Einleitung.

[261] Die Kâṭha's bilden eine Schule des schwarzen Yajurveda und besitzen ein umfangreiches, zur Zeit noch nicht publiziertes, Brâhmaṇawerk, das Kâṭhakam, in fünf Grantha's, deren aus Mantra's und Brâhmaṇa's gemischter Inhalt im allgemeinen dem der Taittirîya-Samhitâ (oben S. 212) parallel läuft und nach Weber's Mitteilungen darüber (Berl. Handschr. I, 38. Ind. Stud. III, 451 fg. Literaturgesch., 2. Aufl., S. 98 fg). der Hauptsache nach folgender ist:

I. 1-4. Mantra's zum Neu- und Vollmondsopfer und Agnishṭoma.

5. Mantra's für den Yajamâna.

6-15. Mantra's und Brâhmaṇa's gemischt; 6-9: Agnihotram, Agnyâdhânam, Punarâdheyam, Agnyupasthânam; – 10-13: Kâmyâ' ishṭayaḥ, Sautrâmaṇî, kâmyâḥ paçavaḥ; – 14-15: Vâjapeya und Râjasûya.

16-18. Mantra's zum Agnicayanam.

II. 19-22. Brâhmaṇa's zu 16-18.

23-30. Brâhmaṇa's zu 2-4 und 1.

III. 31-32. Brâhmaṇa's zu 1 (Fortsetzung) und 5.

33-37. Vorwiegend Brâhmaṇa's: sattra's, prâyaçcitti's, câturmâsyâni u.a.

IV. Die von dem Hotar zu singenden Verse aus I-III nochmals zusammengestellt.

V. Mantra's zum Açvamedha.

[261] Ausser diesem Hauptwerke sind noch acht kürzere Abschnitte vorhanden, welche sich auf fünf besondere Arten der Feuerschichtung (als Sâvitra, Nâciketa, Câturhotra, Vaiçvasṛija und Âruṇa Agni) und einiges andere beziehen. Diese acht Abschnitte, welche nach dem übereinstimmenden Zeugnis des Kâṇḍânukrama der Âtreyî Çâkhâ (Ind. Stud. III, 376) und des Sâyaṇa (zu Taitt. Âr. p. 2) ursprünglich den Kaṭha's angehören, finden sich bei diesen nicht mehr, haben aber Aufnahme gefunden in Taitt. Br. 3,10-12. Taitt. Âr. 1-2 (vgl. oben S. 213) und geben sich, wie Weber (Literaturgesch., 2. Aufl., S. 102) bemerkt, schon durch die äussere Form als anderswoher entlehnt zu erkennen.

Der zweite dieser acht Kâṭhaka-Abschnitte, Taitt. Br. 3,11, behandelt die Schichtung eines »Nâciketa« genannten Feuers, eine Zeremonie, welche dem, der sie vollbringt und dabei die Bedeutung dieses Feuers kennt (yo 'gnim nâciketam cinute, ya' u ca evam veda), die Erlangung der »unendlichen, uferlosen, unvergänglichen Welt«, welche jenseits der Sonne liegt, sichert. In Zusammenhang mit diesem Ritus wird Taitt. Br. 3,11,8 die Legende von dem Knaben Naciketas erzählt, welcher, von seinem Vater bei Gelegenheit eines Opfers verwünscht, in das Haus des Todes (mṛityor gṛihân) hinüberwandern (nicht sterben) muss und von dem Todesgotte die Gewährung dreier Wünsche erhält, als welche er 1) Rückkehr zu seinem Vater, 2) Nichtversiegung (na kshiti, Wortspiel mit nâciketa) der guten Werke (Nichtlässigwerden in denselben das ganze Leben durch), und 3) Nichtbesiegung (na jiti, Wortspiel mit nâciketa) durch den Wiedertod erwählt. (Eine unbestimmte Befürchtung, nach dem leiblichen Sterben, im Jenseits nochmals den Tod erleiden zu müssen, findet sich oftmals in den Brâhmaṇa's ausgesprochen). Als Mittel zur Erreichung des zweiten und auch des dritten Wunsches lehrt der Tod dem Jünglinge Naciketas die Schichtung des Nâciketa genannten Feuers.


Taittirîya-brâhmaṇam 3,11,8: »Willig gab einstmals Vâjaçravasa [bei einem Opfer] seine ganze Habe dahin. Ihm war ein Sohn mit Namen Naciketas. Den, obgleich er erst ein Knabe war, überkam, als die Opferlohnkühe [zur Verteilung an die Brahmanen] hergetrieben wurden, der Glaube [an die Wirksamkeit des Allhabeopfers], und er sprach [um dasselbe vollständig zu machen]: ›Mein Vater, wem wirst du mich geben?‹ so sprach er [in ihn dringend] zum zweitenmal und drittenmal. Ihm antwortete [von Zorn, über diese Unterschätzung seiner Opfergaben] ergriffen der Vater: ›Dem Tode gebe ich dich.‹ – Zu diesem, nachdem er [vom Opfer] aufgestanden, spricht eine Stimme: ›Gautama! Den Knaben!‹ – Da sprach er; ›Gehe hin zu den Wohnstätten des Todes, denn dem Tode habe ich dich gegeben. Er wird aber, wenn du zu ihm kommst, verreist sein‹, fuhr er fort, ›und dann sollst du drei Nächte, ohne zu essen, in seinem Hause weilen. Wenn er dich dann fragt: »Knabe, wie viele Nächte hast du geweilt?« so sollst du antworten: »drei«. Fragt er, was du die erste Nacht gegessen? so antworte ihm: »deine Nachkommenschaft«; was die zweite? »deine Herden«; was die dritte? »dein[262] gutes Werk«.‹ – Als er nun zu ihm kam, war der Tod verreist; er aber weilte drei Nächte, ohne zu essen, in seinem Hause. Da traf ihn der Tod an und fragte: ›Knabe, wie viele Nächte hast du geweilt?‹ – Er antwortete: ›Drei!‹ – ›Was hast du die erste Nacht gegessen?‹ – ›Deine Nachkommenschaft‹, sprach er. – ›Was die zweite?‹ – ›Deine Herden.‹ – ›Was die dritte?‹ – ›Dein gutes Werk.‹ – Da sprach der Tod: ›Verehrung sei dir, ehrwürdiger [Brahmane]! Wähle ein Geschenk!‹ – ›So lass mich lebend zum Vater wiederkommen!‹ – ›Wähle noch ein Geschenk!‹ – Er sprach: ›So lehre mich die Nichtversiegung der Opfer und frommen Werke!‹ Da lehrte er ihm jenes Feuer Nâciketa; dadurch kommen seine Opfer und frommen Werke nicht zum Versiegen (na âkshîyete). Dessen Opfer und fromme Werke versiegen nicht, der das Feuer Nâciketa schichtet und auch dessen, welcher es also [als Mittel der Nichtversiegung] weiss. – ›Wähle noch ein drittes Geschenk!‹ – Da sprach er: ›So lehre mich die Abwehr des Wiedersterbens!‹ – Da lehrte er ihm jenes Feuer Nâciketa; damit, fürwahr, wehrte er das Wiedersterben ab. Der wehrt das Wiedersterben ab, der das Feuer Nâciketa schichtet, und auch der, welcher es also [als Mittel des Nichtwiedersterbens] weiss.«

An diese Erzählung, wahrscheinlich schon ganz in der Form, in der sie uns vorliegt1, knüpft die Kâṭhaka-Upanishad an; und wenn sie die ersten Sätze der Erzählung wörtlich nach dem Brâhmaṇam wiederholt, so liegt hierin wohl ein absichtlicher Hinweis auf dasselbe und eine Aufforderung an den Leser oder Hörer, den weitern Gang der Erzählung, den die Upanishad nur in den flüchtigsten Umrissen andeutet, sich aus der als bekannt vorausgesetzten Brâhmaṇastelle zu vergegenwärtigen. Diese Anknüpfung an einen Text der Kaṭha's ist aber viel leicht auch[263] der einzige Rechtstitel, durch den die Kâṭhaka-Upanishad ihren Namen führt. Denn dass sie in der vorliegenden Form, ähnlich wie die alten Prosa-Upanishad's Aitareya, Kaushîtaki, Chândogya, Taittirîya, Bṛihadâraṇyaka, als eine Sammlung der Spekulationen einer alten Vedaschule über Gott und Seele, – dass sie als die ursprüngliche Upanishad derjenigen Çâkhâ, welche das Kâṭhakam hervorgebracht hat, angesehen werden könnte, daran ist jedenfalls nicht zu denken. Im Gegensatze zu den genannten fünf Upanishad's mit ihrem unbeholfenen Brâhmaṇastil und ihren allegorischen Ausdeutungen des Rituals, gehört die Kâṭhaka-Upanishad einem viel fortgeschritteneren Zeitalter an, einer Zeit, in der man anfing, das Gold der Upanishadgedanken in einzelnen metrischen Sinnsprüchen auszuprägen, und diese zu einem mehr oder weniger losen Zusammenhang aneinanderzureihen. Sammlungen solcher Sinnsprüche sind namentlich Kena 1-13, Îçâ, die eingelegten Verse Bṛih. 4,4,8-21, Muṇḍaka, Mahânârâyana 1.10.11. Çvetâçvatara, und so auch die Kâṭhaka-Upanishad, welche im ganzen und grossen mit jenen auf einer Stufe steht und demselben Zeitalter angehört; daher so vielfach dieselben Sprüche in den verschiedenen Sammlungen wiederkehren. In allen diesen Werken erscheint der Upanishadgedanke nicht mehr in suchender, tastender Form wie in den frühern Upanishad's, sondern von vornherein schon in vollständiger Reife, ja, schon Überreife; das häufige Predigen über den Âtman hat eine Phraseologie erzeugt, vermöge deren gewisse stehende Floskeln immer wiederkehren (vgl. z.B. Kâṭh. 4,3 und 5,4; 4,9 und 5,8; 5,9. 10 und 11; 5,12 und 13) und mitunter auch da verwendet werden, wo sie nicht am Platze sind, wie denn namentlich Kâṭh. 1 das Feuer Nâciketa mit Ausdrücken ge priesen wird, die nicht bei ihm, sondern nur bei der Âtmanlehre berechtigt sind.

Dem Inhalte nach zerfällt die Kâṭhaka-Upanishad in zwei wohlgeschiedene Teile, den ersten Adhyâya (Vallî 1-3), welcher die ursprüngliche Upanishad umfasst2, und den zweiten Adhyâya (Vallî 4-6), welcher ein derselben später aufgesetztes Stockwerk ist. Als Beweis für die Posteriorität von Vallî 4-6 wollen wir nur anführen, dass die Schilderung des Yoga 6,6-13 verglichen mit der 3,10-13, so sehr beide zusammenstimmen, doch bedeutend entwickelter erscheint, und dass die Lehre von der Nichtigkeit der vielheitlichen Welt im zweiten Adhyâya 4,10-11 mit einer Schärfe ausgesprochen wird, welcher der erste Adhyâya nichts Ähnliches an die Seite zu stellen hat; wie denn auch aus den Bildern 5,9-11 uns der Geist einer spätern, schon über schwierige Punkte der Vedântalehre reflektierenden Zeit anweht. (Vgl. auch Weber, Ind. Stud. II, 198 fg).

Der erste Adhyâya, wenn auch wohl schwerlich frei von spätern Einschiebungen, hält doch im ganzen einen wohlgeordneten Gang inne. Die erste Vallî enthält die einleitende Erzählung, die zweite behandelt den Âtman nach seinem ansichseienden Wesen (Metaphysik), die dritte[264] die Verkörperung desselben in der Leiblichkeit und die Rückkehr aus ihr auf dem Wege der Moralität und zuhöchst des Yoga (Psychologie, Ethik und Mystik).

