Sechstes Kapitel

[190] Es erhellt somit, worauf der Antwortende Acht haben muss, mag der aufgestellte Satz allgemein oder nur Einzelnen als glaubwürdig erscheinen. Da nun jeder zur Frage gestellte Satz nothwendig entweder glaubwürdig oder unglaubwürdig oder keines von beiden sein muss, und da ferner jedes Gefragte entweder zur Sache gehört oder nicht, so hat der Antwortende, wenn er es für glaubwürdig, aber nicht zur Sache gehörend hält, es zuzugeben, indem er die Glaubwürdigkeit zugesteht; erscheint ihm aber das Gefragte nicht glaubwürdig und auch nicht zur Sache gehörig, so hat er es zwar zuzugeben aber dabei zu bemerken, dass es ihm nicht glaubwürdig erscheine, damit er nicht als einfältig erscheine. Ist das Gefragte aber zur Sache gehörend und glaubwürdig, so hat er zwar die Glaubwürdigkeit anzuerkennen, aber auch zu sagen, dass es dem anfänglich aufgestellten Streitsatze zu nahe stehe und dass dieser mit Annahme des Gefragten widerlegt werde. Ist aber der gefragte Satz, dessen Zugeständniss der Fragende fordert, zwar zur Sache gehörig, aber sehr unglaubwürdig, so muss der Antwortende zwar einräumen, dass mit Zugestehung desselben sein Streitsatz falle, aber bemerken, dass etwas sehr Einfältiges gefragt werde.

Ist das Gefragte aber weder glaubwürdig, noch unglaubwürdig und nicht zur Sache gehörig, so muss er es zugeben, ohne weiter etwas zu bemerken; ist es aber zur Sache gehörig, so muss er auch noch andeuten, dass der anfänglich aufgestellte Satz durch das Zugeständniss des[190] Gefragten widerlegt werde. Wenn der Antwortende so verfährt, so wird er nicht selbst seine Besiegung verschulden, weil er bei seinen Zugeständnissen immer das daraus sich Ergebende vorausgesehen, und der Fragende wird seinen Beweis nur dadurch zu Stande bringen, dass ihm Alles, was glaubwürdiger ist, als sein Schlusssatz, zugegeben wird. Will der Fragende aber versuchen, aus Sätzen, die unglaubwürdiger sind, als sein Schlusssatz, seinen Beweis zu führen, so verfährt derselbe dann offenbar nicht richtig, und deshalb ist ihm dann das Gefragte nicht zuzugeben.

Quelle:
Aristoteles: Die Topik. Heidelberg 1882, S. 190-191.
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