Achtundzwanzigstes Kapitel

[63] Wenn man nun den Beweis für einen allgemeinen und bejahenden Satz beschaffen will, so muss man einmal sein Augenmerk auf Gegenstände richten, von welchen[63] das Prädikat des zu beweisenden Satzes ausgesagt werden kann und zweitens auf Gegenstände, welche von dem Subjekte des Satzes ausgesagt werden. Findet man unter diesen beiden Arten von Gegenständen einen, welcher in beiden derselbe ist, so muss auch das Prädikat des zu beweisenden Satzes in dessen Subjekt enthalten sein.

Soll aber kein allgemein-, sondern nur ein beschränkt-bejahender Satz bewiesen werden, so muss man einmal Gegenstände aufsuchen, von denen das Prädikat des Beweissatzes ausgesagt werden kann, und zweitens Gegenstände, von denen das Subjekt des Beweissatzes ausgesagt werden kann; findet sich in beiden Arten ein und derselbe Gegenstand, so muss das Prädikat des Beweissatzes in einigen des Subjekts enthalten sein.

Will man aber einen allgemein-verneinenden Satz beweisen, so muss man entweder Gegenstände aufsuchen, welche das Subjekt des verneinenden Satzes unter sich befassen, und dann Gegenstände, in denen das verneinte Prädikat nicht enthalten sein kann; oder man muss Gegenstände aufsuchen, in welchen das Subjekt des verneinenden Satzes nicht enthalten sein kann, und dann solche, welche von dem Prädikate des Satzes ausgesagt werden. Wenn in beiden Fällen sich ein und derselbe Gegenstand in beiden Arten findet, so kann das Prädikat des Satzes in dem ganzen Subjekt nicht enthalten sein, denn der Schluss vollzieht sich hier in dem einen Falle in der ersten und in dem anderen Falle in der zweiten Figur.

Soll endlich ein beschränkt-verneinender Satz bewiesen werden, so muss man Gegenstände aufsuchen, welche das Subjekt des verneinenden Satzes befassen, und solche, welche in dem Prädikate des Satzes nicht enthalten sein können. Findet sich in beiden ein und derselbe Gegenstand, so muss das Prädikat des zu beweisenden Satzes in einigen des Subjekts nicht enthalten sein.

Vielleicht wird das hier Gesagte durch das Folgende noch deutlicher werden. Das, was von A ausgesagt wird, soll B sein, und das, von dem A selbst ausgesagt wird, soll C sein; das, was in A nicht enthalten sein kann, sei D. Ferner soll das, was in E enthalten ist, Z sein, und das, von welchem E ausgesagt wird, soll H sein; das, was in E nicht enthalten sein kann, sei T. Wenn sich[64] nun unter den mit C bezeichneten Gegenständen einer findet, welcher derselbe ist, wie einer von denen mit Z bezeichneten, so muss A in allen E enthalten sein; denn Z ist in allen E und A in allen C enthalten, also muss auch A in allen E enthalten sein. Ist dagegen einer von den Gegenständen des C und von denen des H derselbe, so muss A in einigen E enthalten sein; denn A ist in allen C und E in allen H enthalten. Ist aber einer von den Gegenständen des Z derselbe mit einem von denen des D, so wird A vermöge eines vorgängigen Schlusses in dem ganzen E nicht enthalten sein; denn der verneinende Satz lässt sich umkehren und Z und D sind hier dasselbe; also wird A auch in keinem Z enthalten sein, aber Z ist in allen E enthalten. Wenn ferner einer der Gegenstände unter B derselbe ist, mit einem der Gegenstände unter T ist, so wird ebenfalls A in keinem E enthalten sein; denn B ist in allen A und T ist in keinem E enthalten. Ist aber einer der Gegenstände unter D und unter H derselbe, so wird A in einigen E nicht enthalten sein; denn A ist dann im H nicht enthalten, weil es nicht in D enthalten ist und H ist von E befasst; folglich wird A in einigen E nicht enthalten sein. Ist aber einer unter den Gegenständen zu B derselbe mit einem unter denen zu H, so wird der Schlusssatz umgekehrt lauten; denn dann ist H in dem ganzen A enthalten (denn B ist in allen A) und E in allen B enthalten (weil H mit B dasselbe ist). Dann ist zwar keine Nothwendigkeit vorhanden, dass A in dem ganzen E enthalten sei, aber in einigen E muss A enthalten sein, weil der allgemein bejahende Satz sich in einen beschränkt bejahenden umkehren lässt.

Somit ist klar, dass man bei jedem zu beweisenden Satze auf das für beide Begriffe desselben hier Gesagte Acht haben muss; denn alle Schlüsse vollziehen sich durch solche Mittelbegriffe. Auch muss man bei dem Prädikate und dem Subjekte des Beweissatzes die obersten und allgemeinsten Begriffe, unter denen sie stehen, am meisten beachten; z.B. bei E mehr auf den über Z stehenden höheren Begriff, als blos auf Z und bei A mehr auf den über C stehenden höheren Begriff, als blos auf C achten. Denn wenn A in dem höheren über Z stehenden Begriff enthalten ist, so ist es auch in Z und folglich[65] auch in E enthalten und wenn A von jenem höheren Begriffe nicht ausgesagt werden kann, so kann es doch möglicherweise von Z ausgesagt werden. Eben so hat man bei den Subjekten von A zu verfahren; denn wenn A von den höheren Begriffen ausgesagt werden kann, so kann A auch von den unter denselben stehenden ausgesagt werden; und sollte A von jenen höheren nicht ausgesagt werden können, so kann es doch möglicherweise von den niederen Begriffen ausgesagt werden.

