Zweites Brâhmaṇam.

6,2,1-16: (Zweite Episode) Die Fünffeuerlehre = Chând. 5,3-10.

[505] 1. Es begab sich, dass Çvetaketu, Sohn des Âruṇi, zu einer Versammlung der Pañcâla's ging und vor den Pravâhana, Sohn des Jîbala [den König der Pañcâla's] trat, wie er Cercle hielt (paricârayamâṇam). Der, als er ihn erblickte, sprach zu ihm: »Nun, Knabe!« – Und er antwortete: »Mein Herr?« – »Bist du von deinem Vater belehrt worden?« – »Jawohl!« sprach er.

2. »Weisst du, wie diese Kreaturen, wenn sie dahinscheiden, nach verschiedenen Richtungen auseinandergehen?«

– »Nein«, so sprach er.

»Weisst du, wie sie wiederum zu dieser Welt gelangen?«

– »Nein«, so sprach er wieder.

»Weisst du, warum jene Welt, da doch also viele immer fort und fort hinübergehen, nicht voll wird?«

– »Nein«, so sprach er wieder.

»Weisst du, nach der wievielten Opferung die Wasser Menschenstimme annehmen, sich erheben und reden?«

– »Nein«, so sprach er wieder.

»Weisst du den Zutritt zum Götterwege oder Väterwege, und was zu tun ist, um entweder den Götterweg oder den Väterweg zu betreten? Und hast du wohl auch das Wort des Weisen nicht vernommen, der da spricht:


Zwei Wege, hört' ich, gibt es für die Menschen:

Den Weg der Väter und den Weg der Götter.

Auf diesen findet alles sich zusammen,

Was zwischen Vater sich und Mutter3 reget.«
[505]

– »Ich weiss von allem dem auch nicht eines«, so sprach er.

3. Und er lud ihn ein, zu bleiben. Aber der Knabe wollte nicht bleiben und lief von dannen. Und er kam zu seinem Vater und sprach zu ihm: »So also war es gemeint, wenn du schon vordem erklärt hast, dass meine Belehrung fertig sei!« – »Wie das, du mein Verständiger?« – »Nun, der Königsmann hat mir fünf Fragen gestellt, und ich weiss keine einzige davon!« – »Was waren das für Fragen?« – »Diese«, sprach er und wiederholte die Hauptpunkte.

4. Und jener sprach: »Dafür solltest du mich kennen, mein Lieber, dass ich alles, was ich selbst weiss, auch dir mitgeteilt habe. Aber komm, wir wollen hingehen und uns zu ihm in die Lehre begeben!« – »Gehe du lieber allein!« sprach er. – Da ging Gautama [Âruṇi] dorthin, wo Pravâhaṇa, Sohn des Jîbala, sein Wesen hatte. Der bot ihm einen Sitz an, liess das [Fuss-]Wasser bringen, bot ihm sodann die Gastspende und sprach: »Ehrwürdiger Gautama, ich bewillige dir einen Wunsch.«

5. Dieser versetzte: »Einen Wunsch zu tun, ist mir willkommen. Es soll aber die Sache sein, welche du in Gegenwart des Knaben zur Sprache gebracht hast, die mögest du mir auslegen.« –

6. Und jener sprach: »Fürwahr, das gehört zu den göttlichen Wünschen, o Gautama; du aber wünsche eines der menschlichen Dinge.« –

7. Und er antwortete: »Du weisst wohl, an Gold habe ich mein Teil, und ebenso an Kühen, Pferden und Sklavinnen, an Teppichen und Gewändern. Sei nicht kärglich zumessend gegen uns, o Herr, wo es sich um ein Grosses, Unendliches, Unermessliches handelt!« – »So mögest du denn, o Gautama, es in der üblichen Weise nachsuchen!« – »Ich nahe dir als Schüler, o Herr!« sprach er. Nämlich mit diesem Worte pflegten die Altvordern in die Lehre einzutreten. Und so wurde er durch dieses Bekenntnis der Schülerschaft sein Lehrling.

