Zehntes Kapitel

[45] Auch die Aehnlichkeiten sind zu benutzen, wenn mehreres einander ähnlich ist; ist z.B. die Wissenschaft nur eine für vielerlei, so ist es auch die Meinung und wenn der Besitz des Gesichts das Sehen ist, so ist der[45] Besitz des Gehörs das Hören. Ebenso verhält es sich mit anderen Aehnlichkeiten, und zwar gleichviel, ob diese Aehnlichkeit wirklich besteht, oder nur nach der Meinung vorhanden ist. Dieses Mittel ist für die Begründung und für die Widerlegung brauchbar; denn das, was für eines der einander ähnlichen Dinge gilt, gilt auch für die übrigen und was für eines von ihnen nicht gilt, gilt auch für die übrigen nicht. Man muss auch prüfen, ob die Aehnlichkeit für Einzelnes sich auf die Aehnlichkeit für die Mehrzahl erstreckt; mitunter stimmt nicht beides. Ist z.B. das Wissen ein Denken, so wäre auch das Vieles-Wissen ein Vieles-Denken; allein letzteres ist nicht richtig, denn man kann wohl Vieles wissen, aber nicht Vieles denken. Ist nun dies nicht der Fall, so gilt auch die Aehnlichkeit für das Einzelne nicht, wonach das Wissen ein Denken sein soll.

Auch das Mehr und das Weniger ist zu benutzen. Es giebt hier vier unterschiedene Gesichtspunkte für das Mehr und Weniger; in dem einem folgt dem Mehr des einen auch das Mehr des andern; ist z.B. die Lust ein Gut, so ist auch die grössere Lust ein grösseres Gut und ist das Unrecht-Handeln schlecht, so ist das Mehr-Unrecht-Handeln schlechter. Dieses Mittel ist für beide Richtungen des Disputirens zu benutzen; nimmt nämlich mit der Steigerung des Gegenstandes wie in dem erwähnten Falle auch das von ihm ausgesagte Nebensächliche zu, so kommt das Ausgesagte offenbar dem Gegenstande nebensächlich zu; ist dies aber nicht der Fall, so kommt es ihm nicht zu. Man muss zu dem Behuf einzelne Fälle benutzen. Ein anderer Gesichtspunkt ist es, wenn ein und dasselbe zweien Gegenständen beigelegt wird; ist das Ausgesagte hier in dem einen Gegenstande, wo es am wahrscheinlichsten ist, nicht enthalten, so ist es auch in dem andern, wo es weniger wahrscheinlich ist, nicht enthalten, und ist umgekehrt das Ausgesagte in dem Gegenstande, wo es weniger wahrscheinlich ist, enthalten, so ist es auch in dem enthalten, wo es mehr wahrscheinlich ist. Dasselbe gilt, wenn zwei Bestimmungen demselben Gegenstande beigelegt werden; ist hier das eine Ausgesagte in dem Gegenstande, obgleich es für diesen wahrscheinlicher ist, nicht enthalten, so ist auch das andere Ausgesagte in dem Gegenstande, wo es unwahrscheinlicher[46] ist, nicht enthalten; und ist das eine in dem Gegenstande enthalten, obgleich es weniger wahrscheinlich war, so ist auch das andere, welches wahrscheinlicher war, im Gegenstande enthalten. Wenn ferner zwei Bestimmungen von zwei Gegenständen ausgesagt werden, so ist, wenn in dem einen Gegenstande, wo es wahrscheinlicher wäre, das von ihm Ausgesagte nicht enthalten ist, auch das andere Ausgesagte in dem andern Gegenstande nicht enthalten; und ist das Ausgesagte in einem Gegenstande vorhanden, wo dies weniger wahrscheinlich war, so ist das andere auch in dem andern Gegenstande enthalten.

Auch für das Aehnliche, der Wahrheit oder der Meinung nach, giebt es gleiche drei Gesichtspunkte, wie solche eben für das Mehr hier dargelegt worden sind. Entweder ist eine Bestimmung in zwei Gegenständen in wirklicher oder nur gemeinter ähnlicher Weise enthalten. Ist sie hier nun in dem einen Gegenstande nicht enthalten, so ist sie es auch nicht in dem andern, und ist sie es in dem einen, so ist sie es auch in dem andern Gegenstande. Oder es besteht für zwei Bestimmungen die Aehnlichkeit, dass sie beide in demselben Gegenstande enthalten sein werden; ist dies nun für die eine nicht der Fall, so gilt dies auch für die andere, und ist die eine im Gegenstande enthalten, so ist es auch die andere. Endlich gilt es auch so wie dort, wenn für das Enthaltensein von zwei Bestimmungen in zwei Gegenständen eine Aehnlichkeit besteht; ist hier die eine in dem einen nicht enthalten, so gilt dies auch für die andere in Betreff ihres Gegenstandes, und ist die eine in ihrem Gegenstande enthalten, so ist auch die andere in ihrem Gegenstande enthalten.

Quelle:
Aristoteles: Die Topik. Heidelberg 1882, S. 45-47.
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