Einleitung.

Die Hymnen des Rigveda, der ältesten Urkunde des gesammten indogermanischen Völkerstammes, sind uns in zehn Büchern überliefert. Unter ihnen zeichnen sich die Bücher vom zweiten bis zum achten vor den übrigen drei Büchern wesentlich dadurch aus, dass dort die einem und demselben Buche angehörigen Hymnen derselben Familie entsprossen sind und in ihr als ein Familienheiligthum aufbewahrt und fortgepflanzt oder weiter fortgebildet wurden. So werden die Lieder des zweiten bis sechsten Buchs nach der Reihe dem Gritsamada, Viçvamitra, Vamadeva, Atri, Bharadvadscha und ihren Nachkommen, oder Verwandten, die des siebenten Buchs dem Vasischtha selbst und nur wenige Verse desselben seinen Söhnen zugeschrieben. Und da sich die Verfasser häufig, wenigstens in den spätern Hymnen, selbst nennen, oder ihr Geschlecht bezeichnen, so muss diese Ueberlieferung im grossen und ganzen als eine zuverlässige angesehen werden. Im einzelnen allerdings sind die Angaben der Ueberlieferung, wie sie uns in der Anukramanika mitgetheilt werden, durchaus nicht zuverlässig, und beruhen vielfach auf Misverständniss; so z.B. wird im 15. Liede des fünften Buchs Dharuna als Verfasser genannt, indem in diesem Liede das Wort Dharuna mehrmals wiederkehrt, aber nicht als Dichternamen, sondern in der Bedeutung Stütze, ebenso Evajāmarut als Verfasser des 44. Liedes, weil dies Wort in dem Refrain jedes Verses vorkommt, aber hier unmöglich den Verfasser bezeichnen kann. Wenn in einigen Liedern Indra oder andere Götter, oder die Flüsse wie in dem schönen Gespräch zwischen Viçvamitra und den Strömen (3, 33) oder gar die Fische (8, 56) an der Stelle der Verfasser des ganzen Liedes oder einzelner Verse genannt werden, so kann natürlich niemand daran denken, dass man diese wirklich für die Dichter jener Lieder oder Verse gehalten habe, sondern es leuchtet ein, dass jene nur[1] als die diese Worte redenden aufgefasst werden sollen. Auch die Lieder des achten Buchs gehören vorherrschend einer Familie, nämlich der des Kanva an, obgleich dieser selbst in diesem Buche nirgends als Verfasser genannt wird; denn oft genug bezeichnen sich die Sänger selbst als diesem Geschlecht angehörig. Aber daneben tritt eine grosse Schar mythischer Sänger auf, die als Verfasser genannt werden, zum Theil blosse Personificationen dichterischer Stimmungen, und es geht daraus wenigstens das hervor, dass der Ueberlieferung hier der sichere Boden fehlte. Aber auch in anderer Beziehung scheidet sich das achte Buch von den sechs vorhergehenden, ab und bildet in seinem Charakter den Uebergang zu den übrigen drei Büchern (1, 2, 10.) Dies gilt namentlich auch für die Anordnung der Lieder. Diese ist in jenen sechs Büchern ganz nach demselben Princip durchgeführt, sodass wir annehmen müssen, es sei diese Sammlung der Bücher 2 bis 7 von Einem Manne, oder von Einer Schule ausgeführt. Nur selten ist diese Anordnung durch einzelne Schlussverse, oder durch ganze Lieder, welche dem Schlusse eines Abschnitts der Sammlung angefügt sind, unterbrochen. Diese Verse und Lieder sind dann auch (wenn die Lieder nicht in kleinere Lieder zu zerlegen sind) durch eine spätere Anschauungs- und Ausdrucksweise gekennzeichnet, sodass es unzweifelhaft wird, dass sie erst nach Vollendung jener Sammlung hinzugefügt wurden. Wir haben daher in dem Abschluss dieser Sammlung einen wichtigen Zeitpunkt, nach dem wir das Alter der Lieder sondern können. Freilich müssen alle Kriterien einer frühern oder spätern Abfassung zugleich mit erwogen werden. In jedem dieser Bücher (2 bis 7) macht die Sammlung der an Agni gerichteten Lieder, den Anfang, und darauf folgt die Sammlung der an Indra gerichteten, an diese letzte schliesst sich, wenn solche Lieder in dem Buche vorkommen, die Reihe der Lieder an den Gebetsherrn. Dann folgen in einer oder in mehrern Sammlungen die Lieder, welche an Götterscharen gerichtet sind, dann ebenso die, welche Götterpaare oder einzelne Götter, denen keine besondern Sammlungen gewidmet sind, besingen. In jeder dieser Sammlungen sind die Lieder einfach nach ihrer Verszahl geordnet, sodass die Lieder, welche die grösste Verszahl haben, beginnen, und die mit der geringsten Verszahl schliessen, und jedes Lied entweder ebenso viel oder weniger Verse enthält als das nächstvorhergehende, wie das ein Blick auf diese Bücher unmittelbar vor Augen stellt. Vergleiche Delbrück's Anzeige der »Siebzig Lieder des Rigveda« in der Jenaer Literaturzeitung 1875, Nr. 49.[2]

