I. Teil

Die Probleme der Grundwissenschaft

[36] Indem wir nunmehr an die von uns zu behandelnde Wissenschaft herantreten, gilt es zunächst uns klar zu werden über die Fragen, über die wir eine Entscheidung zu treffen haben. Es sind zum Teil solche, über welche die Denker vor uns abweichende Ansichten geäußert haben; wir müssen aber auch an etwaige weitere denken, die sie übersehen haben möchten.

Wer einer Sache recht auf den Grund kommen will, für den ist das erste Erfordernis dies, daß er den Problemen scharf ins Gesicht sehe. Denn die nachher zu erlangende Einsicht hängt an der Lösung der vorher ins Auge gefaßten Probleme; wer den Knoten nicht kennt, der kann ihn auch nicht lösen. Solch ein Knoten in dem Objekte aber ist es, den das Problem darstellt, wie es sich für das Nachdenken auftut. Dem Denken nämlich, sofern es die Schwierigkeit gewahr wird, ergeht es ganz ähnlich wie den Leuten, die sich durch einen festen Knoten eingeschnürt fühlen: beide können keinen Schritt vorwärts tun. Darum ist es nötig, zuvörderst alle Schwierigkeiten ins Auge gefaßt zu haben; ist es schon aus diesem Grunde geboten, so ist ein weiterer Grund der, daß man, wenn man ohne diese Erwägung der Probleme an die Untersuchung herantritt, dem Wanderer gleicht, der nicht weiß, wohin er seinen Weg zu richten hat; und daß man außerdem im andern Fall nicht einmal, wenn man etwas gefunden hat, zu erkennen imstande wäre, ob das Gefundene auch das ist, was man sucht, oder nicht. Denn in jenem Fall ist das Ziel nicht klar; wohl aber ist es dem klar, der zuvor die Probleme sich zum Bewußtsein gebracht hat. Dazu kommt, daß, wer ein Urteil zu fällen hat, notwendig sich in günstigerer Lage befindet, wenn er die Äußerungen sämtlicher sich befehdenden Gegner gleichsam wie streitender Parteien im Prozeß vorher angehört hat.[36]

Quelle:
Aristoteles: Metaphysik. Jena 1907, S. 36-37.
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