Erstes Kapitel

[27] Die Streitsätze lauten entweder allgemein oder beschränkt; allgemein ist z.B. der, dass jede Lust ein Gut sei und der, dass keine Lust ein Gut sei; beschränkt ist z.B. der Streitsatz, dass einige Arten der Lust ein Gut seien und der, das eine Art der Lust kein Gut sei. Beide Arten von Streitsätzen können in allgemeiner Weise begründet oder widerlegt werden; denn wenn man bewiesen hat, dass etwas in allen enthalten ist, so wird man auch bewiesen haben, dass es in einigen enthalten ist und ebenso wird man, wenn man bewiesen hat, dass Etwas in keinem enthalten ist, bewiesen haben, dass es nicht in allen enthalten ist.

Ich habe zunächst die Mittel zur allgemeinen Widerlegung zu besprechen, weil diese sowohl die allgemeinen, wie die beschränkten Streitsätze treffen und weil die Streitsätze mehr bejahend, als verneinend aufgestellt werden und daher dem Gegner deren Widerlegung zufällt. Am seltensten kann ein Satz, welcher nur etwas im eigentlichen Sinne Nebensächliches von einem Gegenstande aussagt, umgekehrt werden; denn nur das Nebensächliche ist geeignet, blos in gewisser Weise, und nicht allgemein von den Gegenständen ausgesagt zu werden; der Begriff und das Eigenthümliche und die Gattung müssen dagegen in dem Satze sich mit dem Gegenstande umkehren lassen. Wenn z.B. das zweifüssige auf dem Lande lebende Geschöpf in einem Gegenstande enthalten ist, so kann man auch umgekehrt sagen, dass der Gegenstand ein zweifüssiges, auf dem Lande lebendes Geschöpf ist. Ebenso verhält es sich mit der Gattung; denn wenn das Geschöpfsein in einem Gegenstande enthalten ist, so ist auch der[27] Gegenstand ein Geschöpf; und dasselbe gilt für die Eigenthümlichkeiten; denn wenn in einem Gegenstande das der Sprachlehre Fähige enthalten ist, so ist der Gegenstand auch das der Sprachlehre Fähige. Von diesen Bestimmungen kann keine blos in gewisser Beziehung in dem Gegenstande enthalten, oder nicht enthalten sein, sondern sie muss überhaupt darin entweder enthalten oder nicht enthalten sein. Dagegen kann das Nebensächliche sehr wohl mir in gewisser Beziehung in einem Gegenstande enthalten sein, wie z.B. die weisse Farbe, oder die Gerechtigkeit. Wenn man deshalb darlegt, dass die weisse Farbe oder die Gerechtigkeit in einem Gegenstande enthalten sei, so nützt dies nichts für den Beweis, dass der Gegenstand an sich weiss oder gerecht sei; denn es bleibt dann immer noch zweifelhaft, ob er nicht blos in einer Beziehung weiss oder gerecht ist. Deshalb ist es bei nebensächlichen Bestimmungen nicht nothwendig, dass sie sich im Satze mit dem Gegenstande umkehren lassen.

Man muss auch die Fehler in den Streitsätzen unterscheiden; sie sind zweifacher Art; entweder sagen sie etwas Falsches aus, oder sie verletzen den bestehenden Sprachgebrauch. Einmal also fehlen diejenigen, welche etwas Falsches setzen oder das im Gegenstande nicht Enthaltene als darin enthalten behaupten; zweitens die, welche, indem sie den Gegenstand mit einem fremden Namen bezeichnen, z.B. die Platane einen Menschen nennen, den bestehenden Sprachgebrauch verletzen.

Quelle:
Aristoteles: Die Topik. Heidelberg 1882, S. 27-28.
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