Siebentes Kapitel

[191] Ebenso muss man unklaren und mehrdeutigen Sätzen entgegentreten. Denn es ist dem Antwortenden, wenn er etwas nicht versteht, gestattet, zu sagen, dass er es nicht verstehe, und bei zweideutigen Fragen ist er weder genöthigt, das Gefragte einzuräumen, noch zu bestreiten. Deshalb darf er offenbar, wenn das Gefragte unverständlich ist, vor Allem nicht zögern und muss sagen, dass er es nicht verstehe; denn wenn er etwas undeutlich Gefragtes zugiebt, geräth er oft in Schwierigkeiten. Ist dann die Frage zwar verständlich, aber zweideutig, so hat der Antwortende, wenn das Gefragte in jeder seiner Bedeutungen wahr oder falsch ist, dasselbe einfach entweder einzuräumen oder zu verneinen; ist dagegen das Gefragte in dem einen Sinne wahr und wird bei dem anderen falsch so ist auf die Zweideutigkeit aufmerksam zu machen und weshalb es in dem einen Sinne wahr, in dem andern falsch sei; da, wenn der Antwortende erst später diesen Unterschied geltend macht, es ungewiss bleibt, ob er auch im Anfang die Zweideutigkeit erkannt habe. Hat der Antwortende aber die Zweideutigkeit nicht vorher bemerkt, sondern nur an die eine Bedeutung gedacht und deshalb das Gefragte zugegeben, so muss er dem Fragenden, welcher das Zugeständniss in dem andern Sinne benutzt entgegnen, dass er das Zugeständniss nicht in dem letzteren Sinne der Frage, sondern in dem andern Sinne abgegeben habe. Denn wenn verschiedene Gegenstände unter dasselbe Wort oder dieselbe Rede fallen, so tritt leicht eine Uneinigkeit[191] ein. Ist dagegen das Gefragte deutlich und unzweideutig, so muss darauf mit ja oder nein geantwortet werden.

Quelle:
Aristoteles: Die Topik. Heidelberg 1882, S. 191-192.
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