Erstes Brâhmaṇam.

[500] 1.-3. Brâhmaṇam: Es mag Befremden erregen, in dem letzten Teile unsrer Upanishad, welcher nicht nur Khilakâṇḍam (Nachtragteil) heisst, sondern auch in allen Stücken des vorigen Adhyâya den Charakter einer Nachlese an sich trägt, hier, gegen Ende dieser Nachlese einem grossen und wichtigen Texte zu begegnen, der in ausgeführter Darstellung die eingehendste Belehrung über die Seelenwanderung enthält, welche im Veda zu finden ist. Nachdem wir aber diesem Texte bereits Chând. 5,1-10 (oben S. 133-144), und zwar auch dort schon in sekundärer Verbindung mit zwei andern Stücken, der Rührtrankzeremonie und dem Rangstreite der Organe, begegnet sind, so liegt die Vermutung nahe, dass dieser Text nur darum im Nachtragteile der Bṛihadâraṇyaka-Upanishad steht, weil er ursprünglich gar nicht zu ihr gehört und nur um seiner besondern Wichtigkeit willen anderswoher entlehnt und den Nachträgen zugefügt worden ist. Diese Vermutung würde in hohem Grade wahrscheinlich werden, wenn es gelingen sollte, zu beweisen, dass die ganze Seelenwanderungstheorie der Fünffeuerlehre zu den frühern Teilen unsrer Upanishad nicht nur keine Beziehung zeigt, sondern sogar mit den eschatologischen Anschauungen derselben in direktem Widerspruche steht.

Indem wir den vorliegenden Text und unsre eingehende Analysis desselben, oben S. 132-133 und 137-140, als bekannt und dem Leser gegenwärtig voraussetzen, wol len wir demselben in der Kürze gegenüberstellen, was die ersten fünf Adhyâya's unsrer Upanishad an eschatologischen Vorstellungen enthalten.

[500] 1) Eine Anzahl von Stellen geht über die traditionellen mythologischen Anschauungen nicht wesentlich hinaus; so wenn 3,3 der Weg beschrieben wird, welcher die Darbringer des Açvamedha zwischen den Schalen des Welteies hindurch auf die andre Seite des Himmels führt, oder wenn 5,3 dem »solches Wissenden« die Himmelswelt verheissen wird. Hiermit verwandt ist die Beschreibung des Weges 5,10, welcher durch Wind, Sonne, Mond zu der Welt ohne Kälte und Hitze zum Verweilen in derselben für ewige Jahre führt (vgl. auch 5,15). Diese Vorstellung kommt der Beschreibung des Devayâna in der Fünffeuerlehre nahe, ohne doch mit derselben zusammenzustimmen oder vereinbar zu sein. Auch die Vorstellungen 3,1, wo dem Yajamâna die Erlangung alles Lebenden, der Welt der Götter, Väter und Menschen, der unendlichen Welt verheissen wird, lassen sich noch diesen mythologischen Anschauungen anschliessen, stehen aber schon auf der Grenze derselben.

2) Im Gegensatze zu ihnen ist die oft ausgesprochene Grundlehre unsrer Upanishad, dass der, welcher sich als den Âtman weiss, mit dem Tode zur Seele des Weltalls, zum objektlosen und daher bewusstlosen Subjekte des Erkennens wird; 1,2,7: wer sich selbst als Prajâpati, als den Tod weiss, dem kann der Tod nichts anhaben; – 3,2,10: der Tod ist ein Feuer, aber es gibt ein Wasser, welches dieses Feuer auslöschen kann; – 3,2,12: nach dem Tode bleibt der Name (d.h. die Welt als Vorstellung, mithin das vorstellende Subjekt) übrig; – 4,2: die Seele des Erlösten wird zur Allseele; – 1,5,17: die Prâṇa's des Sterbenden gehen in seinen Sohn über, während in ihn selbst aus Erde, Himmel, Wasser die göttlichen Prâṇa's eingehen; – 2,4,12 und 4,5,13: nach dem Tode ist kein Bewusstsein; – 4,4,6: die Lebenshauche des Nichtverlangenden ziehen nicht aus, sondern er löst sich in Brahman auf; – ob 3,2,11 in gleichem Sinne interpretiert werden darf, mag dahingestellt bleiben.

