Viertes Brâhmaṇam.

[513] Bei der Wichtigkeit, welche nach indischer Religionsanschauung die Zeugung eines Sohnes, als Fortsetzers der Opferpflichten des Vaters, hat, ist es nicht weiter befremdlich, wenn der Lehrer seinem Schüler, beim Übergang ins bürgerliche Leben und zur Gründung einer Familie, zum Abschiede auch über diesen Punkt die nötigen Aufschlüsse gibt, an welchen, bei dem religiösen Ernste, von dem sie getragen werden, kein Anstoss zu nehmen ist.


1. Wahrlich, die Essenz dieser Geschöpfe ist die Erde, die der Erde das Wasser, die des Wassers die Pflanzen, die der Pflanzen die Blüten, die der Blüten die Früchte, die der Früchte der Mensch, die des Menschen der Same.

2. Einstmals erwog Prajâpati: »wohlan, ich will diesem eine Wohnstätte bereiten!« und er schuf das Weib. Nachdem er es erschaffen, verehrte er dasselbe nach unten zu. Darum soll man das Weib nach unten zu verehren [die Begattung als ein Akt religiöser Verehrung]. Und er streckte diesen vorgeneigten Somapressstein von sich aus; damit überkam er sie.[513]

3. Ihr Schoss ist das Opferbett, ihre Haare die Opferstreu, ihre Haut die Somapresse, ihre Schamteile das Feuer in der Mitte.11

So weit das Reich ist, welches der Veranstalter durch das Vâjapeya-Opfer erwirbt, so weit ist das Reich dessen, welcher, solches wissend, das Lustgeschäft ausübt; er neigt die guten Werke seiner Weiber zu sich herüber. Wer aber, ohne solches zu wissen, das Lustgeschäft ausübt, dessen gute Werke neigen die Weiber zu sich herüber.

4. Darum, fürwahr, sprach, solches wissend, Uddâlaka, der Sohn des Aruṇa, – darum, fürwahr, sprach, solches wissend, Nâka aus dem Stamme des Mudgala, – darum, fürwahr, sprach, solches wissend, Kumârahârita: »Viele Sterbliche, nur der Geburt nach Brahmanen und ohne [wahre] Zeugungskraft, scheiden, ohne Täter guter Werke zu sein, aus dieser Welt ab; diejenigen nämlich, welche, solches nicht wissend, das Lustgeschäft ausüben.«


Wenn einem, viel oder wenig, im Schlafe oder im Wachen der Same abgeht, 5. so soll er ihn anrühren oder auch [ohne dies zu tun] besprechen mit dem Verse:


»Der Same, der zur Erde heute mir entwich,

Der in die Kräuter oder in das Wasser rann,

Den nehme ich zurück zu mir;

Zurück soll kehren meine Kraft,

Zurück der Glanz, zurück das Glück.

Zurück, wie auf dem Herd das Feuer,

An ihrer Stätte sollen sie wieder sein!«


Mit diesen Worten soll er mit dem Ringfinger und dem Daumen davon nehmen und es sich zwischen die Brüste oder die Augenbrauen wischen.


6. Ferner: wenn einer sich selber im Wasser sieht, so soll er folgenden Spruch dazu sagen: »Mir werde Glanz und Kraft, Schönheit, Vermögen und gutes Werk!«[514]

Fürwahr, dann ist eine die Zierde unter den Weibern, wenn sie [nach der Menstruation] die befleckten Kleider abgelegt hat. Darum, wenn sie die befleckten Kleider abgelegt hat und voll Schönheit ist, so soll er sich an sie machen und sie dazu auffordern.

7. Will sie ihm den Willen nicht tun, so mag er ihre Gunst erkaufen. Wenn sie ihm dann den Willen noch nicht tut, so mag er sie, nachdem er sie mit einem Stock oder mit der Hand geschlagen hat, nicht beachten (atikrâmet; Ça k. liest: abhikrâmet sich über sie machen) und sprechen: »Mit Kraft und Glanz nehme ich dir den Glanz.« Dann wird sie glanzlos sein.

8. Tut sie ihm aber den Willen, so soll er sprechen: »Mit Kraft und Glanz gebe ich dir Glanz.« Dann werden sie beide glanzvoll sein.

9. Wenn er wünscht, dass sie ihn lieb gewinnen soll, so muss er, nachdem er die Sache in sie getan und Mund auf Mund gefügt hat, ihren Schoss streicheln und dazu murmeln:


»Der du aus jedem Glied entstehst

Und aus dem Herzen trittst hervor,

Du bist der Glieder Quintessenz!

Dem Wild gleich, das der Giftpfeil traf,

Mach rasend diese da auf mich.«


10. Wenn er wünscht, dass sie kein Kind bekommen soll, so muss er, nachdem er die Sache in sie getan und Mund auf Mund gefügt hat, erst einatmen, dann ausatmen und sprechen: »Durch meine Kraft, durch meinen Saft nehm' ich von dir hinweg den Saft«; so bleibt sie unbefruchtet.

