Siebentes Kapitel

[145] Auch muss man prüfen, ob das zu Definirende mehr von etwas Anderem als von dem in der aufgestellten Definition Angegebenen ausgesagt wird; dies ist z.B. der Fall, wenn die Gerechtigkeit als ein Vermögen, gleich zu vertheilen, definirt wird; denn gerecht ist vielmehr der, welcher vorzieht, gleich zu vertheilen, als der, welcher es nur vermag. Deshalb ist also die Gerechtigkeit nicht ein Vermögen, gleich zu vertheilen; sonst würde derjenige von allen gerecht sein, der am meisten im Stande wäre, gleich zu vertheilen.[145]

Auch ist es ein Fehler, wenn der Gegenstand das Mehr annimmt, aber bei dem, was die Definition bezeichnet, dies nicht der Fall ist; oder wenn umgekehrt das in der Definition Bezeichnete das Mehr annimmt aber nicht der Gegenstand; denn entweder müssen beide das Mehr annehmen, oder keines, weil das, was die Definition angiebt, mit dem Gegenstande genau dasselbe ist. Ebenso ist es ein Mangel der Definition, wenn zwar beide das Mehr annehmen, aber dies bei beiden nicht gleichzeitig stattfindet, wie z.B. wenn die Liebe als ein Begehren nach dem Zusammensein definirt wird; denn der mehr Liebende verlangt nicht mehr nach dem Zusammensein; deshalb nehmen beide nicht gleichzeitig das Mehr an, was doch sein muss, wenn sie dasselbe sein sollen.

Ferner ist es ein Mangel, wenn der Gegenstand von dem einen zweier Dinge mehr ausgesagt wird und das in der Definition Ausgedrückte weniger, wie dies z.B. der Fall ist, wenn das Feuer als der leichteste Körper definirt wird; denn die Flamme ist mehr Feuer als das Licht, aber der leichteste Körper ist die Flamme weniger als das Licht, obgleich doch bei beiden die Steigerung stattfinden müsste, wenn sie dasselbe sind. Ebenso fehlerhaft ist die Definition, wenn das eine den zwei Dingen gleichmässig zukommt, das andere aber nicht gleichmässig, sondern dem einen mehr als dem andern.

Auch ist es ein Fehler, wenn die Definition in Bezug auf zwei Dinge abgesondert aufgestellt wird, z.B. wenn das Schöne als das definirt wird, was für das Gesicht oder für das Gehör angenehm ist, und wenn das Seiende als das definirt wird, was vermögend ist zu leiden oder zu wirken. Dann folgt, dass dasselbe zugleich schön und nicht schön ist, und dass das Seiende zugleich das Nicht – Seiende ist; denn nach dieser Definition ist das für das Gehör Angenehme dasselbe, wie das Schöne und also auch das für das Gehör Unangenehme dasselbe wie das Nicht-Schöne, da für dieselben Dinge auch die Gegensätze dieselben sind und dem Schönen das Nicht-Schöne gegenübersteht, wie dem für das Gehör Angenehmen das für das Gehör Unangenehme; folglich ist das für das Gehör Unangenehme dasselbe mit dem Nicht-Schönen. Ist nun ein Gegenstand zwar für das Gesicht angenehm, aber nicht für das Gehör, so ist er demzufolge sowohl[146] schön, wie nicht-schön. Ebenso lässt sich zeigen, wie bei solchen Definitionen das Seiende dasselbe ist, wie das Nicht-Seiende.

Auch in Bezug auf die in der Definition vorkommenden Gattungen, Art-Unterschiede und sonstigen Bestimmungen muss man prüfen, ob etwa, wenn man statt der Worte deren Begriffe setzt, etwas Nicht-Uebereinstimmendes sich ergiebt.

Quelle:
Aristoteles: Die Topik. Heidelberg 1882, S. 145-147.
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