I, 95. An Agni.

[96] Die zwei ungleichfarbigen in Vers 1 sind Nacht und Morgen, das Junge, was sie säugen, ist Agni, der in der Nacht goldgelb, am Tage weiss erscheint; die zehn Jungfrauen in V. 2 sind die zehn Finger, die den Agni durch Reiben der beiden Holzstücke erzeugen. Die Mütter in V. 4 u. 5 sind die Wolken, aus denen er, zugleich sie selbst zeugend, geboren wird. Die beiden Welten in V. 5 u. 6 liebkosen ihn, indem sie sich an die Flamme schmiegen, die von der Erde zum Himmel dringt. Die folgenden Verse 7-11 kehren wieder zur Erzeugung Agni's aus den Holzstücken zurück, denen er gleichsam neue Gewänder anlegt.


1. Zwei ungleichfarb'ge gehn zu schönem Ziele,

ihr Junges säugend, eine um die andre;

Selbstherrlich golden glänzt es bei der einen,

mit weisser Flamme strahlt es bei der andern.

2. Zehn Jungfraun, nie ermattend, zeugten diesen,

des Tvaschtar Spross, der weithin sich verbreitet;

Sie führen ihn, dess Schneide scharf ist, rings um,

ihn, der bei Menschen strahlt in eignem Glanze.

3. Drei Stätten preist man seiner Zeugung, eine

im Luftmeer, ein' im Himmel und im Wasser;

Gebietend in der Erdenräume Osten

hat er sogleich vertheilt die Jahreszeiten.

4. Wer von euch hat gesehn ihn, den verborgnen?

durch eigne Kraft erschuf der Sohn die Mütter;

Er geht hervor, der Spross der vielen thät'gen,

aus ihrem Schooss, selbstschaffend, gross und weise.

5. Der schöne wächst in ihnen sich enthüllend,

selbstherrlich aufrecht in dem Schooss der schrägen,

Vor dem gebornen bebt des Tvaschtar Weltpaar,

und schmeichelnd wenden beide sich zum Löwen.

6. Wie Fraun liebkosen ihn die beiden schönen,

wie Kühe brüllend nahn sie ihm in Eile;

Er war von je der kräft'ge Herr der Kräfte,

den sie mit Tränken rechts sich wendend salben.

7. Er streckt empor wie Savitar die Arme,

nach beiden Rändern dringt der hehre strebend,

Ein Lichtgewand holt er hervor aus allem,

und übergibt den Müttern neue Kleider.

8. Er schafft sich seine Lichtgestalt, die höchste,

in seinem Sitz mit Milch und Flut sich mischend;

Der weise schmückt mit Andacht aus den Boden,

so hat er sich vereinigt mit den Göttern.[97]

9. Dein weiter Umfang, er umfasst den Boden,

das Haus des Stieres, welches weithin leuchtet;

Entflammt mit aller eignen Pracht, o Agni,

behüte uns mit zuverläss'gen Hütern.

10. Im Trocknen schafft er Strom sich, Bahn und Woge,

mit hellen Wogen dringt er zu der Erde;

Er nimmt das Alte alles in den Leib auf,

und eilt hinein in immer neue Mütter.

11. O Agni, so durch unser Brennholz wachsend

erstrahle reich, o Flammender, zum Ruhme;

Das mög' uns Mitra, Varuna gewähren

und Aditi, das Meer, und Erd' und Himmel.

Quelle:
Rig-Veda. 2 Teile, Leipzig 1877, [Nachdruck 1990], Teil 2, S. 96-98.
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