinnern.

Es ist notwendig, das hier Gesagte auszusprechen, um den Upanishaden ihre historische Stellung anzuweisen und sie vor der auf Schopenhauers überragender Autorität beruhenden Überschätzung zu bewahren. Auch so betrachtet, verbleibt in ihnen des Schönen und Erhabenen genug; auch innerhalb des verengerten Rahmens sind sie bewundernswerte Schöpfungen des menschlichen Geistes, der, selbständig seine Wege suchend, sich von alter und zwingender Überlieferung befreit; oft poetisch in ihrem Empfinden, erhaben in ihren Zielen, zart und schlicht im Ausdruck. Aus den Dschungeln des Aberglaubens und Rituals erheben sich wie schlanke Palmen die Gedanken einer neuen Zeit und wiegen ihre Kronen in dem freien Äther einer den höchsten Fragen entgegenringenden Welt. Es sind die großen Probleme, die das menschliche Herz bewegen, es ist die Frage nach dem Woher und Wohin, die durch die Wälder Indiens rauscht und auf den Lippen der Tausende schwebt, die dort der erlösenden Antwort harren.

Die Überlieferung des Wortlautes läßt an Sicherheit zu wünschen übrig. Er hat sich, eifrig studiert und erörtert, von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt; aber durch das mehr andächtige als kritische Lesen Fehler aufgenommen,[25] die schon zu des gelehrten Shankara Zeit, im 9. Jahrhundert, als richtige Lesarten angesehen und mit Zuversicht erklärt worden sind. Wir bedürfen einer zuverlässigen Ausgabe; aber ohne Zuhilfenahme einer stark eingreifenden Konjekturalkritik wird sie schwerlich unseren Ansprüchen genügen, sie ist nur die Voraussetzung weiteren Eindringens. Wie ich mir diese Kritik denke, habe ich an einzelnen Fällen in kleineren Aufsätzen zu zeigen versucht32. Angesichts der mancherlei Verderbnisse bleibt für jetzt im Einzelfalle oft nur das Geständnis übrig, daß Grund zur Annahme einer Verderbnis vorliege.

Von größerer Bedeutung sind die vielen Zusätze, die den Text entstellen. Sie bilden die Ursache, daß er oft verschwommen und widerspruchsvoll erscheint und die dem indischen Geist eigene Klarheit und Schärfe vermissen läßt. Garbe hat, nach meiner Ansicht unwiderlegt, gezeigt, daß die in der Bhagavadgîtâ auftretenden, widerspruchsvollen Ansichten nicht als das Ergebnis einer ›Übergangsphilosophie‹, sondern als Überarbeitungen zu betrachten sind. Je eifriger solche Texte studiert werden, je größer ihr Ansehen, desto stärker die Neigung, sie mit Erweiterungen aus dem eigenen Schatz des Wissens zu versehen und, wenn möglich, der eigenen Richtung anzupassen. Dasselbe gilt für die Upanishads. Ihr fast jahrtausendealtes Studium wird zu Zusätzen von seiten sei es des Lehrers, sei es des Schülers geführt haben, die autoritative Bedeutung gewannen und als Bestandteil der Upanishad selbst in Manuskripte gelangten, die den Archetypus der unsrigen bilden.

Form und Stil der Traktate sind nach Möglichkeit beibehalten worden. Wer ihnen zum ersten Male gegenübertritt, empfindet die Fremdartigkeit der sich vor ihm aufbauenden Welt. Wie könnte es anders sein! Er tritt aus Arbeitszimmern und Lesezimmern unserer Bibliotheken, aus unserer reicheren und durch den Geist vieler Jahrhunderte befruchteten Welt in die stillen, anspruchslosen Büßerhaine mit ihren einfachen Hütten, ihren einfachen Menschen und ihrer einfachen Erkenntnis, die behutsam und leise ihr Licht entfaltete. Langsam, in unendlichen Wiederholungen gleitet der Gedanke dahin, um in sanft ansteigenden Stufen den[26] Hörer zu neuen Ausblicken zu führen. Die Reden und Belehrungen rauschen nicht in dem schönen Gewände rednerischer Kunst; sie wollen nicht erschüttern, erbauen oder glänzen, sondern bescheiden die Wahrheit in den Geist des Fragenden legen und sie darin haften lassen. Der Zuhörer geistsprühender Redner unserer Zeit geht aus Vorträgen heim, ohne viel mit sich zu tragen; die Schönheit der Form, der Aufwand rhetorischer und ethischer Kraft zieht die Aufmerksamkeit von dem Inhalt auf sich und bleibt als das Wesentliche übrig. Nichts von dem hier. Die, welche zu Pippalâda oder Yâjnavalkya oder zu anderen um ihrer Brahmakenntnis willen berühmten Meistern gingen, werden ihre Lehre, die sich in einer Form gab, die nur der Sache diente, nicht vergessen haben. Noch war der Stil zu ungelenk, um zum gewandten, leichten Verführer zu werden, noch war er zu schwer, um sich zum Herren aufzuwerfen. In langsamer Steigung windet sich die Straße ihrem Ziele zu. Die Unterweisung von Mund zu Mund, die Notwendigkeit, das Gesagte einzuprägen, ergab den Stil.