11. Wenn er hingegen wünscht, dass sie ein Kind bekommen soll, so muss er, nachdem er die Sache in sie getan und Mund auf Mund gefügt hat, erst ausatmen, dann einatmen und sprechen: »Durch meine Kraft, durch meinen Saft leg' ich in dich hinein den Saft«; so wird sie schwanger werden.


12. Ferner: wenn sein Weib einen Buhlen hat, und er hasset denselbigen, so soll er in einem ungebrannten Gefässe[515] ein Feuer anlegen, eine Streu von Rohrhalmen in verkehrter Richtung ausbreiten und in selbigem Feuer die betreffenden12 Spitzen der Rohrhalme, nachdem er sie verkehrt13 mit Butter gesalbt hat, opfern und dazu sprechen:


»Weil du in meinem Feuer geopfert,

nehme ich Ausatmung und Einatmung von dir, du da! –

Weil du in meinem Feuer geopfert,

nehme ich Söhne und Vieh von dir, du da! –

Weil du in meinem Feuer geopfert,

nehme ich Opfer und gute Werke von dir, du da! –

Weil du in meinem Feuer geopfert,

nehme ich Hoffnung und Zuversicht von dir, du da!« –


Fürwahr, der scheidet ohne Kraft und ohne gute Werke aus dieser Welt ab, welchem, solches wissend, ein Brahmane flucht! Darum soll man mit der Gattin eines solches wissenden Schriftkundigen nicht zu schäkern suchen, denn sonst wird der solches Wissende einem zum Feinde.


13. Ferner: wenn jemandes Weib von dem Monatlichen überkommen wird, so soll sie drei Tage lang nicht aus Metall trinken14 und ihre Kleider nicht waschen.15 Kein Untermensch und keines Untermenschen Weib [aus der Çûdrakaste] darf mit ihr zusammentreffen. Nachdem die drei Nächte vorüber, soll sie sich baden, und man soll sie den [zur weitern Zeremonie erforderlichen] Reis ausdreschen lassen.[516]

14. Wünscht er nun, dass ihm ein weisser Sohn geboren werde, der einen der Veden studiere und zur vollen Lebensdauer gelange, so müssen beide Reis, mit Milch gekocht und mit Butter übergossen, essen, so werden sie vermögend sein, einen solchen zu zeugen.

15. Oder wünscht er, dass ihm ein bräunlicher Sohn und dunkelfarbig [an Augen] geboren werde, der zwei Veden studiere und zur vollen Lebensdauer gelange, so müssen beide Reis, mit saurer Milch gekocht und mit Butter übergossen, essen, so werden sie vermögend sein, einen solchen zu zeugen.

16. Oder wünscht er, dass ihm ein schwärzlicher Sohn und rotäugig geboren werde, der drei Veden studiere und zur vollen Lebensdauer gelange, so müssen beide Reis, mit Wasser gekocht und mit Butter übergossen, essen, so werden sie vermögend sein, einen solchen zu zeugen.

17. Oder wünscht er, dass ihm eine gelehrte Tochter geboren werde, die zur vollen Lebensdauer gelange, so müssen beide Reis, mit Sesam gekocht und mit Butter übergossen, essen, so werden sie vermögend sein, eine solche zu zeugen.

18. Oder wünscht er, dass ihm ein gelehrter und gefeierter Sohn geboren werde, ein Besucher der Ratsversammlungen und beliebter Redner, der alle Veden studiere und zur vollen Lebensdauer gelange, so müssen beide Reis, mit Fleisch gekocht und mit Butter übergossen, essen, so werden sie vermögend sein, einen solchen zu zeugen; – sei es Fleisch vom Stier oder vom Farren.

19. Ferner [was die nähere Ausführung betrifft]: wenn der Morgen herannaht, so richtet er wie bei einer [gewöhnlichen, aus Milch und Reis bestehenden] Topfspeise die zerlassene Butter zu und bringt von seiner Topfspeise jedesmal einen Löffel voll dar, indem er spricht: »Dem Agni Svâhâ! der Anumati [Göttin der Liebesgunst] Svâhâ! dem Gotte Savitar [Erreger], dessen Erregung die wahre ist, Svâhâ!« – Nachdem er mit diesen Worten geopfert, holt er [das übrige] heraus und isst und reicht, nachdem er gegessen, auch ihr davon dar. Nachdem er sich sodann die Hände gewaschen, füllt er ein Gefäss mit Wasser und besprengt sie damit dreimal, indem er spricht:
[517]

