Zweites Brâhmaṇam.

[383] 1. Am Anfang war hier nichts; denn diese Welt war verhüllt von dem Tode; von dem Hunger; denn der Tod ist Hunger. Da schuf er das Manas (den Verstand, den Willen); denn er begehrte, selbsthaft (körperhaft) zu sein. Er wandelte lobsingend; da er lobsang, entstand das Wasser; denn er sprach: »Da ich lobsang (arc), ward mir Freude (ka)«. Dieses ist das Wesen des Strahles (arka). Dem wird Freude zuteil, der also dieses Wesen des Strahles weiss.

2. Denn der Strahl ist das Wasser. Was an dem Wasser der Rahm war, das wurde gekernt; daraus entstand die Erde. Dabei ermüdete er. Da er ermüdete, da er sich erhitzte, ward seine Kraft, sein Saft zu Feuer.

3. Er zerteilte sich selbst in drei, [ein Drittel Feuer], ein Drittel Sonne, ein Drittel Wind; so war er als Lebenshauch (prâṇa) dreifach ausgebreitet. Sein Kopf war die Gegend gen Morgen, hier und dort waren seine Vorderschenkel; sein Schweif war die Gegend gen Abend, hier und dort waren seine Hinterschenkel; Süd und Nord waren seine Seiten, der Himmel sein Rücken, der Luftraum seine Bauchhöhle, diese Erde seine Brust. Derselbige stehet gegründet auf den Wassern. – Wo immer er gehen mag, da stehet gegründet, wer solches weiss.

4. Er begehrte, ein zweites Selbst (Leib) zu haben; da pflog er als Manas mit der Rede Begattung (vgl. 1,4,17 und Gesch. d. Phil. I, S. 201. 206), er, der Hunger, der Tod. Was sich als Same ergoss, das ward das Jahr (die Zeit); denn vordem war das Jahr nicht vorhanden. Selbiges trug er so lange Zeit, wie ein Jahr ist, und nach Ablauf dieser Zeit liess er es hervorgehen. Gegen selbiges, nachdem es geboren war,[383] sperrte er den Rachen auf; da schrie es: bhâṇ! Daraus entstand die Rede [bhaṇ, bhaṇati reden].

5. Er erkannte: »Wenn ich diesem nachstelle, so wird meine Speise nur gering sein«. Da schuf er mit jener Rede [dem Veda], mit jenem Selbste [dem Manas] dieses Ganze, was immer vorhanden, die Verse [des Ṛigveda], die Sprüche [des Yajurveda], die Lieder [des Sâmaveda], die Gesänge, die Opfer, die [opfernden] Geschöpfe, die [zu opfernden] Tiere. Alles, was er immer schuf, das beschloss er zu verschlingen; weil er alles verschlingt (ad), darum ist er die Aditi (die Unendlichkeit). Der wird zum Verschlinger des Weltalls, dem dient das Weltall zur Speise, wer also das Wesen der Aditi versteht.

6. Da begehrte er, noch weiter ein grösseres Opfer darzubringen; er mühte sich ab, er kasteite sich; da er sich abmühte, da er sich kasteite, wichen von ihm Schönheit und Kraft. Nämlich die Lebensgeister sind Schönheit und Kraft. Indem die Lebensgeister aus ihm wichen, begann sein Leib anzuschwellen; aber sein Manas war in dem Leibe geblieben.

7. Da begehrte er: »Dieser Leib soll mir opfertauglich (medhya) werden; in ihm will ich mich verkörpern«. Darauf ward er zu einem Rosse (açva), darum dass er angeschwollen war (açvat). Und er sprach: »Dieser (Leib) ist mir opfertauglich (medhya) geworden«. Darum heisst das Rossopfer Açva-medha. – Fürwahr, der versteht das Rossopfer, der es also versteht! – Selbiges [Ross] bewachte er, ohne es zu fesseln. Nach Ablauf eines Jahres brachte er es als Opfer für sich selbst dar; die [übrigen, bei der Açvamedhafeier geopferten] Tiere aber überwies er den Göttern. Darum bringt man, als ein [zugleich] allen Göttern geweihtes, dem Prajâpati dies Opfer dar. Wahrlich, jener ist das Rossopfer, welcher dort [als Sonne] leuchtet; sein Leib ist das Jahr. Dieses [irdische] Feuer ist der Arka (das Opferfeuer beim Rossopfer); sein Leib sind diese Welten. Diese beiden sind das Opferfeuer und das Rossopfer. Und wiederum sind sie nur eine einzige Gottheit, nämlich der Tod. – [Wer solches weiss,] der wehret ab den Wiedertod; der Tod überwältigt ihn nicht, darum dass der Tod sein Selbst ist (Çatap. Br. 10,5,2,23); zu einer jener Gottheiten [die an dem Rossopfer teilhaben] wird er.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 383-384.
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