Wider Sittenlosigkeit.1

[123] Nun sieh, die Maus hat Haut und Haar –

Und Menschen giebt's, des Anstands bar?

Wenn's Menschen giebt, des Anstands bar,

Warum nur sterben die nicht gar?


Nun sieh, die Maus hat ihre Zähn' –

Und Menschen giebt's, die Zucht verschmähn?

Wenn's Menschen giebt, die Zucht verschmähn,

Warum soll die der Tod nicht mäh'n?


Nun sieh, die Maus hat Mausgestalt –

Und Menschen giebt's, ohn' Sitt' und Halt?

Wenn's Menschen giebt, ohn' Sitt' und Halt,

Warum nicht sterben die alsbald?

1

Der Sinn des Liedes: Wie zu der Maus ihre Haut, Zähne und Gliedmaßen gehören, so gehören zu dem Menschen Anstand, Zucht und Sitte. Thut er sich dieser ab, so sollte er besser sterben, als der Welt ein Bild solches Selbstwiderspruchs zeigen.

Quelle:
Schī-kīng. Heidelberg 1880, S. 123-124.
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