»Heb' dich hinweg, Viçvâvasu16,

Such' andre Mädchen dir für dich

Voll Üppigkeit; lass einen du

Die Gattin mit dem Gatten sich!«


20. Sodann macht er sich an sie und spricht17: »Ich bin ama (Er), und du bist (Sie); du bist sâ, und ich bin ama [vgl. Bṛih. 1,3,22]; ich bin das Sâman, und du bist die Ṛic [auf der das Sâman ruht, oben S. 74 fg.; Syst. d. Ved. S. 151]; ich bin der Himmel, und du bist die Erde:


So lass uns denn zum Werke schreiten,

Die Samen ineinander leiten,

Ein Kind, ein männliches bereiten!«


21. Dann tut er ihre Schenkel auseinander und spricht: »Tut euch auseinander, Himmel und Erde!« – Nachdem er sodann die Sache in sie getan und Mund auf Mund gefügt hat, so streichelt er sie dreimal dem Haarstriche nach [von oben nach unten] und spricht [Ṛigv. 10,184]:


»Vishṇu soll deinen Schoss erbauen,

Tvashṭar die Formen wohl behauen,

Prajâpati soll dich benetzen,

Dhâtar in dich den Fruchtkeim setzen!


Reich', Göttin mit den breiten Zöpfen,

Reich', Sinîvâlî, Frucht ihr dar!

Frucht soll dir der Açvinen schöpfen

Lotosbekränztes Götterpaar!


22. Gold ist das Holz, des sich bedienen

Zur Sonnenquirlung die Açvinen;

Das, fleh'n wir, lasse dir gelingen,

Im zehnten Monat Frucht zu bringen! –


Wie Feuerkeim die Erde hegt,

Das Himmelsweib den Blitzgott trägt,[518]

Und wie der Pole Frucht der Wind,

So lege ich in dich, – N.N.! – das Kind.«


23. Wenn sodann die Zeit kommt, wo sie gebären soll, so besprengt er sie mit Wasser und spricht [vgl. Ṛigv. 5,78,7-8]:


»Wie einen Lotosteich der Wind

Von allen Seiten sanft bewegt,

So mit der Hülle soll das Kind

Austreten, das sich in dir regt. –

Sie, welche Indra schuf aufs beste

Mit Tür und Schloss als schützend Haus,

Die Fruchthaut treibe samt dem Reste,

O Indra! mit dem Kinde aus!«


24. Nachdem das Kind geboren, legt er Feuer an, nimmt es auf den Schoss, bereitet in einem Metallgefässe Milchbuttermischung, opfert von der Milchbuttermischung löffelweise und spricht dabei:


»In dir will ich zu Tausend mich erweitern,

Fortblühend in des eignen Hauses Macht!

Kein Unheil bring' ich deinem Stamm zum Scheitern

Jemals der Kinder und der Herden Pracht!


Svâhâ!


Die Lebenskräfte in mir, die opfere ich im Geiste in dir.


Svâhâ!


Wo ich gehemmt des Opferwerks Gelingen

Durch ein Zuwenig oder auch Zuviel,

Da führ' als Opfermeister das Vollbringen

Der weise Agni selbst für uns zum Ziel.


Svâhâ!«


25. Dann nähert er den Mund dem rechten Ohre des Kindes und sagt dreimal: »Sprache! Sprache!« – Hierauf bereitet er die Milchhonigbutter und füttert damit das Kind unmittelbar aus dem Golde [des Löffels], indem er spricht: »Ich lege in dich die Erde, ich lege in dich den Luftraum,[519] ich lege in dich den Himmel. Die Erde, den Luftraum, den Himmel, alles lege ich in dich.«18

26. Dann gibt er ihm den Namen, indem er spricht: »Du bist der Veda!« – Dieses ist sein Geheimname [die eigentliche Namengebung erfolgt erst zehn Tage nach der Geburt, Manu II, 30].

27. Hierauf übergibt er das Kind der Mutter, reicht ihm ihre Brust dar und spricht [Ṛigv. 1,164,49]:


»Die Brust, die unversiegliche zum Laben,

Die schätzereiche, voll von Gut und Gaben,

Durch die du förderst alles Heils Erfüllung,

Die reiche hier, Sarasvatî, zur Stillung.«


28. Hierauf spricht er zur Mutter des Kindes:


»Iḷâ, die Labung, bist du ja

Von Mitra's Stamm, von Varuṇa!

Die einen Mann dem Mann gebar,

Du bleibe mannhaft immerdar,

Die unsre Mannheit machtest wahr!«


Wahrlich, von dem sagen die Leute: »fürwahr, du bist deinem Vater überlegen, deinem Grossvater überlegen geworden«; – fürwahr, der ist zum höchsten Gipfel gelangt an Schönheit, Ruhm und Heiligkeit, wer als der Sohn eines Brahmanen geboren wurde, der solches weiss!

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 513-520.
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