3) Was wird nach dem Tode aus der Seele dessen, der das Wissen nicht besitzt? – Die Antwort auf diese Frage sehen wir in unsrer Upanishad schrittweise sich entwickeln. Während 1,5,16 noch ausdrücklich erklärt wird, dass »nur durch einen Sohn, durch kein andres Werk, die Menschenwelt erworben werde«, so tritt 3,2,13 als ein grosses Geheimnis die Lehre auf, dass nach dem Tode des Menschen sein karman (Werk) übrig bleibe; nach 3,9,28 ist Brahman die Wurzel, aus welcher nach dem Tode der Menschenbaum neu erwächst; und 4,4,2 fg. wird geschildert, wie Wissen, Werk und Erfahrung die Seele anfassen und zu einem neuen Lebenslaufe geleiten, und zwar, dem Zusammenhange nach, sofort und ohne vorherige Ablohnung im Jenseits (ein Beispiel der Wiedergeburt als Tier bietet 5,14,8). Die einzige Stelle der ersten fünf Adhyâya's, in der eine doppelte Vergeltung, im Jenseits und sodann durch ein neues Erdenleben, gelehrt zu werden scheint, ist der Vers Bṛih. 4,4,6; es ist aber noch die Frage, ob prâpya antam mit Ça kara als bhuktvâ phalam verstanden werden muss, oder (wie vorher 4,4,3 bei der Raupe tṛiṇasya antam gatvâ) nur bedeutet: »nachdem er hienieden (iha) sein Werk vollbracht (prâpya antam karmaṇas), so kommt er (nach seinem Tode) wieder zu dieser Welt[501] des Wirkens zurück«; – in keinem Falle aber kann dieser Vers für die Anschauung der Upanishad beweisend sein, da er zu den, wie wir oben S. 465 zeigten, erst später eingeschobenen Versen gehört.

Somit ergibt sich, dass, – von einzelnen Ansätzen, die aber nicht weiter benutzt werden (1,5,16: karmaṇâ pitṛiloko, vidyayâ devalokaḥ; – 5,10: vâyum, âdityam, candramasam, lokam açokam ahimam âgacchati), abgesehen, – die Lehre von Pitṛiyâna und Devayâna weder dem Zusammenhang der Gedanken unsrer Upanishad eingereiht, noch auch als Fortsetzung derselben betrachtet werden kann, und zwar letzteres nicht, weil Yâjñavalkya's Erlösungslehre (4,4,6: na tasya prâṇâ' utkrâmanti; brahma eva san, brahma apyeti) schon weit über die mythische Vorstellung des Devayâna hinausgeschritten ist, ja, vielleicht dieselbe geradezu bestreiten will.

Aus diesen Gründen schliessen wir, dass das ganze zusammenhängende Stück Bṛih. 6,1-3 (6,1,1-6 der Anfang der Rührtrankzeremonie; 6,1,7-14 der eingeschobene Rangstreit der Organe; 6,2,1-16 die weiter eingeschobene Fünffeuerlehre; 6,3,1-13 der Schluss der Rührtrankzeremonie), über dessen nähere Komposition wir zu Chând. 5,1-10 (oben S. 132 fg., 137 fg). ausführlich gehandelt haben, von einer fremden Schule entlehnt und, um seiner Wichtigkeit willen, der Bṛihadâraṇyaka-Upanishad nachträglich angehängt worden ist.


6,1,1-6: Rührtrankzeremonie (Anfang) = Chând. 5,1,1-5.

1. Fürwahr, wer da kennet den edelsten und besten, der wird zum edelsten und besten unter den Seinigen. Der Lebenshauch, wahrlich, ist der edelste und beste. Zum edelsten und besten unter den Seinigen und unter welchen er will, wird der, welcher solches weiss.

2. Fürwahr, wer da kennet die reichste, der wird zum reichsten unter den Seinigen. Die Rede, fürwahr, ist die reichste. Zum reichsten unter den Seinigen und unter welchen er will, wird der, welcher solches weiss.

3. Fürwahr, wer da kennet den Standort, der stehet fest auf Ebenem und Unebenem. Das Auge, wahrlich, ist der Standort, denn durch das Auge [durch den Gesichtssinn] stehet man fest auf Ebenem und Unebenem. Der stehet fest auf Ebenem und stehet fest auf Unebenem, wer solches weiss.

4. Fürwahr, wer da kennet die Erlangung, der erlanget jeden Wunsch, den er wünschet. Das Ohr, fürwahr, ist die Erlangung, denn zu dem Ohre gelangt sind alle diese Veden. Jeder Wunsch, den er wünschet, gedeihet dem, welcher solches weiss.[502]

5. Fürwahr, wer da kennet den Stützpunkt, der wird zum Stützpunkte der Seinigen und zum Stützpunkte der Leute. Das Manas, wahrlich, ist der Stützpunkt. Zum Stützpunkte der Seinigen und zum Stützpunkte der Leute wird der, welcher solches weiss.

6. Fürwahr, wer da kennet die Fortpflanzung (prajâti), der pflanzt sich fort an Nachkommenschaft und Vieh. Der Same, wahrlich, ist die Fortpflanzung. An Nachkommenschaft und Vieh pflanzt sich fort, wer solches weiss.


