5. Die goldene Regel

[30] Der Meister sprach: Der Weg ist nicht ferne vom Menschen. Wenn die Menschen den Weg vom Menschen entfernen, so kann man das nicht den Weg nennen. In den Liedern heißt es (I Guo Fong XV, 5, 1):


»Beilstiel hacken, Beilstiel hacken,

ist das Muster doch nicht fern.«


Aber wenn man auch einen Beilstiel in der Hand hält, nach dem man den neuen Beilstiel zurechthacken kann, so muß man doch immer wieder nach ihm hinsehen und ihn betrachten; so ist es doch noch fern zu nennen.

Darum ordnet der Edle den Menschen durch den Menschen, er verändert ihn nicht, sondern bessert ihn nur.

Gewissenhaftigkeit und Mitgefühl [Bewußtsein des Zentrums und der Gleichartigkeit der andern mit dem Selbst] lassen dich nicht weit vom Weg abirren. Was du nicht liebst, wenn es dir selbst angetan wird, das tue du keinem andern Menschen an.

Zum Weg des Edlen gehören aber noch vier weitere Dinge, von denen ich auch nicht eines schon kann: So meinem Vater dienen, wie ich es von meinem Sohn erwarten würde, kann ich noch nicht. So meinem Fürsten dienen, wie ich es von meinem Beamten erwarten würde, kann ich noch nicht. So meinem älteren Bruder dienen, wie ich es von meinem jüngeren Bruder erwarten würde, kann ich noch nicht. So meinem Freund gegenüber zuerst handeln, wie ich es von ihm erwarte, kann ich noch nicht.

Aber wenn ich in der Übung der ganz gewöhnlichen Tugenden oder in der Achtung auf die ganz gewöhnlichen Reden[30] Gebrechen habe, so wage ich nicht, mich nicht anzustrengen. Wenn ich ein Übriges tue, so wage ich nicht, es zu betonen. Die Worte müssen auf die Taten blicken, die Taten müssen auf die Worte blicken.

Wie sollte der Edle nicht unbedingt aufrichtig sein!

Quelle:
Li Gi. Düsseldorf/Köln 1981, S. 30-31.
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