Der Übersetzer ist vor die Frage gestellt, ob er die umständliche Form der Darlegung beibehalten oder mit leichten Abstrichen modernem Geschmack näherbringen soll. Die Reden oder Erörterungen kürzen, hieße die Asketen modernisieren. Sint ut sunt aut – non sunt. So bin ich dem Original möglichst treu geblieben, um sie trotz der Einbuße, die es unter jeder Übersetzung erfährt, möglichst wie das Original wirken zu lassen. Auf metrische Form habe ich durchweg verzichtet. Ich glaube nicht, daß die bisherigen Versuche glücklich gewesen sind, und könnte sie selbst nicht verbessern.

Der Zeit der Upanishaden geht die der Brâhmanas voraus. Ihre umfangreichen Erörterungen sind nahezu ausschließlich rituellen Fragen gewidmet, sie entbehren aber nicht ganz der freieren Ausblicke und zeigen sich dem Wesen jener darin nahe verwandt. Einige Proben aus ihnen eröffnen darum dieses Buch.

1

Winternitz, Geschichte der indischen Literatur, Band I, S. 227, Leipzig 1908.

2

Siehe T.W. Rhys Davids, The theory of ›Soul‹ in the Upanishads. Journal of the Royal Asiatic Society London 1899, S. 71.

3

Siehe den Artikel Brahman in Hastings, Encyclopedia of Religion and Ethics vol. II. Neuerdings Oldenberg, GGN 1916, S. 715ff., der nicht ›Wort und Ritus‹, sondern die Vorstellung des heiligen Wortes zugrunde legt.

4

Buddha5, S. 33; Upanishaden S. 55.

5

Indische Literatur und Kultur S. 219.

6

So jetzt auch Oldenberg, Lehre der Upanishaden S. 52. Ausführlich über Prâna Arthur H. Ewing, The Hindu conceptions of the functions of breath JAOS 22, 2.

7

Über die Auffassung Shabarasvâmins siehe Jacobi, »Über die ältere Auffassung der Upanishadlehren« (Festschrift für Ernst Windisch, S. 153, Leipzig 1914).

8

Dîgha Nikâya XI, 6. 7 (Kevaddhasutta).

9

Winternitz, GIL I, 221.

10

Brihad-Âranyaka-Up. IV, 4, 28.

11

Ebenso urteilt Oldenberg, Lehre der Upanishaden S. 90, der zu der Frage ausführlicher Stellung nimmt und nachweist, daß der wirkliche Textbestand den illusorischen Charakter der Welt nicht bezeugt.

12

III, 9, 1; V, 2, 3. 4; VI, 1, 1. Im RV. in vi vo made zu einem Triller gebraucht.

13

Brih.-Âr.-Up. I, 4, 22.

14

In einem Sûtratexte besitzen wir eine Beschreibung der äußeren Formen, in denen Studium und Belehrung der Mahânâmnîtexte und der anschließenden Upanishad vor sich ging. Diese Formen scheinen pedantisch und umständlich, mögen auch der Allgemeingültigkeit entbehren, haben aber doch den indischen Anschauungen entsprochen. Âshv.-Shrauta-Sûtra 8, 14, 1: »einen Schüler, der das [im Vorhergehenden erklärte] weiß und nicht vergißt, lasse er mindestens ein Jahr das Gelübde vollziehen, frage ihn danach und sage dem tugendhaft erfundenen den nächstfolgenden Tag [den Tag des Mahâvrata] an. 2. Zuerst die Mahânâmnîverse. 3. In der zunehmenden Jahreshälfte, in einer hellen Monatshälfte, koche der Schüler außerhalb des Dorfes eine mit Sesamkörnern gemischte Speise und melde sie dem Lehrer. 4. Sobald er benachrichtigt ist, fragt er nach Verstößen gegen das Gelübde, und wenn solche aus geringfügiger Ursache oder versehentlich passiert sind, opfert er, vom Schüler berührt, mit den Sprüchen: ›ins Feuer eingegangen wandelt Agni dahin, der Sohn der Rishis, der Oberherr –‹. 5. Nach dem Opfer sagt er: ›iß die ganze Speise.‹ 6. Nach der Mahlzeit läßt er ihn seine Hände mit Wasser füllen und die Sonne verehren. – 7. Nachher schließe er seine Augen und verhalte sich schweigsam, die Zeit erwartend, wo er mit seinem Lehrer zusammenkommen wird. 8. Entweder eine Nacht hindurch wegen der Unterweisung im heiligen Text. 9. Oder während dreier Nächte (wenn er) durch andauerndes Studium (während vieler Tage lernen kann). 10. In Abwartung der Zeit umhüllt der Lehrer dreimal den Kopf des Schülers einschließlich des Mundes von links nach rechts mit einem frischen Gewande und sagt: ›verbleibt so diese Zeit (eine oder drei Nächte), ohne zu schlafen.‹ 11. Er verbringe diese Zeit ohne Schlaf. 12. Wenn die Lesung beginnen soll, bringe er (außerhalb des Dorfes) ein Feuer auf einen Platz im Norden, legt nördlich davon die drei Dinge Messer, Wasserkrug und Stein nieder und bindet im NW in Nichthörweite eine Färse an. 13. Hinter dem Feuer läßt sich der Lehrer auf einem Graslager mit dem Gesicht nach Norden nieder. 14. Der Schüler entfernt von sich alle Unreinheit, umwandelt das Feuer und den Lehrer von links nach rechts, umfängt in Verehrung seine Füße und setzt sich hinter dem Lehrer mit dem Gesicht nach Südwesten auf dasselbe Graslager. 15. Rücken an Rücken lehnend sage er für sich: ›die Mahânâmnîverse sage, o Herr, her‹. 16. Nachdem der Lehrer wiederum (in bezug auf Verstöße gegen das Gelübde) ihn gefragt hat, sage er dem tugendhaft erfundenen mit geschlossenen Augen dreimal die Verse samt den Ergänzungen her. 17. Immer nach dem Hersagen löse er die Binde und lasse ihn in die Sonne sehen –. Nach Abschluß des Mahânâmnîstudiums folgt in gleicher Weise (das Studium des Mahâvrata und der Upanishad), doch bleiben die Verrichtungen (von dem Kochen der Speise bis zum Wiederanblicken der Sonne) fort. 19. Das ist für die beiden Vratas (Mahâvrata und Upanishad) die Studienvorschrift.«