6,1,7-14: (Episode) Der Rangstreit der Organe = Chând. 5,1,6-2,2.

7. Eben diese Lebensorgane stritten einstmals um den Vorrang. Und sie gingen zu dem Bráhman (neutr). und sprachen zu ihm: »Wer ist unter uns der beste?« Und es antwortete: »Derjenige unter euch, nach dessen Auszuge sich dieser Leib am übelsten befindet, der ist unter euch der beste.«

8. Da zog die Rede aus, weilte ein Jahr lang in der Fremde, kam zurück und sprach: »Wie habt ihr ohne mich leben können?« – Und sie antworteten: »So wie die Stummen, welche nicht mit der Rede reden und doch mit dem Odem atmen, mit dem Auge sehen, mit dem Ohre hören, mit dem Manas erkennen, mit dem Samen sich fortpflanzen, also haben wir gelebt.« – Da fuhr die Rede wieder hinein.

9. Da zog das Auge aus, weilte ein Jahr lang in der Fremde, kam zurück und sprach: »Wie habt ihr ohne mich leben können?« – Und sie antworteten: »So wie die Blinden, welche nicht mit dem Auge sehen und doch mit dem Odem atmen, mit der Rede reden, mit dem Ohre hören, mit dem Manas erkennen, mit dem Samen sich fortpflanzen, also haben wir gelebt.« – Da fuhr das Auge wieder hinein.

10. Da zog das Ohr aus, weilte ein Jahr lang in der Fremde, kam zurück und sprach: »Wie habt ihr ohne mich leben können?« – Und sie antworteten: »So wie die Tauben, welche nicht mit dem Ohre hören und doch mit dem Odem atmen, mit der Rede reden, mit dem Auge sehen, mit dem Manas erkennen, mit dem Samen sich fortpflanzen, also haben wir gelebt.« – Da fuhr das Ohr wieder hinein.

11. Da zog das Manas aus, weilte ein Jahr lang in der[503] Fremde, kam zurück und sprach: »Wie habt ihr ohne mich leben können?« – Und sie antworteten: »So wie die Irren, welche nicht mit dem Manas erkennen und doch mit dem Odem atmen, mit der Rede reden, mit dem Auge sehen, mit dem Ohre hören, mit dem Samen sich fortpflanzen, also haben wir gelebt.« – Da fuhr das Manas wieder hinein.

12. Da zog der Same aus, weilte ein Jahr lang in der Fremde, kam zurück und sprach: »Wie habt ihr ohne mich leben können?« – Und sie antworteten: »So wie die Entmannten, welche nicht mit dem Samen sich fortpflanzen und doch mit dem Odem atmen, mit der Rede reden, mit dem Auge sehen, mit dem Ohre hören, mit dem Manas erkennen, also haben wir gelebt.« – Da fuhr der Same wieder hinein.

13. Da wollte der Odem ausziehen, aber gleichwie ein grosses, schönes Ross aus dem Induslande [wenn es sich losreisst] die Pflöcke der Fussfesseln mit herauszieht, also geschah es, dass er jene Lebenshauche mit herauszog; und sie sprachen: »Ziehe nicht aus, o Ehrwürdiger, wir können ohne dich nicht leben!« – »So bringt mir eure Huldigungsgabe dar«, sprach er. – »So sei es«, sprachen sie.

14. Da sprach die Rede: »Womit ich die reichste bin, damit bist du der reichste.« – Und das Auge sprach: »Womit ich der Standort bin, damit bist du der Standort.« – Und das Ohr sprach: »Womit ich die Erlangung bin, damit bist du die Erlangung.« – Und das Manas sprach: »Womit ich der Stützpunkt bin, damit bist du der Stützpunkt.« – Und der Same sprach: »Womit ich die Fortpflanzung bin, damit bist du die Fortpflanzung.« – Und er [der Prâṇa] sprach: »Dieweil ich ein solcher bin, welches ist meine Speise, welches meine Kleidung?« – Und sie sprachen: »Alles was hier vorhanden ist bis herab zu den Hunden, zu den Würmern, bis zu dem, was kreucht und fleugt, das ist deine Speise1, und das Wasser ist deine Kleidung.« – Wahrlich, von dem wird keine Unspeise gegessen, keine Unspeise zu sich genommen2,[504] wer also dieses als Speise des Lebenshauches (ana) kennt. Darum die Wissenden, Schriftkundigen, wenn sie essen wollen, so spülen sie den Mund aus, und wenn sie gegessen haben, so spülen sie den Mund aus; damit meinen sie, dass sie eben jenen Lebenshauch zu einem Nichtnackten machen.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 500-505.
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