5. Kultur als Mittel

[176] Meister Kung sprach: Ich habe oft einen ganzen Tag lang nachgedacht. Es nützt nicht soviel wie ein Augenblick des Lernens. Ich habe oft auf den Zehen gestanden und ausgeschaut. Es nützt nicht soviel, als wenn man eine Höhe besteigt und einen weiten Überblick bekommt.

Wenn man eine Höhe besteigt und winkt, so braucht man keine längeren Arme, um weiter gesehen zu werden. Wenn man mit dem Winde ruft, so braucht man nicht die Stimme zu erheben, um weithin vernommen zu werden. Wenn man Pferd und Wagen benützt, so braucht man keine raschen Beine und kommt doch tausend Meilen weit. Wenn man Schiff und Ruder benützt, so braucht man nicht zu schwimmen und überwindet doch Ströme und Meere. Des Edlen Natur ist nicht verschieden von der andrer Menschen; aber er versteht es, sich der Werkzeuge zu bedienen.

Im Süden gibt es einen Vogel, der heißt Webervogel. Er macht sein Nest aus Federn und flicht es mit Haaren und befestigt es an Schilf und Rohr. Die Jungen sterben, und die Eier zerbrechen. Nicht daß das Nest nicht vollkommen war, ist schuld daran, sondern der Ort, wo er es befestigt hatte.

Im Westen wächst ein Baum, der heißt Pfeilschaftbaum. Sein Stengel ist vier Zoll lang. Er wächst auf hohen Bergen am Abhang eines Abgrunds von hundert Klaftern. Der[176] Stamm ist nicht länger, aber er sieht so hoch aus infolge des Ortes, wo er steht.

Wenn die Schafgarbe im Hanf wächst, braucht man sie nicht zu stützen, und sie wird von selbst gerade. Wenn man die Wurzel der wohlriechenden Orchidee und die Knolle einer übelriechenden Pflanze in derselben Brühe aufweichen läßt, so hält sich der Edle davon fern, und der gewöhnliche Mann wendet sich ab: nicht daß der Stoff nicht schön wäre, sondern wegen dessen, womit sie (die Wurzel der Orchidee) durchtränkt ist.

Quelle:
Li Gi. Düsseldorf/Köln 1981, S. 176-177.
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