15

Hillebrandt, Ritualliteratur S. 153, 154.

16

Hillebrandt, Über indische Sâdhus ›Nord und Süd‹, Band 122, S. 298ff.

17

Strabon 713, 714.

18

Majjhimanikâyo 57: Acelo kukkuravatiko.

19

Beiträge zur indischen Kulturgeschichte S. 1ff.

20

Kâtyâyana 12, 4, 21: prajâpater agunâkhyânam, d.h. nirgunasya parasya brahmanaḥ – kathanam nirûpanam.

21

III, 17, 6.

22

R. Garbe, Indien und das Christentum, Tübingen 1914, S. 218.

23

K. Geldner, Religionswissenschaftliches Lesebuch, Tübingen 1908, S. 176; T.W. Rhys Davids, Buddhist India 1903, S. 26. – Berriedale Keith, Ait. Âranyaka, Oxford 1909, S. 45ff., ist geneigt, die Aitareya-Upanishad für die älteste zu halten, und zwar 600 oder 550 als die späteste Grenze anzusehen. Die spätere Zeit schuf immer weitere Traktate derart, so daß ihre Zahl 200 überstieg und wir sogar eine Allah-Up. zu verzeichnen haben. In der Anordnung der Texte bin ich Deussens Vorschlägen gefolgt. (Allgemeine Geschichte der Phil. I, 2, S. 23ff.) Zumeist besteht darüber Übereinstimmung, daß die ältere Schicht durch Brihad-Âranyaka imd Chândogya, vielleicht Katha, eine jüngere durch Shvetâshvatara, Maitrâyanîya gebildet wird (Garbe, Sânkhya2 28ff.; Oldenberg, Die Lehre der Up., S. 203. 341; GGN 1917, 221ff.) Die Unbekanntschaft oder Bekanntschaft mit dem Sânkhya und etwaige Beziehungen zur buddhistischen Lehre sind für diese Unterscheidung ein wesentlicher Faktor. Über die Metrik als Hilfsmittel handelt Oldenberg, GGN 1915, 490; über die Benützung der jüngeren Upanishaden durch das Mahâbhârata W. Hopkins, The great epic S. 27ff. Vom Standpunkt grammatischer Untersuchung sind die Arbeiten von Liebich (Pânini), Wecker und Fürst wichtig. Die von mir am Schluß gegebenen Upanishaden darf man als eine noch jüngere, dritte Schicht ansehen.

24

Chândogya IV, 4, 1.

25

Vinaya Pit. I, 6, 7.

26

Chândogya IV, 14, 2 (und vorher 9, 2).

27

Oldenberg, Buddha5 S. 199.

28

Tylor, Anfänge der Kultur I, 433 (nach Cranz). Siehe ferner J.G. Frazer, The golden bough II (Taboo and the perils of the soul), S. 36ff.: The soul absent in sleep may be prevented from returning.

29

Edward Clodd, Animism, London 1905, S. 34.

30

Tylor, I, S. 433.

31

Geschichte der indischen Literatur I, S. 217; Tylor, I, 422ff.; Fritz Schultze, Psychologie der Naturvölker, S. 247ff.; J.G. Frazer, The golden bough II, S. 92: »As some peoples believe a man's soul to be in his shadow, so other (or the same) peoples believe it to be in his reflection in water or in a mirror.«

32

ZDMG. 68, 579; 69, 104; 71, 313; 74.

Quelle:
Upanishaden. Altindische Weisheit aus Brâhmanas und Upanishaden. Düsseldorf/Köln 1958, S. 11-27.
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