Zehntes Kapitel

[21] In der zweiten Schlussfigur wird, wenn der verneinende Vordersatz ein nothwendiger ist, auch der Schlusssatz ein nothwendiger sein; ist aber nur der bejahende Vordersatz ein nothwendiger, so ist der Schlusssatz kein nothwendiger. Denn es sei also zunächst der verneinende Vordersatz ein nothwendiger und A soll nothwendig in keinem B enthalten sein, aber in C soll A einfach enthalten sein. Da nun der verneinende Satz sich umkehren lässt, so ist auch B nothwendig in keinem A enthalten, aber A ist in allen C enthalten, so dass also auch B nothwendig in keinem C enthalten ist, weil C unter dem A steht.

Das Gleiche ergiebt sich, wenn die Verneinung mit C verbunden wird; denn wenn A nothwendig in keinem C enthalten ist, so muss auch C nothwendig in keinem A enthalten sein; nun ist aber A in allen B enthalten, folglich muss auch C nothwendig in keinem B sein; denn auch hier ergiebt sich die erste Schlussfigur. Mithin ist auch B nothwendig in keinem C enthalten, da der Satz sich ebenfalls umkehren lässt.

Ist aber nur der bejahende Vordersatz ein nothwendiger, so ergiebt sich kein nothwendiger Schlusssatz, denn es sei A in allen B nothwendig enthalten, aber in allen C einfach nicht-enthalten. Wenn man hier den[21] verneinenden Satz umkehrt, so ergiebt sich die erste Schlussfigur. Nun ist aber bereits bei dieser Figur dargelegt worden, dass wenn der den grösseren Aussenbegriff enthaltende Vordersatz kein nothwendiger ist, dann auch der Schlusssatz kein nothwendiger ist, folglich wird auch hier der Schlusssatz kein nothwendiger sein. Auch würde, wenn der Schlusssatz ein nothwendiger wäre folgen, dass dann auch C in einigen A nothwendig nicht-enthalten sein müsste. Denn wenn B nothwendig in keinem C enthalten wäre, so müsste auch C nothwendig in keinem B enthalten sein; nun muss aber B in einigen A nothwendig enthalten sein, da A in allen B nothwendig enthalten gesetzt ist, folglich muss auch C in einigen A nothwendig nicht-enthalten sein. Aber nichts hindert, das A als ein solches anzunehmen, in dessen ganzem Umfang C statthafterweise enthalten ist. Auch kann man durch Aufstellung von Begriffen zeigen, dass der Schlusssatz nicht immer ein nothwendiger ist, sondern nur dann, wenn diese Begriffe sich als nothwendig-verbundene verhalten. So sei s. B. A das Geschöpf, B der Mensch, C das Weisse und man stelle danach die Vordersätze auf. Hier kann das Geschöpf statthafterweise in keinem Weissen enthalten sein; folglich wird dann auch der Mensch in keinem Weissen enthalten sein, also auch nicht nothwendigerweise; denn es ist statthaft, dass er weiss werden kann, indess nicht so lange das Geschöpf in keinem Weissen enthalten ist. Wenn also die Begriffe sich so zu einander verhalten, so muss der Schluss ein nothwendiger sein, aber immer wird er es nicht sein.

Ebenso verhält es sich mit den beschränkten Schlüssen in der zweiten Figur. Wenn nämlich der verneinende Vordersatz ein allgemeiner und nothwendiger ist, so wird auch der Schlusssatz ein nothwendiger sein. Lautet aber der bejahende Vordersatz allgemein und der beschränkte verneinend, so ergiebt sich der Schlusssatz nicht als ein nothwendiger. Es soll also zuerst der allgemein verneinende Vordersatz ein nothwendiger sein und A soll nothwendig in keinem B enthalten sein, aber in einigen C einfach enthalten sein. Da nun der verneinende Satz sich umkehren lässt, so wird auch B nothwendig in keinem A enthalten sein; nun ist aber A in einigen C[22] enthalten, also wird auch B nothwendig in einigen C nicht enthalten sein.

Nun soll aber der allgemein bejahende Vordersatz ein nothwendiger und die Bejahung mit dem B verbunden sein. Wenn also hiernach A in allen B nothwendig enthalten ist, aber in einigen C nicht enthalten ist, so erhellt, dass auch B in einigen C nicht enthalten ist, aber ohne dass dies nothwendig ist; da zum Beweis dieselben Begriffe wie bei den allgemeinen Schlüssen benutzt werden können. Auch wenn der verneinende beschränkte Satz ein nothwendiger ist, ergiebt sich der Schluss nicht als ein nothwendiger, denn man kann dies mittelst derselben Begriffe beweisen.

Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 21-23.
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