Die einzelnen Linien

[234] Anfangs eine Sechs bedeutet:

Er kommt mit dem Schwanz ins Wasser.

Beschämend.


In Zeiten der Unordnung ist es verlockend, sich möglichst rasch vorzudrängen, um etwas Sichtbares zu leisten. Aber diese Begeisterung führt zu nichts als Mißerfolg und Beschämung, solange die Zeit noch nicht gekommen ist, etwas zu wirken. In dieser Zeit ist es klug, wenn man sich durch Zurückhaltung den Schimpf des Mißlingens erspart. (Man beachte den Unterschied der Situation vom ersten Strich des vorigen Zeichens.)


Neun auf zweitem Platz bedeutet:

Er hemmt seine Räder.

Beharrlichkeit bringt Heil.


Auch hier ist die Zeit zum Handeln noch nicht gekommen. Aber die Geduld, die vonnöten ist, darf nicht ein träges Warten sein, das in den Tag hineinlebt. Das würde dauernd zu keinem Erfolg führen. Sondern man muß in sich die Kraft ausbilden, die einen befähigt voranzukommen. Man muß gleichsam einen Wagen[234] haben, um den Übergang zu vollziehen. Aber man muß ihn noch hemmen. Geduld im höchsten Sinn ist gehemmte Kraft. Daher darf man nicht einschlafen und das Ziel aus dem Auge verlieren. Wenn man stark und beständig in seinem Entschluß bleibt, dann geht schließlich alles gut.


Sechs auf drittem Platz bedeutet:

Vor der Vollendung bringt Angriff Unheil.

Fördernd ist es, das große Wasser zu durchqueren.


Die Zeit des Übergangs ist da. Aber man hat nicht die Kraft, den Übergang zu vollenden. Wollte man versuchen, ihn zu erzwingen, so wäre das unheilvoll, eben weil dann der Zusammenbruch unvermeidlich wäre. Was ist aber zu tun? Man muß eine neue Lage schaffen, man muß die Kräfte tüchtiger Gehilfen heranziehen und mit ihnen gemeinsam den entscheidenden Schritt tun – das große Wasser durchqueren. Dann wird die Vollendung möglich werden.


Neun auf viertem Platz bedeutet:

Beharrlichkeit bringt Heil. Reue schwindet.

Erschütterung, um das Teufelsland zu züchtigen.

Drei Jahre lang gibt es Belohnungen mit großen Reichen.


Nun ist die Zeit des Kampfes. Der Übergang muß vollzogen werden. Man muß sich in seinem Entschluß ganz stark machen; das bringt Heil. Alle Bedenken, die einem in solch ernsten Kampfzeiten aufsteigen können, müssen schweigen. Es gilt einen heißen Kampf, das Teufelsland, die Mächte des Zerfalls zu erschüttern und zu züchtigen. Aber der Kampf hat auch seinen Lohn. Jetzt ist die Zeit, Grundlagen der Macht und Herrschaft zu legen für die Zukunft.


Û Sechs auf fünftem Platz bedeutet:

Beharrlichkeit bringt Heil. Keine Reue.

Das Licht des Edlen ist wahrhaftig.

Heil!


Der Sieg ist errungen. Die Kraft der Beständigkeit ist nicht zuschanden geworden. Es ist alles gut gegangen. Alle Bedenken sind überwunden. Der Erfolg hat die Tat gerechtfertigt. Aufs neue strahlt das Licht einer edlen Persönlichkeit und setzt sich durch unter Menschen, die daran glauben und sich darum sammeln. Die neue Zeit und mit ihr das Heil ist da. Und wie die Sonne nach dem Regen doppelt schön erstrahlt oder der Wald[235] nach einem Brande aus den verkohlten Trümmern mit vermehrter Frische grünt, so hebt sich die neue Zeit vom Elend der alten um so glänzender ab.


Oben eine Neun bedeutet:

In wahrem Vertrauen trinkt man Wein.

Kein Makel. Wenn man aber sein Haupt naß macht,

so verliert man das in Wahrheit.


Vor der Vollendung an der Grenze der neuen Zeit ist man im vollen gegenseitigen Vertrauen mit den Seinen zusammen und verbringt die Zeit des Wartens beim Wein. Da die neue Zeit schon unmittelbar vor der Tür steht, ist das kein Makel. Nur muß man dabei auf das rechte Maß be dacht sein. Wenn man sich den Kopf im Übermut begießt, so verliert man die günstige Lage durch Unmäßigkeit.

Bemerkung: Wie das Zeichen »Nach der Vollendung« den allmählichen Übergang aus der Zeit des Aufstiegs über die Kulturhöhe zur Stockungszeit darstellt, so stellt das Zeichen »Vor der Vollendung« den Übergang aus dem Chaos zur Ordnung dar. Dieses Zeichen steht am Ende des Buchs der Wandlungen. Es weist darauf hin, daß in jedem Ende ein neuer Anfang liegt. So gibt es den Menschen Hoffnung. Das Buch der Wandlungen ist ein Buch der Zukunft.

Quelle:
I Ging. Köln 141987, S. 234-236.
Lizenz:

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