Zweiter Khaṇḍa.

[69] Wie vorher als Symbol der alle Veden befassenden Silbe Om, so erscheint hier der Udgîtha als Symbol des Prâṇa (Lebenshauches, Lebensprinzips) im Menschen. Seine Superiorität über die andern Lebensorgane und alleinige Berechtigung, im Udgîtha verehrt zu werden, wird durch eine Legende dargetan, die sich auch Bṛih. Up. 1,3 findet. Aber während es sich dort darum handelt, welches unter den Lebensorganen befähigt ist, den Udgîtha zu singen, so behandelt unsre Stelle die Frage, welches der Lebensorgane berechtigt ist, im Udgîtha verehrt zu werden. Die ursprünglichere Fassung ist ohne Zweifel die in Bṛih. Up., was um so bemerkenswerter ist, als die Erzählung, da es sich um den Udgîtha handelt, im Kreise der Sâmavedatheologen entstanden zu sein scheint.2


1. Dazumal, als die Götter und Dämonen miteinander stritten, beide von Prajâpati abstammend, da griffen die Götter zum Udgîtha, denn mit ihm, so dachten sie, werden wir jene überwinden.

2. Aber sie verehrten den Udgîtha als den Hauch in der Nase; da schlugen ihn die Dämonen mit Übel. Darum riecht man mit ihm beides, das Wohlriechende und das Übelriechende: denn er ist mit Übel geschlagen.

3. Da verehrten sie den Udgîtha als die Rede; da schlugen sie die Dämonen mit Übel. Darum redet man mit ihr beides, das Wahre und Unwahre; denn sie ist mit Übel geschlagen.

4. Da verehrten sie den Udgîtha als das Auge; da schlugen es die Dämonen mit Übel. Darum sieht man mit ihm beides, Zusehendes und Nichtzusehendes; denn es ist mit Übel geschlagen.[69]

5. Da verehrten sie den Udgîtha als das Ohr; da schlugen es die Dämonen mit Übel. Darum hört man mit ihm beides, Zuhörendes und Nichtzuhörendes; denn es ist mit Übel geschlagen.

6. Da verehrten sie den Udgîtha als das Manas; da schlugen es die Dämonen mit Übel. Darum stellt man mit ihm vor beides, Vorzustellendes und Nichtvorzustellendes; denn es ist mit Übel geschlagen.

7. Da verehrten sie den Udgîtha als jenen Hauch (Lebensodem, prâṇa) im Munde; den trafen die Dämonen: da zerstoben sie, wie, wer auf einen Stein als Widerstand trifft, zerstiebt.

8. Ebenso geschieht es, dass, gleichwie, wer auf einen Stein als Widerstand trifft, zerstiebt, also auch der zerstiebt, welcher einem, der solches weiss, Böses anwünscht oder ihn anfeindet; denn er wird ihm zum Stein des Widerstandes.

9. Mit diesem (Prâṇa) unterscheidet man nicht Wohlriechendes und Übelriechendes, denn er hat das Übel von sich abgeschlagen. Mit diesem isst man und trinkt man und ernährt dadurch die andern Lebensorgane. Und indem der Prâṇa diese [die Nahrung für sich und die andern, âhâram, wie wir ergänzen müssen] am Ende nicht mehr findet, zieht er aus. Daher kommt es (iti), dass man beim Sterben den Mund aufreisst [als wollte der Prâṇa noch nach Nahrung schnappen].

10. Als diesen verehrte den Udgîtha Añgiras, ja man hält ihn selbst3 für den Añgiras, darum (tena) dass er der Glieder Saft (añgânâm rasaḥ) ist.

11. Als diesen verehrte den Udgîtha Bṛihaspati, ja man hält ihn selbst für Bṛihaspati, darum dass die Rede bṛihatî (die schwellende), und er ihr Herr (pati) ist.

12. Als diesen verehrte den Udgîtha Ayâsya, ja man hält ihn selbst für Ayâsya, darum dass er hervorgeht (ayate) aus dem Munde (âsyam).

13. Diesen erkannte Baka der Nachkomme des Dalbhya; nämlich der war der Udgâtar der Leute von Naimisha, und er pflegte ihnen ihre Wünsche zu ersingen.[70]

14. Wahrlich, der wird ein Ersinger der Wünsche, wer, dieses also wissend, den Udgîtha als die Silbe4 (Om) verehrt.

Soviel in bezug auf das Selbst.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 69-71.
Lizenz: