Erste Vallî.

[266] § 1-9, die einleitende Erzählung. Sie beginnt mit denselben Worten wie Taitt. Br. 3,11,8, als wollte sie damit auf jene Stelle verweisen, setzt sodann den weitern Gang der Handlung als von dorther bekannt voraus und beschränkt sich auf ein lyrisches Ausmalen der einzelnen Situationen.


1. Willig gab einstmals Vâjaçravasa [bei einem Opfer] seine ganze Habe dahin. Ihm war ein Sohn mit Namen Naciketas. 2. Den, obgleich er erst ein Knabe war, überkam, als die Opferlohnkühe [zur Verteilung an die Brahmanen] hergetrieben wurden der Glaube [an die Wirksamkeit des Allhabeopfers], und er bedachte:


3. »Wasser trinkend und Gras essend,

Ausgemolken und lendenlahm! –

Ach! diese Welten sind freudlos1,

In die er, solche spendend, geht.«


4. Und er sprach zu seinem Vater [sich selbst anbietend, um das Allhabeopfer vollständig zu machen]: »Mein Vater, wem wirst du mich geben?« – so sprach er, [in ihn dringend] zum zweitenmal und drittenmal. Ihm antwortete [von Zorn über diese Unterschätzung seiner Opfergaben ergriffen] der Vater: »Dem Tode gebe ich dich.«2
[266]

Naciketas spricht:


5. »Zwar bin ich besser als viele,

Doch viele sind an Wert mir gleich;

Was mag wohl Yama vorhaben,

Dass er jetzt schon nach mir begehrt?«3


6. Sieh auf die Früheren rückwärts,

Sieh vorwärts auf die Folgenden;

Zur Ernte reift der Mensch korngleich,

Korngleich ersteht er wieder neu.4


7. Ein Brahmane als Gast eintritt

Ins Haus gleichwie ein Feuerbrand;

Ihn zu löschen, bring her eilig

Das Fusswasser, Vaivasvata!5


8. Um Hoffnung, Aussicht, Freundes Verkehr und Zuspruch,

Um Opfer, fromme Werke, Kinder und Herden, –

Um alles dieses bringt den unverständigen Mann

Ein nicht von ihm bewirteter Brahmanengast.6


Yama:


9. »Weil du, Brahmane, der als Gast zu ehren,

Drei Nächte ungespeist bei mir geweilt hast, –

Verehrung dir! und Heil sei mir, Brahmane! –

Darum, entsprechend, wähle dir drei Wünsche!«


[267] Vers 10-11. Der erste Wunsch (irdisches Wohlergehen betreffend).


Naciketas:


10. »Beruhigten Gemüts und wohlgesinnt sei,

Verwichnen Grolles, Gautama, mir wieder;

Froh grüss' er mich, den du, o Tod, entlassen! –

Das wähle ich als ersten der drei Wünsche.«


Yama:


11. »Auddâlaki Âruṇi wird wie vordem

Froh werden, seines Worts von mir entbunden;

Verwichnen Grolles schlaf er sanft die Nächte,

Befreit dich sehend aus des Todes Rachen.«


Vers 12-19. Der zweite Wunsch, die vorübergehende (vgl. 2,10) himmlische Seligkeit betreffend. Dass dieselbe nur vorübergehend sei, wird bei ihrer enthusiastischen Schilderung im folgenden nicht streng festgehalten. Das Mittel zu ihr ist die Schichtung des Nâciketa-Feuers, welche hier den Opferkultus im allgemeinen zu repräsentieren scheint.


Naciketas:


12. »In der Welt des Himmels gibt es keine Furcht mehr,

Dort bist nicht du, nicht macht besorgt das Alter;

Beiden entrückt, dem Hunger und dem Durste,

Von Leid frei, freut man in der Himmelswelt sich.


13. Du kennst, o Tod, das Feuer, das den Himmel

Erwirbt; mir, der dir gläubig horcht, erklär' es!

Unsterblich sind, die dort im Himmel weilen, –

Das wähle ich mir als die zweite Gabe.«


Yama:


14. »Wohlan! ich will das Feuer, das den Himmel

Erwirbt, dir sagen, hör' es mit Verständnis; –

Das Feuer, das der ew'gen Welt Erlangung

Und Grund ist, wisse im Versteck (vgl. 4,8) verborgen.«


15. Da lehrt' er ihm das Feuer, das die Welt baut,

Die Backsteine, wie gross und wie zu schichten.

Er aber wiederholt' es nach der Reihe. –

Und wieder nahm der Tod das Wort voll Freude,


16. Und sprach zu ihm befriedigt, hohen Sinnes:

»Noch ein Geschenk sollst obendrein du haben:[268]

Nach deinem Namen nenne sich dies Feuer;

Dazu nimm dieses Spruchs verschlungne Kette7:


17. ›Drei-Nâciketa-Feuer-haft8, Drei-Bund-haft9,

Drei-Werk-haft10 streift man ab Geburt und Sterben;

Den Gott erkennend, der, was Brahman schuf, weiss11,

Und schichtend12 geht man ein zur Ruh für immer.‹


18. Drei-Nâciketa-Feuer-haft, Drei-kundig13, –

Wer so das Nâciketafeuer schichtet,

Stösst vor sich weg des Todesgottes Schlingen;

Von Leid frei freut er in der Himmelswelt sich.


19. Das ist das Himmelsfeuer, Naciketas,

Das du dir wähltest als der Gaben zweite.

Nach deinem Namen wird die Welt es nennen.14

Jetzt, Naciketas, sprich den dritten Wunsch aus.«


[269] Vers 20-29. Der dritte Wunsch, nicht sowohl (wie es nach der Fragestellung, Vers 20 scheinen kann) auf das Wissen von dem Fortleben nach dem Tode, – denn dieses wird ja schon in der vor hergehenden Frage als feststehend vorausgesetzt, – sondern vielmehr auf die Erkenntnis des Âtman als der wahren Wesenheit des Menschen und damit auf die ewige Erlösung gerichtet.


Naciketas:


20. »Ein Zweifel waltet, wenn der Mensch dahin ist:

›Er ist!‹ sagt dieser; ›er ist nicht!‹ sagt jener.

Das möchte ich, von dir belehrt, ergründen,

Das sei die dritte Gabe, die ich wähle!«


Yama:


21. »Auch von den Göttern ward hier einst gezweifelt;

Schwer zu erkennen, dunkel ist die Sache.

Wähl' einen andern Wunsch dir, Naciketas,

Bedränge mich nicht, diesen Wunsch erlass mir.«


Naciketas:


22. »Auch Götter also haben hier gezweifelt,

Und du sagst selbst, dass schwer, es zu erkennen.

Kein andrer kann es so wie du erklären,

Kein andrer Wunsch kommt diesem gleich an Werte.«


Yama:


23. »Wähl' hundertjährige Kinder dir und Enkel,

Viel Herden, Elefanten, Gold und Rosse,

Erwähle grossen Grundbesitz an Land dir,

Und lebe selbst soviel du willst der Herbste!


24. Wenn dies als Wunsch du schätzest gleich an Werte,

So wähle Reichtum dir und langes Leben,

Ein Grosser, Naciketas, sei auf Erden,

Ich mache zum Geniesser aller Lust dich.


25. Was schwer erlangbar ist an Lust hienieden,

Erbitte nach Belieben alle Lust dir, –

Schau hier auf Wagen holde Frau'n mit Harfen,

Wie solche nicht von Menschen zu erlangen,[270]

Ich schenke dir sie, dass sie dich bedienen,

Nur frag' nicht, Naciketas, nach dem Sterben!«


Naciketas:


26. »Was uns, o Tod, gegönnt an Kraft der Sinne,

Die Sorge für das Morgen macht es welken.

Auch ganz gelebt, ist doch nur kurz das Leben. –

Behalte deine Wagen, Tanz und Spiele.


27. Durch Reichtum ist der Mensch nicht froh zu machen!

Wen lockte Reichtum, der dir sah ins Auge?

Lass leben uns, so lang' es dir genehm ist!

Als Gabe aber wähle ich nur jene.


28. Wer, der geschmeckt hat, was nicht stirbt, nicht altert,

Hier unten steht und weiss sich altern, sterben,

Und wägt die Farbenpracht und Lust und Freuden, –

Wer mag an längerm Leben Freude haben!


29. Worüber jener Zweifel herrscht hienieden,

Was bei dem grossen Hingang wird, das sag' uns;

Der Wunsch, der forschend dringt in dies Geheimnis,

Den wählt, und keinen andern, Naciketas.«


Fußnoten

1 Zitat aus einem Spruche, der, mit Variationen, Bṛih. 4,4,11. Îçâ 3 erhalten ist.


2 So wie die Opferlohnkühe nicht etwa geschlachtet, sondern lebend an die Brahmanen verschenkt werden, ebenso handelt es sich hier nicht um eine Opferung (Tötung) oder ein Sterben des Sohnes, sondern derselbe wird (wie der Zusammenhang unsrer Stelle und auch die Parallelstelle, Taitt. Br. 3,11,8,2 parehi mṛityor gṛihân, beweist) lebend dem Gotte Yama zum Geschenk gemacht. – Wäre es anders, so würden alle mit Naciketas am selben Tage gestorbenen Brahmanen ebensogut wie er Anspruch auf ein Entgelt für das dreitägige Warten in der Unterwelt haben. – Freilich wird im folgenden zwischen diesem Lebend-Herabsteigen und dem wirklichen Sterben nicht immer ganz deutlich geschieden.


