Die einzelnen Linien

[219] Anfangs eine Neun bedeutet:

Nicht zu Tür und Hof hinausgehen ist kein Makel.


Oft möchte man etwas unternehmen, sieht sich aber unübersteigbaren Schranken gegenüber. Da gilt es, die Einsicht zu haben, wo man innehalten muß. Wenn man das richtig versteht und nicht über die Schranken hinausgeht, die einem gesteckt sind, dann sammelt man eine Kraft, daß man imstande ist, energisch zu handeln, wenn die Zeit dazu gekommen ist. Verschwiegenheit ist bei Vorbereitung wichtiger Dinge von prinzipieller Wichtigkeit.

Kungtse sagt darüber: »Wo Unordnung entsteht, da sind die Worte die Stufe dazu. Wenn der Fürst nicht verschwiegen ist, so verliert er den Diener. Wenn der Diener nicht verschwiegen ist, so verliert er das Leben. Wenn Sachen im Keime nicht verschwiegen behandelt werden, so schadet das der Vollendung. Darum ist der Edle sorgfältig im Verschweigen und geht nicht hinaus.«


Neun auf zweitem Platz bedeutet:

Nicht zu Tor und Hof hinausgehen bringt Unheil.


Wenn die Zeit des Handelns gekommen ist, gilt es rasches Zugreifen. Wie das Wasser anfangs in einem See sich sammelt, ohne hinauszufließen, sich aber sicher einen Weg öffnet, wenn der See voll ist, so ist es auch im Menschenleben. Es ist ganz gut, zu zögern, solange die Zeit noch nicht gekommen ist, aber nicht länger. Wenn die Hindernisse beseitigt sind, so daß man handeln kann, ist das ängstliche Zögern ein Fehler, der sicher Unheil bringt, weil man die Gelegenheit versäumt hat.


Sechs auf drittem Platz bedeutet:

Wer keine Beschränkung kennt, wird zu klagen haben.

Kein Makel.


[219] Wenn man nur auf Freuden und Genuß bedacht ist, verliert man leicht das Gefühl für die notwendigen Schranken. Aber wenn man sich der Verschwendung hingibt, wird man die Folgen unter Bedauern zu erfahren haben. Man darf die Fehler nicht an andern suchen wollen. Nur wenn man seinen Fehler selbst einsieht, wird man durch solche unangenehmen Erlebnisse frei von Fehlern.


Sechs auf viertem Platz bedeutet:

Zufriedene Beschränkung. Gelingen.


Jede Beschränkung hat ihren Wert. Aber wenn diese Beschränkung noch dauernde Anstrengung erfordert, dann ist sie mit zu viel Kraftaufwand verbunden. Wo die Beschränkung aber etwas Natürliches ist, wie es z.B. in der Natur des Wassers liegt, nach unten zu fließen, da führt sie notwendig zu Erfolg, weil sie in diesem Fall eine Kraftersparnis bedeutet. Die Energie, die sonst im vergeblichen Kampf mit dem Objekt sich erschöpft, kommt restlos der Sache zugut, und der Erfolg kann nicht ausblei ben.


Û Neun auf fünftem Platz bedeutet:

Süße Beschränkung bringt Heil.

Hingehen bringt Achtung.


Die Beschränkung muß in der richtigen Weise durchgeführt werden, um zu wirken. Wenn man nur andern Schranken auferlegen und sich selbst ihnen entziehen will, werden diese Schranken immer bitter empfunden und erzeugen Widerstreben. Wenn dagegen jemand, der in leitender Stellung ist, selbst mit der Beschränkung beginnt, wenig Leistungen von seinen Leuten verlangt und mit bescheidenen Mitteln etwas zustande bringt, so kommt dadurch Heil. Wo ein solches Vorbild wirkt, da findet es Nachfolge, so daß geraten muß, was man unternimmt.


Oben eine Sechs bedeutet:

Bittere Beschränkung: Beharrlichkeit bringt Unheil.

Reue schwindet.


Wenn man zu streng ist in der Beschränkung, so halten es die Menschen nicht aus. Je konsequenter man in solcher Strenge ist, desto mehr ist es vom Übel; denn ein Rückschlag läßt sich auf die Dauer nicht vermeiden. So rächt sich auch der gequälte Körper, wenn man mit zu strenger Askese vorgehen will. Aber wenn diese rücksichtslose Strenge auch nicht etwas ist, das sich dauernd und[220] regelmäßig anwenden ließe, so kann es doch Zeiten geben, da sie das einzige Mittel ist, sich vor Verschuldung und Reue zu wahren. Es sind das die Situationen, da Rücksichtslosigkeit gegen die eigene Person das einzige Mittel ist, die Seele zu retten, die sonst in Halbheit und Versuchung unterginge.


Die einzelnen Linien
Quelle:
I Ging. Köln 141987, S. 219-221.
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