Die Verse bestehen überall aus drei oder mehr Zeilen, am häufigsten aus drei oder vier solchen. Wo ein Vers nur eine oder zwei Zeilen zu enthalten scheint, ist der Text verdorben. Die Verszeile besteht aus acht, elf oder zwölf Silben, selten (z.B. in 550; 572, 1-11.) aus fünf Silben, die dann aber paarweise zu einer zehnsilbigen Zeile verbunden sind, noch seltener sind viersilbige Zeilen, die dann aber unter acht- oder zwölfsilbige gemischt sind (z.B. 213.) Wenige sehr späte Dichter scheinen sich auch mit Versen von mehr als zwölfsilbigen Zeilen versucht zu haben, aber ohne Glück; es finden sich prosaische Uebersetzungen solcher Verse im Anhange. Die elf- und zwölfsilbigen Zeilen haben ihren Einschnitt entweder nach der vierten oder fünften Silbe (ähnlich dem griechischen Trimeter jambicus), und diesen Einschnitt habe ich auch in der Uebersetzung beibehalten. Die letzten vier Silben sind fast überall streng gemessen, also in den acht- und zwölfsilbigen Zeilen jambisch U – U –, in den fünf- und elfsilbigen trochäisch – U – U; die übrigen Silben sind zwar nicht ganz willkürlich, namentlich sind die auf den Einschnitt folgenden Silben, von denen nur die erste willkürlich (anceps) ist, noch festen Regeln unterworfen; aber dennoch herrscht hier eine grössere Freiheit und Mannichfaltigkeit. In der deutschen Uebersetzung sind sie durchweg jambisch gebaut; nur dass die Silbe, die an den Einschnitt grenzt, willkürlich (lang oder kurz) behandelt ist. Nur in einigen und zwar alten und schönen Liedern hat die achtsilbige Zeile trochäischen Tonfall, und in der deutschen Uebersetzung sind diese Zeilen dann streng trochäisch behandelt.

Ferner sind häufig zwei oder drei Verse zu einer Strophe verbunden, was ich durch eine zwischen die Strophen gesetzte Lücke angedeutet habe. Schon in der schönen Uebersetzung von siebzig Liedern des Rigveda von Geldner, Kaegi, mit Beiträgen von Roth (von mir kurz mit GKR bezeichnet) ist auf diesen Strophenbau aufmerksam gemacht worden. Ich bemerke, dass dieser Strophenbau fast das ganze achte Buch beherrscht. Doch gibt es auch Lieder, die nur aus drei zu einer Strophe verbundenen Versen bestehen, und namentlich müssen mehrere Lieder in den Büchern 2 bis 7, welche dem Princip der Anordnung widersprechend auf Lieder von vier Versen folgen und deren mehr enthalten in einzelne Lieder von je drei Zeilen aufgelöst werden, was ich durch übergesetzte Buchstaben (A., B.,) sowie auch nöthigenfalls durch neue Ueberschriften angedeutet habe. Ich hoffe, dass auf diese Weise meine Uebersetzung auch zur Aufhellung der vedischen Metrik beitragen werde.

Quelle:
Rig-Veda. 2 Teile, Leipzig 1876, [Nachdruck 1990], Teil 1, S. 1-3.
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