Fünfundzwanzigstes Kapitel

[56] Jeder Beweis geschieht mittelst dreier Begriffe und und nicht mehrerer, es müsste denn sein, dass derselbe Schlusssatz durch verschiedene Begriffe bewiesen werden könnte, wie wenn z.B. der Schlusssatz E sowohl durch die Vordersätze A und B, wie durch die Vordersätze C und D oder durch die Vordersätze A und B und B und C bewiesen werden könnte; da es statthaft ist, dass mehrere Mittelbegriffe für dieselben äusseren Begriffe eintreten können. Wenn letzteres der Fall ist, so besteht nicht blos ein Schluss, sondern mehrere. Auch ist dies der Fall wenn jeder der beiden Vordersätze A und B durch einen besonderen Schluss gewonnen wird, also z.B.[56] A durch die Vordersätze D und E und der Satz B durch die Vordersätze F und G. Ebenso sind es mehrere Schlüsse, wenn der eine Vordersatz durch Induktion und der andere durch einen Schluss gewonnen wird; auch in solchen Fällen sind mehrere Schlüsse vorhanden, denn es sind mehrere durch Schlüsse abgeleitete Sätze da, z.B. der Satz A, und der Satz B, und der Satz C. Sind aber nicht mehrere Schlusssätze, sondern nur einer vorhanden, so kann dieser selbige Schlusssatz zwar aus verschiedenen Ansätzen abgeleitet werden, aber unmöglich aus mehreren in der Form, wie der Schlusssatz C aus den Vordersätzen A und B abgeleitet wird. Denn es sei z.B. der Schlusssatz E aus den vier Sätzen A, B, C und D abgeleitet; hier müssen nothwendig einzelne von ihnen sich zu anderen so wie das Ganze zu dem Theile verhalten; denn schon früher ist gezeigt worden, dass wenn es einen Schluss geben soll, die Begriffe sich so verhalten müssen. Nun mag der Satz A sich so zu dem Satz B verhalten; dann kann schon ein Schlusssatz aus demselben gezogen werden, also wird dies entweder schon der Schlusssatz E oder einer von den beiden Sätzen C und D oder sonst ein anderer Satz sein. Folgt nun der Schlusssatz E schon aus den beiden Sätzen A und B, so ist ein Schluss vorhanden, der blos aus diesen beiden Sätzen abgeleitet ist. Verhalten sich nun die Sätze C und D auch so wie das Ganze zu dem Theile, so wird auch aus ihnen ein Schluss sich ableiten und dies wird entweder der Satz E oder einer von den beiden Sätzen A und B oder sonst ein anderer Satz sein. Ist dies nun der Satz E oder einer von den beiden Sätzen A und B, so ergeben sich entweder mehrere Schlusssätze oder es war statthaft denselben Schlusssatz aus verschiedenen Begriffen abzuleiten; kommt aber ein anderer Schlusssatz als der Satz E oder der Satz A und B heraus, so sind denn mehr als ein Schluss vorhanden, die mit einander in keiner Verbindung stehen. Verhält sich aber der Satz C zu dem Satze D nicht so, dass ein Schluss daraus gezogen werden könnte, so sind diese weiteren Sätze nutzlos hinzugenommen, es müsste denn sein, dass es behufs der Induktion oder eines versteckten Schlusses oder sonst eines anderen Zweckes wegen geschehen wäre. Wenn endlich aus den Sätzen A und B[57] nicht der Satz E, sondern ein anderer sich als Schluss ergiebt und aus den Sätzen C und D entweder einer von jenen Sätzen oder sonst etwas anderes, so sind mehrere Schlüsse vorhanden und sie betreffen nicht die hier vorliegende Annahme; da ja angenommen war, dass ein Schluss auf E sich ergeben sollte. Ergiebt sich aber aus den Sätzen C und D kein Schluss, so erhellt, dass sie nutzlos hinzugesetzt worden sind und nicht zu dem anfänglich gesetzten Schluss gehören.

Hiernach erhellt, dass jeder Beweis und jeder Schluss sich nur durch drei Begriffe vollzieht. Steht dies aber fest, so erhellt auch, dass ein Schluss nur aus zwei und nicht aus mehr Vordersätzen abgeleitet werden kann; denn diese drei Begriffe bilden zwei Sätze, wenn nicht, wie im Anfang erwähnt worden ist, noch ein Mehreres zur Herstellung eines vollkommenen Schlusses hinzugenommen werden muss. Es ist auch klar, dass wenn in einer Beweisführung die Vordersätze, durch welche der Hauptschlusssatz erfolgt, nicht eine gerade Zahl bilden (denn einzelne der vorgehenden Schlusssätze können nur Vordersätze abgeben), eine solche Beweisführung zu keinem Schlüsse führt, oder dass dann mehr Vordersätze, als zum Schluss nöthig waren, hinzugenommen worden sind.

Werden die Schlüsse nur in Bezug auf ihre eigentlichen Vordersätze in Betracht genommen, so besteht jeder Schluss aus einer geraden Zahl von Vordersätzen und aus einer ungeraden Zahl von Begriffen; und die Zahl der Begriffe ist um eins mehr als die Zahl der Vordersätze. Der Schlusssätze werden dann halb so viel als der Vordersätze sein. Wenn aber vermittelst vorgängiger Schlusssätze der Schluss, oder durch mehrere nicht zusammenhängende Mittelbegriffe sich vollzieht, wenn also z.B. die Sätze A und B aus den Sätzen C und D geschlossen werden, so wird die Zahl der Begriffe zwar ebenso die Zahl der Vordersätze um einen übersteigen (denn der überschiessende Begriff wird entweder ausserhalb oder in die Mitte gestellt werden; aber in beiden Fällen sind der Vordersätze um einen weniger als die Begriffe) aber die Zahl der Vordersätze ist gleich der Zahl der Ansätze. Indess wird die Zahl der Vordersätze nicht immer eine gerade und die der Begriffe[58] eine ungerade sein, sondern es wird sich dies austauschen; wenn nämlich die Zahl der Vordersätze eine gerade ist, so ist die Zahl der Begriffe eine ungerade und wenn die Zahl der Begriffe eine gerade ist, so ist die der Vordersätze eine ungerade; denn mit jedem weiterem Begriff wird ein neuer Vordersatz hinzugefügt, wohin auch der Begriff gesetzt werden mag. Wenn also in einem Schlüsse die Vordersätze der Zahl nach gerade, die Begriffe der Zahl nach ungerade sind, so muss das Gerade und Ungerade wechseln, wenn ein solcher Zusatz geschieht. Die Schlusssätze werden aber in ihrer Zahl nicht dasselbe Verhältniss zu der Zahl der Begriffe und Vordersätze einhalten; denn wenn ein weiterer Begriff hinzugesetzt wird, so werden damit an weiteren Schlusssätzen so viel sich ergeben, als Begriffe vorher angesetzt waren, weniger einen; denn der neue Begriff bildet denn nur mit dem letzten Vorbegriff keinen Schluss, aber wohl mit allen anderen. Wenn z.B. zu den Begriffen A, B und C noch der Begriff D hinzukommt, so treten damit sofort zwei neue Schlusssätze hinzu, nämlich einer zu A und einer zu B. Ebenso verhält es sich mit den noch weiter hinzukommenden Begriffen. Wird aber der weitere Begriff in die Mitte gestellt, so ergiebt sich dasselbe, denn er wird nur mit einem der vorigen Begriffe keinen Schluss bilden. Es werden also in solchen Fällen viel mehr Schlüsse sich ergeben, als Begriffe und Vordersätze.

Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 56-59.
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