Siebentes Kapitel

[116] Auch die Beugungen der Worte können zur Widerlegung benutzt werden. Wenn die Bestimmung, welche in der Beugung ihres Wortes nicht die Eigenthümlichkeit des in gleicher Beugung seines Wortes benannten Gegenstandes ist, so wird auch die aufgestellte Bestimmung nicht die Eigenthümlichkeit des aufgestellten Gegenstandes sein. Ist z.B. von dem Gerecht das Sittlich nicht die Eigenthümlichkeit, so wird auch von dem Gerechten das Sittliche nicht die Eigenthümlichkeit sein. Dagegen kann es zur Begründung benutzt werden, wenn die in einer Beugung bezeichnete Bestimmung das Eigenthümliche[116] des in der gleichen Beugung ausgedrückten Gegenstandes ist, denn dann wird auch die aufgestellte Bestimmung das Eigenthümliche des aufgestellten Gegenstandes sein. Ist es z.B. das Eigenthümliche d e s Menschen zweifüssig und auf dem Lande lebend zu sein, so wird es auch dem Menschen zukommen, ein Zweifüssiges, auf dem Lande Lebendes zu sein. Indess muss man hierbei nicht blos die aufgestellten Worte nach ihren Beugungen prüfen, sondern auch deren Gegensätze, und zwar so, wie in den früheren Fällen. Es dient dann zur Widerlegung, wenn die Beugung des Wortes der gegensätzlichen Bestimmung nicht das Eigenthümliche von dem Gegenstande ist, der mit der gleichen Beugung des Namens des gegensätzlichen Gegenstandes bezeichnet wird, denn dann wird dies auch nicht von der aufgestellten Bestimmung des aufgestellten Gegenstandes gelten. Ist z.B. das Gut nicht das Eigenthümliche des Gerecht, dann ist auch das Schlecht nicht das Eigenthümliche des Ungerecht. Dagegen dient es zur Begründung, wenn die gleiche Wortform vom Gegentheil der aufgestellten Bestimmung des in gleicher Wortform ausgedrückten Gegentheils des aufgestellten Gegenstandes ist; denn dann wird auch der aufgestellte Satz richtig sein. Ist z.B. das Beste die Eigenthümlichkeit des Guten, so wird auch das Schlechteste die Eigenthümlichkeit des Bösen sein.

Sodann kann auch aus dem ähnlichen Verhalten ein Grund für die Widerlegung entnommen werden, wenn das sich ähnlich Verhaltende nicht das Eigenthümliche des sich ähnlich verhaltenden Gegenstandes ist; denn dann wird auch das Aufgestellte nicht das Eigenthümliche des Gegenstandes sein. Verhält sich z.B. der Baumeister zur Herstellung eines Hauses ähnlich, wie der Arzt zur Herstellung der Gesundheit, und ist das Eigenthümliche des Arztes nicht die Herstellung der Gesundheit, so ist auch das Eigenthümliche des Baumeisters nicht die Herstellung des Hauses. Für die Begründung dient es aber, wenn das sich ähnlich Verhaltende auch die Eigenthümlichkeit des sich ähnlich verhaltenden Gegenstandes ist, denn dann wird auch das Aufgestellte die Eigenthümlichkeit des aufgestellten Gegenstandes sein. Wenn z.B. der Arzt sich zu dem, was gesund macht, ähnlich verhält, wie der Turnlehrer zu dem, was kräftig macht, und ist[117] das Eigenthümliche des Turnlehrers, kräftig zu machen, so wird auch das Eigenthümliche des Arztes sein, gesund zu machen.