Es ist auch klar, dass die Untersuchung sich auf drei Begriffe und zwei Vordersätze erstreckt und dass alle Schlüsse sich durch die vorgenannten Figuren vollziehen. Denn man beweist, dass A in allen E enthalten ist, wenn man unter den zu C gehörenden Gegenständen einen findet, welcher derselbe ist mit einem unter den zu Z gehörenden Gegenständen; dieser bildet dann den Mittelbegriff und A und E sind dann die äusseren Begriffe, und somit ergiebt sich die erste Figur. Dagegen ist A nur in einigen E enthalten, wenn unter den zu C und H gehörenden Gegenständen ein derselbiger gefunden wird; dann ist ein Schluss in der dritten Figur vorhanden und H wird hier zum Mittelbegriff. A kommt ferner keinem E zu, wenn unter den Gegenständen von D und Z ein derselbiger gefunden wird; denn dann vollzieht sich der Schluss in der ersten oder in der zweiten Figur, und zwar in der ersten, weil dann A in keinem Z enthalten ist, da der verneinende Satz sich umkehren lässt und Z in allen E enthalten ist. In der zweiten Figur vollzieht sich der Schluss, weil das D in keinem A, aber in allen E enthalten ist. Endlich kommt A einigen E nicht zu, wenn sich unter den zu D und zu H gehörenden Gegenständen ein derselbiger findet, wo sich der Beweis dann in der dritten Figur vollzieht; denn A ist dann in keinem H und E ist in allen H enthalten. Es erhellt hieraus, dass in den vorerwähnten Figuren sich alle Schlüsse vollziehen; auch dass keine solche Bestimmungen gesucht werden dürfen, die von allen Dingen ausgesagt werden können, weil aus solchen Sätzen kein Schluss gezogen werden kann; denn ein bejahender Schluss kann aus solchen Bestimmungen nicht abgeleitet werden und ein verneinender Schluss ist durch Etwas, was von Allen ausgesagt wird, auch nicht ausführbar, weil da die Bestimmung[66] von dem Einen ausgesagt und von dem Andern nicht ausgesagt werden muss, wenn ein verneinender Schluss zu Stande kommen soll.

Es erhellt auch, dass alle anderen Erwägungen in Bezug auf Aufsuchung von Begriffen für die Bildung der Schlüsse nutzlos sind; z.B. die Erwägung, ob unter den Gegenständen, welche von jedem der beiden Begriffe des aufgestellten Satzes ausgesagt werden können, identische enthalten sind, oder welche von den Begriffen, die von A ausgesagt werden können, in dem E nicht enthalten sein können, oder welche Gegenstände in beiden Begriffen des zu beweisenden Satzes nicht enthalten sein können, denn aus solchen kann kein Schluss abgeleitet werden. Denn wenn die Prädikate von beiden Begriffen des Beweis-Satzes dieselben sind, so kommen nur zwei Vordersätze zur zweiten Figur heraus, die beide bejahend lauten, und wenn die Begriffe, von denen A sich aussagen lässt, und die Begriffe, welche in dem E nicht enthalten sein können, dieselben sind, also das C und das T, so ergeben sich nur die Vordersätze zu der ersten Schlussfigur, wobei der Untersatz verneinend lautet; und wenn die Bestimmungen, welche von beiden Begriffen des aufgestellten Satzes nicht ausgesagt werden können, dieselben sind, wie das D und T, so ergeben sich die Vordersätze zur ersten oder zweiten Figur, die aber beide verneinend lauten, so dass in allen diesen Fällen kein Schluss gezogen werden kann.

Es ist auch klar, dass man bei der Erwägung, wie der Beweis eines aufgestellten Satzes zu führen ist, zunächst irgend welche Bestimmungen aufsuchen muss, die beide dieselben sind, aber nicht solche, die von einander verschieden oder entgegengesetzt sind; denn es kommt auf die Auffindung des Mittelbegriffs an und dieser muss für beide Vordersätze gleich und nicht verschieden lauten. Ferner lassen die Fälle, wo ein Schluss durch Ansatz von Begriffen erfolgt, die denen des Beweissatzes entgegengesetzt sind, oder nicht in ihnen enthalten sein können, sich sämmtlich auf die vorgenannten Arten zurückführen wenn z.B. B und Z einander entgegengesetzt sind oder nicht in demselben Begriffe enthalten sein können, so ergiebt sich zwar bei solcher Annahme der Schluss, dass A in keinem E enthalten sein könne, allein[67] nicht unmittelbar aus ihnen, sondern in der früher angegebenen Weise; denn dann wird B in allen A und in keinem E enthalten sein, weil B nothwendig mit Einigem von T gleich sein muss. Wenn ferner B und H nicht in demselben Begriffe enthalten sein können, so ergiebt sich der Schluss, dass A in einigen E nicht enthalten ist, denn es ist dann die zweite Figur vorhanden, indem B in allen A, aber in keinem H enthalten ist, mithin B dasselbe mit Einigen von T sein muss. Wenn nämlich B und H in demselben Begriffe nicht enthalten sein können, so ist dies eben so viel, als dass B mit Einigen von T dasselbe ist, denn T ist als das gesetzt worden, was alles befasst, was nicht in E enthalten ist.

Sonach ist klar, dass aus der Aufsuchung solcher Begriffe für sich allein kein Schluss gewonnen werden kann; sind aber B und Z einander entgegengesetzte Bestimmungen, so muss B mit einigen von T dasselbe sein und der Schluss kommt dann dadurch zu Stande. Bei solchen Erwägungen kommt es vor, dass man einen anderen, als den nothwendigen Weg einschlägt, weil man diese Dieselbigkeit der zu B gehörigen Dinge mit dem zu T nicht bemerkt.

Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 63-68.
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