Wind und Odem als Symbole des Brahman.

[77] Chândogya-Upanishad 4,1–3.


1. Jânaçruti, der Enkelsohn [des Janaçruta], war ein gläubiger Spender, viel schenkend, viel kochend. Er liess allerwärts Herbergen bauen, damit sie von überall her bei ihm speiseten.

2. Da flogen einst Gänse in der Nacht vorüber. Da sprach die eine Gans zur andern: »He da! Blödäugige, Blödäugige [siehst du nicht?], dem Himmel gleich ist Jânaçruti 's, des Enkelsohnes, Glanz ausgebreitet; den rühre nicht an, daran verbrenne dich nicht.« –

3. Zu ihr sprach die andre: »Wer ist denn der, von dem du redest, als wäre er ein Raikva mit dem Ziehkarren?« –

4. »Wie [beim Würfelspiele] dem Kṛita-Wurfe [dem höchsten], wenn man mit ihm gesiegt hat, die niedern Würfe mit zugezählt werden, so kommt ihm [dem Raikva] alles heim, was immer die Geschöpfe Gutes tun; und wer weiss, was er weiss, von dem gilt das auch.«

5. Dem hatte Jânaçruti, der Enkelsohn, zugehört. Sobald er aufgestanden war, sprach er zu seinem Truchsess [der ihn pries, in der Art, wie später die Vaitâlika's zu tun pflegen]:[77] »Du redest ja [von mir], als wäre ich ein Raikva mit dem Ziehkarren.« – »Wie ist denn das mit Raikva mit dem Ziehkarren?«

6. »Wie dem Kṛita-Wurfe, wenn man mit ihm gesiegt hat, die niedern Würfe mit zugezählt werden, so kommt ihm alles heim, was immer die Geschöpfe Gutes tun; und wer weiss, was er weiss, von dem gilt das auch.«

7. Da ging der Truchsess aus, ihn zu suchen. – Er kam zurück und sprach: »Ich habe ihn nicht gefunden.« – Jener [Jânaçruti] sprach zu ihm: »Wo man einen Brâhmaṇa zu suchen hat, dorthin gehe nach ihm« [in die Einsamkeit, in den Wald, auf eine Sandbank im Flusse, in eine abgelegene Gegend, – wie der Scholiast erläutert].

8. Da sass einer unter seinem Karren und schabte sich den Aussatz. Zu dem setzte er sich nieder und sprach: »Bist du, Ehrwürdiger, Raikva mit dem Ziehkarren?« – »Freilich bin ich der«, antwortete er. – Der Truchsess kam zurück und sprach: »Ich habe ihn gefunden.«

2,1. Da nahm Jânaçruti, der Enkelsohn, sechshundert Kühe, eine güldene Halskette und einen Wagen mit Maultieren, ging zu ihm hin und sprach: 2. »Raikva, da sind sechshundert Kühe, da ist eine güldene Halskette, da ist ein Wagen mit Maultieren; belehre mich, Ehrwürdiger, über die Gottheit, die du verehrst.« –[78]

3. Ihm erwiderte der andre: »Oho! für ein Geschmeide mit Gefährt, du Çûdra! Behalte sie für dich, mitsamt den Kühen.«

Da nahm hinwiederum Jânaçruti, der Enkelsohn, tausend Kühe, eine güldene Halskette, einen Wagen mit Maultieren und seine Tochter, die nahm er, ging zu ihm hin 4. und sprach: »Raikva! da sind tausend Kühe, da ist eine güldene Halskette, da ist ein Wagen mit Maultieren, da ist ein Weib, und da ist das Dorf, in dem du sitzest; – belehre mich, Ehrwürdiger!«

5. Da richtete er ihr [schamhaft gesenktes] Angesicht in die Höhe und sprach: »Da schleppt er jene da [die Kühe] herbei! Çûdra, durch dieses Angesicht allein hättest du mich zum Sprechen gebracht.« – Das sind die Raikvaparṇa genannten [Dörfer] im Lande der Mahâvṛisha's, wo er ihm [auf seine Veranlassung] wohnte.

Und er sprach zu ihm:

3,1. Der Wind fürwahr ist der An-sich-Raffer. Denn wenn das Feuer verweht, so geht es ein in den Wind; und wenn die Sonne untergeht, so geht sie ein in den Wind; und wenn der Mond untergeht, so geht er ein in den Wind; 2. und wenn die Wasser austrocknen, so gehen sie ein in den Wind. Denn der Wind rafft sie alle an sich. – So in Bezug auf die Gottheit.[79]

3. Nun in Bezug auf das Selbst. – Der Odem fürwahr ist der An-sich-Raffer. Denn wenn einer schläft, so geht in den Odem ein die Rede, in den Odem das Auge, in den Odem das Ohr, in den Odem das Manas. Denn der Odem rafft sie alle an sich.

4. Diese beiden also sind die zwei An-sich-Raffer, der Wind unter den Göttern und der Odem unter den Lebenshauchen.

5. Nun geschah es einstmals, dass den Çaunaka Kâpeya und den Abhipratârin Kâkshaseni, als ihnen das Essen aufgetragen wurde, ein Brahmanschüler anbettelte. Sie aber gaben ihm nichts.

6. Da sprach er:


›Wer ist der eine Gott, des Weltalls Hüter,

Der vier Grossmächtige in sich herabschlang?

Ihn schauen nicht die Sterblichen, Kâpeya,

Obwohl er vielwärts wohnt, Abhipratârin!


Fürwahr, ihm, dessen Speise dieses ist, dem ist sie nicht gewährt worden!‹

7. Worauf Çaunaka Kâpeya, nachdem er nachgedacht, ihm entgegnete:


›Der Götter Odem, der Geschöpfe Zeuger,

Mit goldnen Zähnen, fressend, nicht unweise;

Mächtig, so sagen sie, ist seine Grösse,

Weil unverzehrt er zehrt was nicht verzehrbar.


So, o Brahmanschüler, verehren wir dieses [wovon du redest]. Gebt ihm zu essen.‹

8. Und sie gaben ihm.

Quelle:
Die Geheimlehre des Veda. Leipzig 1919, S. 77-80.
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