Einunddreissigstes Kapitel

[72] Dass die Eintheilung nach Gattungen nur einen kleinen Theil des hier behandelten Verfahrens bildet, kann man leicht einsehen; denn die Eintheilung ist gleichsam ein schwacher Schluss, weil sie das, was sie beweisen soll, voraussetzt, aber doch immer etwas von den oberen Begriffen folgert. Gerade dieser erste Punkt wurde von Allen, welche sich der Eintheilung bedienten, nicht bemerkt und sie bemühten sich glauben zu machen, es sei mittelst der Eintheilung möglich, einen Beweis für das Wesen und das Was der Dinge zu liefern. Deshalb sahen sie weder ein, was möglicherweise durch das Eintheilen bewiesen werden kann, noch dass dies nur in der früher angegebenen Weise möglich ist. Denn in den Beweisen muss, wenn ein bejahender Schluss geschafft werden soll, der Mittelbegriff, vermittelst dessen der Schluss zu Stande kommt, immer enger sein, als der Oberbegriff und kein Allgemeines von demselben; aber die Eintheilung will das Entgegengesetzte, indem sie das Allgemeine zum Mittelbegriffe nimmt. Es sei z.B. A das Geschöpf, B das Sterbliche und C das Unsterbliche und D der Mensch, von dem eine Aussage erlangt werden soll. Nun kann man sagen: Jedes Geschöpf ist entweder sterblich oder unsterblich, d.h. dass alles, was A ist,[72] entweder B oder C ist. Ferner wird bei dem Eintheilen immer gesetzt, dass der Mensch ein Geschöpf sei, so dass also angenommen wird, A sei in dem D enthalten. Dann lautet der Schluss, dass alles D entweder B oder C sei, also dass der Mensch nothwendig sterblich oder unsterblich sei, aber der Satz, dass der Mensch ein sterbliches Geschöpf sei, folgt nicht nothwendig, sondern wird nur behauptet; aber gerade dies war Das, was hätte bewiesen werden sollen. Wenn man ferner setzt: A als sterbliches Wesen, B als: Füsse habend, und C als: ohne Füsse und D als der Mensch, so wird ebenso angenommen, dass A entweder in dem B oder in dem C enthalten sei (denn jedes sterbliche Wesen ist entweder mit Füssen oder ohne Füsse) und dass A von dem E gelte (denn es war angenommen, dass der Mensch ein sterbliches Geschöpf sei). Damit ergiebt sich wohl, dass der Mensch nothwendig entweder ein Geschöpf mit Füssen oder ein Geschöpf ohne Füsse sein müsse; allein es folgt nicht, dass er ein Geschöpf mit Füssen sei, sondern dies wird nur angenommen, obgleich gerade wieder dies hätte bewiesen werden sollen. Wenn bei dem Eintheilen immer in dieser Weise verfahren wird, so kommt es, dass das Prädikat zum mittleren Begriff genommen wird und dass das Subjekt, von dem etwas erwiesen werden soll, und das Prädikat in seinen Gegensätzen zu den äusseren Begriffen genommen werden; aber das, was schliesslich verlangt wurde, nämlich dass der Mensch dieses Bestimmte sei oder welches die gesuchte Bestimmung für den Menschen sei, wird bei solchem Verfahren nicht erreicht und eben so wenig dessen Nothwendigkeit dargelegt; vielmehr verfolgt man lediglich den falschen Weg, ohne zu bemerken, dass leicht richtige Wege eingeschlagen werden können. Somit ist klar, dass man mit diesem eintheilenden Verfahren auch keine Widerlegung machen kann und auch nichts darüber erschliessen kann, ob etwas einem Dinge nur nebenbei oder eigenthümlich zukommt; und auch nichts über die Gattung und über Gegenstände, wo man nicht weiss, ob sie sich so oder so verhalten, z.B. ob der Durchmesser kein gemessenes Maass mit den Seiten des Quadrates habe. Denn setzt man, dass jedes Lange ein gemeinsames Maass entweder habe oder nicht habe und dass der Durchmesser ein Langes sei, so[73] ergiebt sich der Schluss, dass der Durchmesser ein gemeinsames Maass entweder habe oder nicht habe. Setzt man aber, er habe kein gemeinsames Maass, so behauptet man nur das, was bewiesen werden soll. Auf diesem Wege erlangt man also keinen Beweis; es ist dies der Weg vermittelst der Eintheilung, aber er gewährt keinen Beweis. Das gemeinsame Messbare oder nicht-gemeinsame Messbare ist A, das Lange B, der Durchmesser C. Sonach erhellt, dass diese Weise einen Beweis zu führen, nicht für jede Ermittelung passend ist und dass sie gerade in den Fällen unbrauchbar ist, wo sie am passendsten zu sein scheint.

Somit ist klar, aus welchen Begriffen und wie die Beweise sich bilden und auf was man bei jedem zu beweisenden Satze Acht haben muss.

Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 72-74.
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