Ferner kann aus dem sich Gleich-Verhalten ein Grund zur Widerlegung entnommen werden, wenn das mit der aufgestellten Eigenschaft sich Gleich – Verhaltende nicht die Eigenthümlichkeit des aufgestellten Gegenstandes ist; denn dann wird auch die aufgestellte Eigenschaft selbst nicht das Eigenthümliche des aufgestellten Gegenstandes sein. Ist dagegen das mit der aufgestellten Eigenschaft sich Gleichverhaltende die Eigenthümlichkeit des sich gleichverhaltenden Gegenstandes, so wird die aufgestellte Eigenschaft nicht das Eigenthümliche des aufgestellten Gegenstandes sein. Verhält sich z.B. die Klugheit zu dem Sittlichen, wie zu dem Unsittlichen insofern gleich, als sie das Wissen von beiden ist, und besteht das Eigenthümliche der Klugheit nicht darin, dass sie das Wissen des Sittlichen ist, so wird auch das Eigenthümliche derselben nicht darin bestehen, dass sie das Wissen des Unsittlichen ist. Ist dagegen das Eigenthümliche der Klugheit das Wissen des Sittlichen, so wird das Wissen des Unsittlichen nicht ihr Eigenthümliches sein; denn ein und dieselbe Eigenschaft kann nicht von mehreren Gegenständen das Eigenthümliche sein. Für die Begründung kann dagegen dieser Gesichtspunkt nicht benutzt werden, da hier die eine gleiche Bestimmung mit mehreren Gegenständen verglichen wird.

Ferner giebt es einen Grund zur Widerlegung, wenn die aufgestellte seiende Bestimmung nicht die Eigenthümlichkeit des seienden Gegenstandes ist; denn dann wird es auch nicht die vergehende Bestimmung von dem vergehenden Gegenstande sein und ebenso nicht die werdende Bestimmung von dem werdenden Gegenstande. Ist z.B. die Eigenthümlichkeit des seienden Menschen nicht das seiende Geschöpf, so ist auch die Eigenthümlichkeit des werdenden Menschen nicht das werdende Geschöpf und die Eigenthümlichkeit des vergehenden Menschen nicht das vergehende Geschöpf. Derselbe Gesichtspunkt kann aus dem Werden für das Sein und Vergehen und aus dem Vergehen für das Sein und Werden entnommen werden, wie er jetzt für das Werden und Vergehen aus dem Sein entnommen worden[118] ist. Für die Begründung dient es dagegen, wenn die für das Sein aufgestellte Bestimmung das Eigenthümliche des seienden Gegenstandes ist, denn dann wird diese Bestimmung als werdende auch die Eigenthümlichkeit des werdenden Gegenstandes und als vergehende die Eigenthümlichkeit des vergehenden Gegenstandes sein. Ist es z.B. für den seienden Menschen das Eigenthümliche sterblich zu sein, so wird auch für den vergehenden Menschen das vergehende Sterbliche und für den werdenden Menschen das werdende Sterbliche die Eigenthümlichkeit sein. Derselbe Grund kann aus dem Werden und Vergehen für das Sein der betreffenden Gegenstände und Eigenthümlichkeiten benutzt werden, wie es bei der Widerlegung geschehen ist.

Ferner hat man auch auf die Idee des aufgestellten Gegenstandes zu achten. Zur Widerlegung dient es, wenn das aufgestellte Eigenthümliche des Gegenstandes der Idee desselben nicht einwohnt, oder wenigstens nicht in der Beziehung, in welcher es als das Eigenthümliche vom Gegenstande aufgestellt worden ist; denn dann ist die aufgestellte Eigenthümlichkeit nicht die richtige. Ist z.B. in dem Menschen – an – sich die Unveränderlichkeit, insofern er Mensch ist, nicht enthalten, sondern nur in ihm, soweit er Idee ist, so wird die Unveränderlichkeit nicht das Eigenthümliche des Menschen sein. Zur Begründung dient es aber, wenn die aufgestellte Eigenthümlichkeit in der Idee enthalten ist und in Bezug auf das ihr einwohnt, vermöge dessen die Eigenthümlichkeit dem Gegenstand einwohnt, deren Einwohnen der Gegner bestreitet. Ist es z.B. in dem Geschöpf-an-sich enthalten, dass es aus Seele und Leib besteht, und ist dies in ihm insofern, als es Geschöpf ist, enthalten, so wird es auch die Eigenthümlichkeit des wirklichen Geschöpfes sein, dass es aus Seele und Leib besteht.

Quelle:
Aristoteles: Die Topik. Heidelberg 1882, S. 116-119.
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