König Wên, Stifter und Vorbild des Königshauses.1

[389] Der König Wên ist in der Höh';

O wie er hehr im Himmel prangt!

Ist Tschēu auch schon ein altes Land,

Es hat sein Amt erst jüngst erlangt.2

Und war nicht Tschēu schon hochberühmt?

Zum Amt vom HErrn war's nicht die Zeit?3

Der König Wên steigt auf und ab,

Ist links und rechts dem HErrn zur Seit'.4


Rastlos hat König Wên gewirkt,

Sein hoher Ruhm wird nie vergeh'n;

Was Tschêu an Gaben ward verlieh'n,

Es ist der Söhn' und Enkel Königs Wên

Der Söhn' und Enkel Königs Wên

In Stamm und Zweigen fort und fort;

Und wären Tschēu's Beamten alle

Nicht hochberühmt auch fort und fort?
[389]

Sie fort und fort nicht hochberühmt,

Im Rath so sorgsam und gewandt?

Die herrliche Beamtenmenge,

Erzeugt von diesem Königsland.

Des Königs Land, es kann erzeugen,

Die Tschēu als Baugerüste steh'n;

Und reich ist der Beamten Menge;

Da findet Ruh' der König Wên.5


Wie großgesinnt war König Wên, –

O glänzende Hingebung lebenslang! –

Wie ist so groß das Amt vom Himmel:

Es giebt ja Enkel noch von Schāng.6

Die Zahl der Enkel von den Schāng,

Steigt sie nicht hundert Tausend' an? –

Der Höchste HErr verlieh das Amt,

Da wurden Tschēu sie unterthan.


Sie wurden Unterthanen Tschēu's:

Das Amt vom Himmel kann ja enden;7

Und Jīn's Beamte eilten hin,8

Trankopfer im Palast zu spenden.9

Zum Spenden treten sie herbei,

Stets Kleid und Helm nach vor'ger Pflicht.10

Und ihr, des Königs treue Diener,

Gedächtet eures Ahnen nicht?
[390]

Gedächtet ihr nicht eures Ahnen?

Auf, seine Tugend denn erweist!

Wer stets verbunden bleibt dem Amte,

Sucht auch für sich das Glück zumeist.

So lange Jīn die Masse nicht verloren,

Blieb's mit dem Höchsten HErrn zusammt,

So soll man an den Jīn sich spiegeln;

Nichts Leichtes ist das hohe Amt.


Das Amt, ein Leichtes ist es nicht;11

Nicht such' dir selbst es zu entzieh'n!

Entfalte wahren Ruhmes Glanz,

Erwäge, was vom Himmel kam auf Jīn.

Des hohen Himmels Wirkungsweise

Ist ohn' Geruch und ohne Laut.

Wird König Wên dein Vorbild bleiben,

Wird dir von allem Land vertraut.

1

»König« wurde Wên genannt, nachdem sein Sohn Wù diese Würde erlangt hatte.

2

Míng, »das Amt«, hat zugleich den Begriff des Berufes, Auftrages, der Bestimmung.

3

Der HErr, der Höchste HErr = Gott.

4

Er ist dienender Gehülfe Gottes, eine Bezeichnung, die dem ganzen Ahnendienst einen höheren Hintergrund sichert.

5

Er braucht im Himmel sich nicht um das zu bemühen, was solche Beamte auf Erden von selbst ausführen.

6

Schāng war die vorige Dynastie deren letzter grausamer und ausschweifender König durch Wù gestürzt wurde.

7

Die himmlische Berufung ist »nicht unabänderlich«, pŭ tschhâng.

8

Die frühere Dynastie hieß auch Jīn, auch wol Jīn-Schāng.

9

In der neuen »Residenz« (kīng) der Tschēu.

10

Wörtlich: »Noch immer gekleidet mit fù und hiü«, einem Unterkleid und einer Kopfbedeckung, wie sie die vorige Dynastie vorgeschrieben.

11

Diese Strophe wendet sich an König Tschîng, Wên's Enkel. – Die Lieder dieses Zehents und die acht ersten des folgenden werden dem Tschēu-Fürsten zugeschrieben.

Quelle:
Schī-kīng. Heidelberg 1880, S. 389-391.
Lizenz:

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