Weniger geordnet, doch im allgemeinen dem ersten Teile analog gehalten, ist in seinem Gedankengange der zweite Adhyâya. Die vierte Vallî behandelt vorwiegend den Âtman als das Subjekt des Erkennens, die fünfte bis 6,5 betrachtet unter mancherlei Abschweifun gen die Erscheinung des Âtman in der Welt und speziell im Menschen, und zum Schlusse 6,6 fg. wird wieder der Yoga als der Weg zum höchsten Ziele gelehrt, woran sich 6,14-18 nachträgliche Betrachtungen schliessen. Besonders auffallend ist in diesem Adhyâya das zwölfmal hinter den Versen (4,3. 5. 6. 7. 8. 9. 12. 13. 5,1. 4. 8. 6,1) in Prosa angefügte, feierliche: etad vai tad. Dasselbe kann weder mit dem üblichen »Darüber ist dieser Vers« auf eine Stufe gestellt werden (Weber), noch auch bedeuten: »Dieses ist das, wonach du gefragt hast« (M. Müller), vielmehr liegt der Schlüssel in 5,14, woselbst das Bewusstsein »tad etad« als unbeschreibliche höchste Lust bezeichnet wird. Eine solche kann nur in dem Bewusstsein der Einheit der Seele mit Brahman bestehen, und somit werden wir auch die Formel etad vai tad zu interpretieren haben: »wahrlich, dieses (wovon vorher gesprochen) ist jenes (Brahman)«. (Vgl. auch Bṛih. 5,4). Wir haben also in etad vai tad ein Analogon und vielleicht eine Nachbildung des Chând. 6 neunmal wiederholten tat tvam asi, und es liegt nur in der Natur solcher feierlichen Versicherungsformeln, wenn sie, an beiden Stellen, mitunter auch da durchbrechen, wo sie weniger am Platze zu sein scheinen.

Von grossem Interesse für die Vorgeschichte des Sâ khya- und Yogasystems ist, wie in weiterm Sinne die ganze Upanishad, so namentlich die 3,10-13 und, im wesentlichen übereinstimmend, 6,7-11 entwickelte Stufenfolge des psychischen Organismus:

purushaḥ (= âtmâ)

avyaktam (= çânta' âtmâ)

mahân âtmâ

buddhiḥ (= jñâna' âtmâ = sattvam)

manas

arthâḥ und indriyâṇi;

beim Yoga wird das jedesmal niedere Vermögen in dem jedesmal höhern »gehemmt«, bis alle untern Vermögen im avyaktam (aus dem sie nach Sâ khya-Anschauung entsprungen sind) zur Ruhe kommen, und der Âtman von ihnen allen isoliert – wie der Halm aus dem Schilfe aus ihnen herausgezogen, 6,17 – und dadurch der Erlösung teilhaftig wird.

Der hierbei unbewusst sich durchziehende Widerspruch, dass der Âtman alles in allem ist und doch wiederum als Purusha in schärfstem Gegensatze gegen das Avyaktam und alles ihm Untergeordnete steht, ist der Keim des Widerspruches zwischen dem spätern Systeme des Vedânta und dem des Sâ khya-Yoga.

Fußnoten

1 Nach der ganzen Anlage der Erzählung muss in den drei Wünschen, und so auch in ihrer Gewährung, eine Steigerung erwartet werden, welche in dem Brâhmaṇatexte, auch bei möglichst entgegenkommender Interpretation, wie wir sie oben versucht haben, doch noch vermisst wird. Aus diesem Grunde haben wir (Gesch. d. Phil. I, 177) die Vermutung aufgestellt, dass die Erzählung schon ursprünglich eine philosophische Spitze gehabt habe, welche vom Brâhmaṇam abgebrochen und durch die nochmalige Einschiebung des Nâciketafeuers ersetzt worden sei. Freilich könnte man aus der Benennung dieses Feuers nach dem Namen des Jünglings schliessen, dass das Feuer Nâciketa die wichtigste Errungenschaft sein muss, die sich an den Namen des Naciketas knüpft. Es bleibt aber noch die Frage, ob überhaupt beide Benennungen ursprünglich miteinander zusammenhängen (von Naciketas sollte man doch die Ableitung nâciketasa erwarten), und ob es nicht der zufällige Gleichklang war, welcher zu einer Kontaminierung der dem Feuer als dem »nichtunglänzenden« (wenn man etwa nâsatya vergleichen darf) gewidmeten Schichtung mit der philosophischen Legende von »dem tumben (na-ciketas) Menschen« führte, welchem der Gott, und, sehr passend, gerade der Gott des Todes die höchsten Aufschlüsse über die Geheimnisse des Daseins erteilt. (Vgl. die Anm. zu 1,19).


2 Dass die Upanishad ursprünglich mit 3,16-17 abschloss, bedarf keines Beweises, sondern nur eines Hinblickes auf diese Stelle und hätte von M. Müller (Upanishad's II p. XXIII) nicht wieder bezweifelt werden sollen.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 261-265.
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