Neunundzwanzigstes Kapitel

[68] Die Schlüsse, welche zur Unmöglichkeit des Gegentheils führen, verhalten sich in dieser Beziehung eben so, wie die direkten Schlüsse; denn auch jene kommen durch die Gegenstände zu Stande, welche als Prädikate, und die, welche als Subjekte von den Begriffen des Beweissatzes ausgesagt werden können, und deshalb ist die Aufsuchung solcher Gegenstände bei beiden Schlussweisen die gleiche; denn das, was direkt bewiesen wird, kann auch durch die Unmöglichkeit des Gegentheils vermittelst derselben Begriffe geschlossen werden und umgekehrt, was durch die Unmöglichkeit des Gegentheils bewiesen wird, kann auch direkt bewiesen werden; z.B. der Satz, dass A in keinem E enthalten ist. Denn man nehme an, dass es in einigen E enthalten sei, dann wird, da B in allen A enthalten ist, und A in einigen E enthalten sein soll, auch B in einigen E enthalten sein, während es[68] doch in keinem E enthalten war. Ferner soll bewiesen werden, dass A in einigen E enthalten ist; denn wenn A in keinem E enthalten ist, E aber in allen H, so wird A in keinem H enthalten sein; allein es war ja in allen H enthalten. Eben so kann man bei den übrigen aufzustellenden Sätzen verfahren; immer wird bei allen aus den Gegenständen, welche sich zu Prädikaten oder Subjekten für die Begriffe des Beweissatzes eignen, sich auch ein Beweis für die Unmöglichkeit des Gegentheils dieses Beweissatzes ergeben. Auch bleibt für jeden aufgestellten Satz die Aufsuchung der Gegenstände dieselbe, mag man einen direkten Schluss dafür aufstellen wollen oder die Unmöglichkeit des Gegentheils darlegen, da beide Schlussweisen auf denselben Begriffen beruhen. Ist also z.B. der Satz, dass A in keinem E enthalten, dadurch bewiesen worden, dass wenn das Gegentheil angenommen werde, die daraus sich ergebende Folge, dass B in einigen E enthalten, unmöglich ist, so kann dies direkt bewiesen werden, wenn man setzt, dass B in keinem E und in allen A enthalten ist; denn dann ist klar, dass auch A in keinem E enthalten sein kann. Wenn ferner direkt bewiesen worden ist, dass A in keinem E enthalten ist, so wird, wenn man annimmt, es sei in einigen E enthalten, vermöge der unmöglichen Folge bewiesen werden können, dass A in keinem E enthalten ist. Eben so verhält es sich mit den Unmöglichkeits-Beweisen für die anderen Sätze; bei allen muss man einen von den Begriffen des vorliegenden Beweissatzes verschiedenen Begriff als Mittelbegriff aufsuchen, vermittelst dessen sich der Schluss auf den falschen Satz ergiebt; wird dann dieser Schluss in sein Gegentheil umgekehrt und so als Vordersatz angesetzt, während der zweite Vordersatz unverändert bleibt, so er giebt sich mittelst derselben Begriffe ein direkter Schluss. Der direkte Schluss unterscheidet sich nämlich von dem auf das Unmögliche führenden nur dadurch, dass bei dem direkten beide Vordersätze so angesetzt werden, wie es die Wahrheit ist, bei dem anderen aber der eine Vordersatz als ein falscher angesetzt wird.

Dies wird sich in dem Folgenden noch klarer ergeben, wenn ich über das Unmögliche sprechen werde; für jetzt ist so viel sicher, dass sowohl der, welcher einen direkten[69] Schluss bilden will, wie der, welcher die Unmöglichkeit des Gegentheils darthun will, auf die angegebenen Umstände Acht haben muss. Bei den übrigen aus bedingten Sätzen abgeleiteten Schlüssen, wie z.B. bei den Schlüssen vermittelst einer Mitnahme oder vermittelst einer Beschaffenheit wird die Ermittelung rücksichtlich der angenommenen Begriffe sich nicht auf die in dem anfangs aufgestellten Satze enthaltenen, sondern auf die mit dazu genommenen Begriffe zu richten haben, während die Art der Erwägung dieselbe bleibt. Nur muss man dabei auch darauf Acht haben, in wie vielerlei Arten die bedingten Schlüsse sich eintheilen.

Nun lässt sich zwar jeder aufzustellende Satz in dieser Art beweisen; doch giebt es für einige Sätze auch eine andere Art des Beweises, wie z.B. die allgemein lautenden Sätze durch das Verfahren bewiesen werden können, was bei den beschränkten Sätzen stattfindet, insofern es bedingterweise benutzt wird. Denn wenn die C und die H dieselben wären, aber angenommen wird, dass das E nur allein in denen des H enthalten sei, so würde A in allen E enthalten sein; und wenn ferner die D und die H dieselben wären, und E wieder blos von denen des A ausgesagt würde, so würde A in keinem E enthalten sein. Hieraus erhellt, dass man auch so den Beweis suchen kann.

Auf dieselbe Weise geschieht die Ermittelung bei den nothwendigen und den auf das Statthafte lautenden Sätzen. Die Aufsuchung des Beweises ist hier dieselbe, und mittelst derselben Begriffe und der gleicher Ordnung derselben erfolgt der Schluss auf das statthafte und das einfache Sein. Bei den auf das Statthafte lautenden Sätzen muss man aber auch Solches in Ansatz bringen, was nicht ist, aber doch sein kann; denn ich habe gezeigt, dass auch durch solche Sätze ein Schluss auf das Statthafte gezogen werden kann, und eben so wird es sich bei Schlüssen verhalten, wo die Modalität noch in anderer Weise ausgedrückt ist.

Aus dem Gesagten ist also nicht blos klar, dass alle Schlüsse auf diesem Wege gefunden werden können, sondern auch, dass es auf einem anderen Wege unmöglich ist. Denn ich habe gezeigt, dass alle Schlüsse in einer der erwähnten Figuren geschehen, und diese Figuren[70] können nicht anders gebildet werden, als durch die Begriffe, welche entweder sich zu Prädikaten oder Subjekten der in dem Beweissatze enthaltenen Begriffe eignen; denn aus diesem werden die Vordersätze gebildet und der Mittelbegriff entnommen, so dass also der Schluss durch andere Begriffe nicht gebildet werden kann.

Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 68-71.
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