Neuntes Kapitel

[44] Auch muss man auf die verwandten Begriffe und auf solche achten, welche mit demselben Worte, aber in einer verschiedenen Beugung bezeichnet werden, da dies für Widerlegungen und Begründungen benutzt werden kann. Verwandt nennt man Begriffe, wie z.B. das Gerechte und der Gerechte mit der Gerechtigkeit verwandt ist und das Tapfere und der Tapfere mit der Tapferkeit. Ebenso ist das Bewirkende und das Beschützende mit dem verwandt, was es bewirkt, oder beschützt, wie z.B. das Gesunde mit der Gesundheit und das Zuträgliche mit dem Wohlbefinden. In dieser Weise können auch alle anderen verwandten Begriffe benutzt werden. Verwandt heissen also solche Begriffe wie die vorgenannten; in dem Wortlaut gebeugt sind aber Begriffe, wie die Nebenwörter: geehrt, tapfer, gesund und andere in dieser Weise geformten. Die mit gebeugten Worten bezeichneten Begriffe scheinen auch verwandt zu sein; so ist das gerecht mit der Gerechtigkeit und das tapfer mit der Tapferkeit verwandt. Verwandt nennt man alle Begriffe, die zu derselben Begriffsreihe gehören, wie z.B. die Gerechtigkeit, der Gerechte, das Gerechte, gerecht. Hieraus erhellt, dass wenn von irgend einem Worte in solcher Reihe bewiesen worden, dass sein Gegenstand gut oder lobenswerth ist, es dann für alles Andere derselben Reihe auch bewiesen ist. Ist so die Gerechtigkeit lobenswerth, so gehören auch der Gerechte und das Gerechte und das gerecht zu dem Lobenswerthen. Die Nebenworte: gerecht und lobenswerth werden durch die gleiche Beugung, letzteres[44] vom Lobenswerthen, und das gerecht von der Gerechtigkeit abgeleitet.

Man hat übrigens nicht blos auf das hier Gesagte zu achten, sondern auch auf das Verhalten des Gegentheils vom Ausgesagten zu dem Gegentheile des Gegenstandes; ist z.B. das Gute nicht nothwendig angenehm, so ist auch das Böse nicht nothwendig unangenehm; oder wenn dieses nothwendig unangenehm ist, so ist auch jenes nothwendig angenehm. Ebenso ist, wenn die Gerechtigkeit ein Wissen ist, die Ungerechtigkeit eine Unwissenheit und wenn das gerecht ein »wissentliches« und »erfahrenes« ist, so ist das ungerecht ein »unwissentliches« und »unerfahrenes«. Gilt dagegen dies bei diesen nicht, so gilt auch jener Satz nicht bei jenen, wie in dem vorigen Falle; denn das: ungerecht dürfte wohl eher mit: erfahren, als mit: unerfahren sich vereinigen; ein Fall, der früher bei der Umkehrung der in ihre Gegentheile umgewandelten Sätze besprochen worden ist; hier verlange ich aber nur, dass, wenn ein Satz richtig ist, derselbe auch richtig bleibe, wenn seine Begriffe beide in ihr Gegentheil umgewandelt werden.

Auch die Gegensätze von Entstehen und Vergehen, von Bewirken und Zerstören können bei den Widerlegungen und bei den Begründungen benutzt werden; denn das, aus welchem das Gute entsteht, ist selbst gut, und wenn etwas selbst gut ist, so ist es auch das, was aus ihm entsteht. Ebenso ist, wenn etwas Entstandenes schlecht ist, auch das, woraus es entstanden ist, schlecht. Bei dem Verderbenden verhält es sich umgekehrt. Denn wenn das Verderbende das Gute verdirbt, so ist es selbst schlecht und wenn es das Schlechte verdirbt, so ist es selbst gut. Dasselbe Verhältniss besteht bei dem Bewirkenden und Zerstörenden; denn was das Gute bewirkt, ist selbst gut, und was das Gute zerstört, ist selbst schlecht.

Quelle:
Aristoteles: Die Topik. Heidelberg 1882, S. 44-45.
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