Zwölfter Gesang.

[73] Arjuna sprach


Die so beständig andachtsvoll dich verehren, und die dem Kult

Des Unvergänglichen sich weih'n1 – wer ist der Andacht besser kund?


Der Erhabene sprach


Die ganz in mich versenkt nur mir andächtig stets Verehrung weihn,

Von höchstem Glauben ganz erfüllt, denen gebührt der Andacht Preis.

Doch die dem Unvergänglichen, Unsichtbaren Verehrung weihn,

Das üb'rall weilt, unvorstellbar, fest, unbeweglich, gipfelhoch;

Die, bänd'gend ihrer Sinne Schar, gleichgesinnt gegen jedermann,

An aller Wesen Heil sich freun, – auch die erlangen mich gewiß.

Mehr Mühsal aber haben sie, die sich dem Unsichtbaren weihn;

Von Körperwesen wird nur schwer das unsichtbare Ziel erreicht.

Die aber all ihr Tun auf mich hinwerfen, mir ergeben ganz,

In Andacht, die nur mir geweiht, mich verehren, in mich versenkt,

Denen werd' ich ein Retter sein aus dem Meere der Todeswelt,

In Kürze schon, o Prithâ-Sohn, wenn all ihr Denken mir gehört.

Drum richt' auf mich nur deinen Sinn und senk' in mich nur deinen Geist,

So wirst du wohnen auch in mir nach dieser Zeit unzweifelhaft.

Doch kannst dein Denken du in mich noch nicht versenken ganz und gar,

Dann suche zu erreichen mich durch Andacht, die du eifrig übst.

Bist du auch dazu noch zu schwach, dann weihe dich dem Tun für mich, –

Wenn meinethalb du Werke tust, wird auch Vollendung dir zuteil.

Wenn du auch das nicht leisten kannst, auf die Andacht zu mir gestützt,[74]

Verzicht' auf aller Taten Frucht, als einer, der sich selbst bezähmt.

Mehr ist Erkenntnis als Bemühn, Versenkung noch viel höher steht,

Noch höh'r Verzicht auf Tatenfrucht, – dann ist der Seelenfrieden da.

Wer keinem Wesen feindlich ist, freundlich gesinnt und mitleidsvoll,

Von Selbstsucht und von Dünkel frei, geduldig, gleich in Leid und Lust,

Zufrieden, immer andachtsvoll, sich zügelnd, dem Entschlusse treu,

Mit Sinn und Geist in mich versenkt, – wer so mich ehrt, der ist mir lieb.

Vor dem die Welt nicht zittern muß, der auch nicht zittert vor der Welt,

Wer frei von Freude, Unmut, Furcht und Aufregung, der ist mir lieb.

Unbekümmert, rein und tüchtig, unparteiisch und unverzagt,

Alle Pläne fahrenlassend, – wer so mich ehrt, der ist mir lieb.

Wer nicht frohlocket und nicht haßt, um nichts trauert und nichts begehrt,

Wer Wohl und Übel fahrenläßt und mich verehrt, der ist mir lieb.

Gleichmütig gegen Feind und Freund, gleichmütig gegen Ehr' und Schmach,

Kält' und Hitze, Glück und Unglück, befreit vom Hängen an der Welt;

Lob und Tadel gleich viel achtend, schweigsam, zu frieden immerdar,

Ohn' Haus und Heim, von festem Sinn, – solch ein Verehrer ist mir lieb.

Und die dem Nektar meines Worts, dem heiligen, Verehrung weihn,

Glaubensvoll, mir ganz ergeben, mich liebend – ja, die sind mir lieb!

1

D.h. die das neutrale Brahman, die unpersönlich gedachte göttliche Substanz verehren. – Die Frage zielt also dahin, ob Verehrung eines persönlichen Gottes oder des unpersönlichen Absoluten höher zu werten sei.

Quelle:
Bhagavadgita: Des Erhabenen Sang. Jena 1959, S. 73-75.
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