8. Eine mythische Naturphilosophie.

[179] 1. Als der Mut heim geführt ein Weib aus dem Hause der Einbildung,

Wer waren die Verwandten, wer die Freier, der ältste Freier wer?


2. Betrachtung war zugleich und Tat dort in der großen Wasserflut;

Die Verwandten, die Freier sie, das Brachm der ältste Freier war.


3. Zugleich geboren wurden zehn Götter von Göttern hiebevor;

Wer augenscheinlich diese kennt, der mag reden das große Wort.


4. Anhauch und Abhauch, Aug' und Ohr, Unterhaltung, Behaltung auch,

Aushauch und Aufhauch, Red' und Sinn, diese brachten die Wahrnehmung.


5. Die Zeiten waren ungeborn, der Schöpfer und Brihaspati,

Indr' – Agni und die Ashwinen, wen ehrte man als Ältsten da?


6. Betrachtung war zugleich und Tat dort in der großen Wasserflut;

Betrachtung war von Tat geborn, die ehrte man als Ältsten da.


7. Wie die Erde, die vor diesem, wie ein ganz Weiser nur sie kennt;

Wer sie erkennet namentlich, der gelt' als Vorzeitkundiger.


8. Woher Indra, woher Soma, woher Agni geboren ist?

Woher der Bildner entstanden, woher der Schöpfer ist erzeugt?


[179] 9. Indra von Indra, Soma ward von Soma, Agni von Agni;

Der Bildner vom Bildner entstand, Schöpfer vom Schöpfer ward erzeugt.


10. Die da waren die Götter zehn, von den Göttern geboren erst,

Als den Söhnen die Welt sie gab'n, in welcher Welt da saßen sie?


11. Indem sie Haare, Knochen nun und Sennen brachten, Fleisch und Mark,

Machend den Leib auf Füßen stehn, in Welche Welt da gingen sie?


12. Woher die Haar', woher die Sennen, woher die Knochen brachten sie?

Die Glieder, die Gelenk' und Mark; wer hat woher das Fleisch gebracht?


13. Diese Götter, Verschmelzende genannt, die Massen brachten sie,

Gingen alles verschmelzend ein in den sterblichen Puruscha.


14. Die Schenkel, Füße, Knie', den Kopf, die beiden Hand' und das Gesicht,

Rückgrat, Schultern und Hüften auch, welcher Weise hat das gefügt?


15. Den Kopf, die Hände, das Gesicht, die Zunge, das Genick, den Hals,

All das umhüllend mit der Haut, fügte die große Fügerin.


16. Wie dieser Leib war angelegt, groß gefügt von der Fügerin;

Wer hat, womit er jetzo glänzt, ihm die Farbe hinzugebracht?


17. Lehre gaben die Götter all, diese merkte das gute Weib,

Die des Gebotes Herrin ist, diese brachte die Farbe ihm.


18. Als der Bildner durchbohrt hatte, des Bildners obrer Vater, er,

Und das sterbliche Haus gemacht, gingen die Götter in den Mann.


19. Schlaf nun, Ermüdung, Untergang, Sünden genannte Gottheiten,

Alter, Lahmheit und Grauheit auch, gingen allmählich in den Leib.


20. Diebstahl, Vergehen, Übeltat, Opfer, Ehre, Gerechtigkeit,

Vermögen, Herrschaft und Gewalt gingen allmählich in den Leib.


21. Wohlstand nun auch und Übelstand, Spendungen und Nichtspendungen,

Hunger und Durste jeder Art gingen allmählich in den Leib.


22. Bescheltung, Unbescholtenheit, was man bewundert und was nicht,

Glaub', Opfergab' und Unglauben gingen allmählich in den Leib.


[180] 23. Wissenschaft und Unwissenschaft, und was irgend zu lehren ist,

Das Brachm ging in den Leib ein, Rik-, Sama-, Jadschur-Weda's auch.


24. Wonne, Lust und Belustigung, jede lustige Lustbarkeit,

Lachen, Vergnügungen und Tanz gingen allmählich in den Leib.


25. Ansprachen auch und Zusprachen, jedes Gesprächs Besprechungen

Gingen ein in den Leib alle, gesondert und geschaart, gepaart.


27. Alle Wünsche und Anwünsche, Zuwünsche und Abwünsche viel,

Gedanken und Einbildungen gingen allmählich in den Leib.


28. Die im Mund, die im Bauche sind, die treibenden, die stemmenden,

Heimlichen, hellen, massigen Wasser, die setzten sie zur Scheu;


29. Machend Knochen zum Brennholze, setzten sie diese Wasser acht;

Samen mach'nd zu Opferbutter, gingen die Götter in den Mann.


30. Was da Wasser, was Götter sind auch Wiradsch mit dem Brachm zugleich,

Und selbst das Brachm ging in den Leib, im Leibe wohnt der Zeugungherr.


31. Sonne zum Auge, Wind zum Hauch des Puruscha erteilten sie,

Doch seinen höhern Lebensgeist teilten Götter dem Agni zu.


32. Darum, wer kennt den Puruscha, der denkt, daß er das Brachman sei,

Denn alle Götter sind in ihm, als wie die Kuh' im Stall vereint.


33. Beim ersten Sterben gehet er auseinander, dreifach geteilt:

Dieses gehet mit einem Teil, jenes gehet mit einem Teil,

Und hier mit einem bleibet er.


34. In der Mitte von stemmenden, schwellenden Wassern ist der Leib,

In der Mitte von ihm die Leich', und drum wird Leiche so genannt.

Quelle:
Atharwaweda. Hannover 1923, S. 179-181.
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