Achtes Kapitel

[42] Da es vier Arten von Gegensätzen giebt, so ist sowohl für das Widerlegen, wie für das Begründen es nützlich, dass man untersucht, ob der Streitsatz, wenn dessen Subjekt und Prädikat in ihren Verneinungen genommen und dabei mit einander ausgetauscht werden, richtig bleibt. Man kann dabei die Induktion benutzen; wird z.B. der Mensch für ein Geschöpf erklärt, so folgt, dass das Nicht-Geschöpf kein Mensch ist. Dies gilt auch für die anderen Fälle, hier ist der umgekehrte, auf die Verneinungen lautende Satz richtig; denn von dem Menschen wird das Geschöpf aus gesagt, aber von dem Nicht-Menschen nicht das Nicht-Geschöpf, sondern umgekehrt kommt dem Nicht-Geschöpf der Nicht-Mensch zu. Bei allen Sätzen kann man also verlangen, dass, wenn die Sätze richtig sind, auch die Umkehrung der Sätze, welche die Verneinungen enthalten, richtig sei. Soll z.B. das Sittliche angenehm sein, so muss auch das Nicht-Angenehme nicht sittlich sein; ist dies nicht wahr, so ist auch jener Satz nicht wahr. Ebenso muss, wenn das Nicht-Angenehme nicht sittlich ist, das Sittliche angenehm sein. So erhellt, dass für diese beiden Sätze auch die Umkehrung gilt, wenn Gegenstand und Ausgesagtes dabei in ihre Verneinungen umgewandelt werden.

Ebenso kann man für die Widerlegung, wie für die Begründung die Prüfung benutzen, ob bei einem Satze das Gegentheil vom Ausgesagten dem Gegentheil vom Gegenstande zukomme, und ob dies sowohl für den Satz als solchen, wie für den umgekehrten Satz gilt. Auch hier muss man Fälle im Einzelnen nehmen, so weit sie zu diesem Zweck benutzbar sind. So bleibt z.B. der Satz auch ohne Umkehrung gültig für die Tapferkeit und Feigheit, denn der einen kommt die Tugend, der andern das Laster zu, und das eine ist zu wählen, das andere zu fliehen. Hier entsprechen sich die gegentheiligen Sätze[42] als solche und ohne Umkehrung, denn das zu Fliehende ist das Gegentheil von dem zu Wählenden. Dasselbe gilt für ähnliche Fälle.

Dagegen gelten die Gegentheile eines Satzes in anderen Fällen nur, wenn der Satz umgekehrt wird; so wird von dem Wohlbefinden die Gesundheit ausgesagt, aber dem Schlechtbefinden kommt keinesweges die Krankheit zu, vielmehr umgekehrt der Krankheit das Schlechtbefinden. Hier muss also offenbar der auf sein Gegentheil lautende Satz, wenn er richtig bleiben soll, umgekehrt werden. Indess kommt letzteres bei den auf die Gegentheile umgestalteten Sätzen selten vor, vielmehr gelten sie meistentheils ohne Umkehrung als richtig. Bleibt nun ein Satz nicht richtig, wenn die Gegentheile in ihm gesetzt werden, sei es ohne, oder mit Umkehrung, so ist klar, dass auch in dem aufgestellten Satze das Ausgesagte dem Gegenstande nicht beigelegt werden kann. Ist dagegen der Satz, in seine Gegentheile umgewandelt, richtig, so muss auch in dem aufgestellten Satze das Ausgesagte in Wahrheit dem Gegenstande zukommen.

Aehnlich wie bei den Gegentheilen ist die Prüfung bei den Fällen, wo es sich um ein Haben und eine Beraubung handelt, anzustellen; ausgenommen, dass bei den auf eine Beraubung lautenden Sätzen die Umkehrung nicht stattfindet; vielmehr muss der in seine Gegensätze umgewandelte Satz stets ohne Umkehrung richtig bleiben. So kommt dem Gesicht z.B. das Wahrnehmen zu, also der Blindheit das Nicht-Wahrnehmen; denn das Wahrnehmen ist dem Nicht-Wahrnehmen so, wie das Haben der Beraubung entgegengesetzt, da das eine ein Haben des Gesichts und das andere eine Beraubung des Gesichts ist.

Aehnlich wie das Haben und die Beraubung sind auch die Sätze, welche eine Beziehung ausdrücken, beim Disputiren benutzbar; denn auch bei ihnen muss der Satz gültig bleiben, wenn seine Begriffe in ihre Gegensätze umgewandelt werden. Wenn z.B. das Dreifache ein Vielfaches ist, so ist das Dritttheil ein Bruchtheil; denn das Dreifache ist das Gegentheil zu dem Dritttheil und das Vielfache zu dem Bruchtheile. Wenn ferner das Wissen ein Vorstellen ist, so ist auch das Wissbare ein Vorstellbares und wenn das Sehen ein Wahrnehmen ist, so ist[43] das Sichtbare ein Wahrnehmbares. Man könnte einwenden, dass bei solchen Beziehungen diese Umwandelung in die Gegensätze nicht überall zutreffe, weil das Wahrnehmbare zwar ein Wissbares sei, aber das Wahrnehmen nicht ein Wissen. Indess scheint dieser Einwand nicht richtig zu sein; da bei Vielen das Wahrgenommene für ein Wissen gilt. Dieser Gesichtspunkt kann übrigens auch für das Gegentheilige benutzt werden, also dass das Wahrnehmbare kein Wissbares sei, weil die Wahrnehmung kein Wissen sei.

Quelle:
Aristoteles: Die Topik. Heidelberg 1882, S. 42-44.
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