8. Und er sprach: »So wahr wie ich wünsche, dass du, gleichwie deine Vorfahren, uns wohlgesinnt bleibest, so wahr ist diese Wissenschaft bis auf diesen Tag noch nie von einem[506] Brahmanen besessen worden. Dir aber will ich sie mitteilen; denn wer könnte dich abweisen, wenn du also redest?« – Und er sprach:

9. »Fürwahr, jene Welt, o Gautama, ist ein Opferfeuer4; die Sonne ist sein Brennholz, die Strahlen sein Rauch, der Tag seine Flamme, die Pole seine Kohlen, die Zwischenpole seine Funken. In diesem Feuer opfern die Götter den Glauben. Aus dieser Opferspende entsteht der König Soma.

10. Fürwahr, Parjanya, o Gautama, ist ein Opferfeuer; das Jahr ist sein Brennholz, die Wolken sein Rauch, der Blitz seine Flamme, der Donnerkeil seine Kohlen, die Schlossen seine Funken. In diesem Feuer opfern die Götter den König Soma. Aus dieser Opferspende entsteht der Regen.

11. Fürwahr, diese Welt, o Gautama, ist ein Opferfeuer; die Erde ist sein Brennholz, das Feuer sein Rauch, die Nacht seine Flamme, der Mond seine Kohlen, die Sterne seine Funken. In diesem Feuer opfern die Götter den Regen. Aus dieser Opferspende entsteht die Nahrung.

12. Fürwahr, der Mann, o Gautama, ist ein Opferfeuer; der offene Mund ist sein Brennholz, der Odem sein Rauch, die Rede seine Flamme, das Auge seine Kohlen, das Ohr seine Funken. In diesem Feuer opfern die Götter die Nahrung. Aus dieser Opferspende entsteht der Same.

13. Fürwahr, das Weib, o Gautama, ist ein Opferfeuer; der Schoss ist sein Brennholz, die Haare sein Rauch, die Scham seine Flamme, die Einfügung seine Kohlen, das Lustgefühl die Funken. In diesem Feuer opfern die Götter den Samen. Aus dieser Opferspende entsteht der Mensch.

Derselbige lebet, solange es dauert. Sodann, nachdem er gestorben,

14. so trägt man ihn in das [Opfer-]Feuer [des Scheiterhaufens]; dessen Feuer ist eben das Feuer, sein Brennholz das Brennholz, seine Flamme die Flamme, seine Kohlen sind die Kohlen, seine Funken die Funken. In diesem Feuer opfern die Götter den Menschen; aus dieser Opferspende entsteht in lichtfarbiger Gestalt der Mensch.[507]

15. Die nun, welche solches also wissen, und jene dort, welche im Walde Glauben und Wahrheit üben5, die gehen ein in die Flamme [des Leichenfeuers], aus der Flamme in den Tag, aus dem Tage in die lichte Hälfte des Monats, aus der lichten Hälfte des Monats in das Halbjahr, in welchem die Sonne nordwärts gehet, aus dem Halbjahre in die Götterwelt, aus der Götterwelt in die Sonne, aus der Sonne in die Blitzregion; zu ihnen, wenn sie in die Blitzregion gelangt sind, gesellet sich ein Mann, ein intelligibeler6; der führet sie in die Brahmanwelten. Dort in den Brahmanwelten bewohnen sie die höchsten Fernen.7 Für solche ist keine Wiederkehr.

16. Hingegen diejenigen, welche durch Opfer, Almosen und Askese die [Himmels-]Welten erwerben8, die gehen ein in den Rauch [des Leichenfeuers], aus dem Rauche in die Nacht, aus der Nacht in die dunkle Hälfte des Monats, aus der dunkeln Hälfte des Monats in das Halbjahr, in welchem die Sonne südwärts gehet, aus dem Halbjahre in die Väterwelt, aus der Väterwelt in den Mond. Wenn sie in den Mond gelangt sind, werden sie Nahrung: daselbst, gleichwie man den König Soma mit den Worten: ›schwill an und schwinde‹ geniesst9, also werden sie von den Göttern genossen. Selbige, nachdem dieses verstrichen, so gehen sie ein hier in den Äther, aus dem Äther in den Wind, aus dem Winde in den Regen, aus dem Regen in die Erde. Nachdem sie in die Erde gelangt, so werden sie zu Nahrung und werden abermals in dem Mannfeuer geopfert und darauf in dem Weibfeuer gezeugt, und erstehen aufs neue zu den Welten. In dieser Weise laufen sie um im Kreise.

Aber die, welche diese beiden Pfade nicht kennen, die werden zu dem, was da kreucht und fleugt und was da beisset.«

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 505-508.
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