3 Diese Bemerkung setzt voraus, dass der Tod (wie Taitt. Br. 3,11,8,2: »Gautama! Kumâram!«) an die Erfüllung des Versprechens gemahnt hat.


4 Diese allgemeine Sentenz (deren Einschiebung sich leicht erklärt) redet von einem wirklichen Sterben und passt auch sonst wenig in den Zusammenhang, mag man nun annehmen, dass der Vater oder der Sohn sich selbst damit tröstet oder durch einen andern getröstet wird.


5 Beim Eintritte des Jünglings in Yama's (Vaivasvata's) Wohnung wird mit diesen Worten – von wem, ist nicht gesagt – der Todesgott aufgefordert, die Pflicht der Gastfreundschaft (vgl. Manu 3,99 fg). zu üben. Er ist aber abwesend und kehrt erst nach drei Tagen heim.


6 Reflexion des Erzählers, beruhend auf Taitt. Br. 3,11,8,3-4, aber hier wie dort wenig zur Situation passend. Denn was bedeuten Nachkommenschaft, Herden und gute Werke des Gottes Yama?


7 Das Wort sṛi kâ (überhaupt nur hier und noch 2,3 vorkommend) muss erraten werden. Die von uns angenommene Bedeutung sucht, in Anlehnung an die verwandten Wurzeln und Wörter sṛi, sṛi-ka, sṛi-j, sraj, den Punkt zu treffen, an dem die Linien der an beiden Stellen möglichen Bedeutungen sich schneiden. An unsrer Stelle scheint der nun folgende Sinnspruch mit seinen dreimal drei Bedingungen des Heils bildlich als eine kunstvoll aus neun Strähnen geflochtene (etwa als Talisman, wie die spätern Mâlâmantra's zu tragende) Halskette bezeichnet zu werden.


8 Wer dreimal das Feuer Nâciketa (Taitt. Br. 3,11) schichtet.


9 Wer den Bund mit Vater, Mutter und Lehrer eingeht.


10 Wer Opfer, Studium und Almosen vollbringt.


11 Dass brahmaja-jña ein verschleiertes jâta-vedas sei, war meine Meinung, lange bevor ich derselben Ansicht in M. Müller's Übersetzung begegnete. Vgl. auch oben S. 109 Anm.


12 Auch Taitt. Br. 3,11 ist immer wieder von diesen beiden Bedingungen, Schichtung und Erkenntnis des Nâciketafeuers, die Rede.


13 Da hier Yama den Inhalt des oben mitgeteilten Kettenspruches nochmals resümiert, so kann trayam etad wohl nur die in ihm enthaltene Dreiheit von je drei Bedingungen sein.


14 Warum trägt nur dieses Feuer und nicht vielmehr die nachfolgende, gleichfalls vom Todesgott offenbarte und viel höher stehende Wissenschaft den Namen des Naciketas (analog der Upakosala-vidyâ, Çâṇḍilya-vidyâ u.a).? – Hierauf gibt es nur zwei Antworten: entweder, die ursprüngliche Legende von Naciketas kannte nichts Höheres von ihm, als das Nâciketafeuer, – oder die ganze Voraussetzung der Frage trifft nicht zu, der nâciketa agni ist ursprünglich gar kein nâciketasa agni, kein nach Naciketas benanntes Feuer, und erst die Brâhmaṇa's haben den Nâciketa-Ritus mit der Naciketas-Sage, zufolge des Gleichklangs beider Namen, sekundär verknüpft. Ist ja doch auch nicht abzusehen, warum gerade der Todesgott als Offenbarer der Nâciketa-Zeremonie auftritt! Oder hat die ganze Nâciketa-Zeremonie ihren Grund in der Legende Ṛigv. 10,51? Vgl. dort Vers 3: tam tvâ Yamo aciket: citrabhâno! und Vers 4: etam artham na ciketa aham, Agniḥ.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 266-271.
Lizenz:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die geschwätzigen Kleinode oder die Verräter. (Les Bijoux indiscrets)

Die geschwätzigen Kleinode oder die Verräter. (Les Bijoux indiscrets)

Die frivole Erzählung schildert die skandalösen Bekenntnisse der Damen am Hofe des gelangweilten Sultans Mangogul, der sie mit seinem Zauberring zur unfreiwilligen Preisgabe ihrer Liebesabenteuer nötigt.

180 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon